Band für Band bekommt Sachsen so eine Art Bibliothek der Wirtschaftsgeschichte. Das Sächsische Wirtschaftsarchiv e.V. gibt sie heraus. Bislang dominierten Firmengeschichten. Bis die wirklich spannenden Bücher zu den übergreifenden Themen kommen, werden noch Jahre vergehen. Was natürlich am sperrigen Stoff liegt. Auch Gewerbeausstellungen sind kein wirklich spannender Stoff. Auch wenn sie zuweilen den Charakter von Jahrmärkten haben. Manche geistern ja noch als bunte Fabeln durch das Gedächtnis der Gegenwart.

Wie etwa die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung von 1897 in Leipzig. 2,3 Millionen Besucher – bei solchen Zahlen würden die heutige Messe oder selbst der Zoo Leipzig jubeln. Wo sie stand, grünt heute der Clara-Zetkin-Park. Nur einige Parkelemente erinnern noch daran, dass hier 1897 ein ganzes Ausstellungsgelände aus dem sumpfigen Auenland gestampft wurde.

Aber was steckt dahinter, fragte sich der Museologe, Kunst- und Kulturgeschichtler Enrico Hochmuth, der seit 2011 Kurator des Schulze-Delitzsch-Hauses in Delitzsch ist. Das Buch war eigentlich schon seit zwei Jahren fertig. Es komprimiert das Thema, mit dem sich Hochmuth auch in seinem Studium schon intensiv beschäftigt hat.

Und natürlich ist es ein Akten- und Fundusthema. Man muss in die Archive, muss die Wurzeln finden. Denn irgendwann ging das ja einmal los mit den Gewerbeausstellungen. Dass Paris und London da früh schon den Ton angaben, war bekannt. Aber woher kam der Trend nach Deutschland. Und wie fasste er hier Fuß? – Der Laie zuckt mit den Schultern. Solche Bücher stehen nicht im Buchladen. Selbst die Frage, ob die Hamburger oder die Rheinländer oder gar die Preußen die ersten waren, die Gewerbeausstellungen nach französischem oder englischem Vorbild organisierten, interessiert bestenfalls die Fachwelt. Manchmal, wenn solche Mega-Ausstellungen wie die “EXPO 2000” in Frankfurt organisiert werden, streiten sich ein paar Gelehrte. Ganz kurz interessiert das Thema wieder. Aber spätestens, wenn Kassensturz gemacht wird und sich herausstellt, dass das publikumsträchtige Ereignis doch wieder nur ein Negativergebnis gebracht hat, das der Steuerzahler begleichen muss, ist die Luft raus. Und der nächste Politiker, der eine “EXPO” veranstalten will, geht mit Hohn und Spott aus dem Saal. Die Zeiten haben sich geändert.

Und so grenzt sich das Thema auch für Sachsen ein. Nicht unbedingt nur auf den Zeitraum 1824 bis 1914. Der 1. Weltkrieg war natürlich eine Zäsur, er sorgte zum Beispiel für den frühzeitigen Abbruch der BUGRA, nachdem auch diese Fachmesse schon 2 Millionen Besucher verzeichnete. Die Besucher wurden als Soldaten gebraucht. Nach dem 1. Weltkrieg gab es auch noch weitere publikumswirksame Fachausstellungen. Doch es war der Wurm drin – nicht nur die Wirtschaft litt unter der lang anhaltenden Krise und der Inflation.1824 begann alles, wie so manches beginnt. Da gab es durchaus in anderen deutschen Ländern schon präsentable Gewerbeausstellungen. Entstanden waren sie aus dem Bedürfnis der frühen sich mausernden Industrie, ihre Leistungskraft zu zeigen und ihre Produkte bekannt zu machen. In Sachsen war es 1824 die Landesregierung, die die ersten Sächsischen Landesausstellungen für Gegenstände des Gewerbes und der Industrie auf die Beine stellte. Ein Anliegen, das durchaus seine Krisen erlebte. Und das anfangs auch noch wenig mit dem zu tun hatte, was später draus wurde. Bei den Ausstellungen in der Residenzstadt Dresden dominierten traditionelle Luxuswaren. Das lockte freilich bald schon kein Publikum mehr an, denn der Käuferkreis dafür blieb bis heute ein sehr beschränkter, auch wenn etwa in München ein paar Leute immer wieder so ein Ereignis für die Schickeria der Republik auf die Beine stellt.

Und das, was da zu sehen war, machte auch nur in Teilen die wirtschaftliche Leistungskraft des Landes Sachsen deutlich. Der Ansatz war freilich irgendwie richtig, was sich zeigte, als im Laufe der Jahrzehnte immer mehr die regionalen Gewerbevereine die Organisation solcher Ausstellungen in die Hände nahmen und auch Maschinen und Herstellungsverfahren in den Mittelpunkt der Ausstellungen rückten. Spätestens die 3. Allgemeine Deutsche Industrieausstellung, die 1850 in Leipzig stattfand, zeigte, dass das Interesse des Publikums an neuen Waren und ihrer Herstellung gewachsen war.

Mit der zunehmenden Industrialisierung und der um sich greifenden Technisierung stieg auch das Interesse an solchen Ausstellungen. Erst unter den Fachleuten, die auch im Messe-Beiprogramm solche Ausstellungen besuchten, später auch immer mehr unter Interessierten, die zu den Gewerbeausstellungen reisten wie zu einem Volksfest. Es waren die Pariser Weltausstellungen, die den Anspruch veränderten und aus der schlichten Schau von Produkten und Maschinen ein gewaltiges Festival machten. Mancher sieht in diesen Ausstellungen den Beginn des modernen Massentourismus.Selbst die kleineren Gewerbeausstellungen in Oschatz, Riesa, Mittweida, Zwickau, Marienberg, wo sich die Industrie einer bestimmten Region präsentierte, wurden im späten 19. Jahrhundert zu regelrechten Volksfesten. Sie hatten ja auch nicht wirklich Konkurrenz. Zoologische Gärten waren noch von überschaubarer Größe, Vergnügungsparks gab es noch nicht. Tatsächlich waren diese Gewerbeausstellungen die Vergnügungsparks der Zeit.

Als 1897 in Leipzig die Sächsisch-Thüringische Landesausstellung stattfand, konnten es die Organisatoren sogar an den verkauften Eintrittskarten ablesen: Das Kneipenviertel und selbst die Kolonialausstellung (“Leichte Unterhaltung”) hatten ein Mehrfaches an Besuchern als etwa die Leipziger Kunstausstellung auf dem Gelände. Und auch die 1913 in Leipzig organisierte Internationale Bachfach-Ausstellung (IBA) hatte in weiten Teilen so einen Volksfestcharakter. Der gesamte heutige Wilhelm-Külz-Park war mit solchen leichteren Attraktionen bestückt – mit Tanzpalast, Alpenrestaurant und Gebirgsbahn. Aber da ist man schon bei einem Entwicklungsstrang, der sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts neben den großen, universalen Gewerbeausstellungen entwickelte: den Fachausstellungen, denen es ebenfalls teilweise gelang, ein Millionen-Publikum anzulocken. Mal waren es die großen Landwirtschaftsausstellungen, mal die Pelz-, Buch-, Hygiene- oder Bauausstellungen.

Wichtig als Aspekt, so Hochmuth, war freilich immer der regionale Anspruch dieser Ausstellungen: Hier präsentierte sich die Wirtschaft einer Region in Konkurrenz zu anderen deutschen Regionen. Es waren also echte Standortwettbewerbe, in denen Sachsen und gegen 1900 hin immer mehr “die mitteldeutsche Region”, ihre Leistungskraft bewiesen. Etwas, was es nach 1945 so nicht mehr gab, meint Hochmuth.

Der Druck der Fachausstellungen sorgte übrigens dafür, dass sich die Leipziger Messe Ende des 19. Jahrhunderts sehr schnell von der Waren- in eine Mustermesse verwandelte. Die Technische Messe entstand praktisch aus den erfolgreichen Fachausstellungen zwischen Völkerschlachtdenkmal und Thonberg heraus.

Natürlich ertrinkt der Leser teilweise in der Vielzahl von Orten, Ausstellungen, Komitees, Vereinen und Personen, die im 19. Jahrhundert aktiv waren. Zwei Listen im Anhang schaffen eine schöne Übersicht über die Vielzahl von Gewerbeausstellungen in Sachsen zwischen 1824 und 1914. Es verging kaum ein Jahr, in dem nicht irgendwo ein solches Ereignis stattfand. Wer wollte, konnte also recht oft mit dem damals gut ausgebauten Eisenbahnnetz irgendwo im Land so ein Fest der heimischen Gewerbe besuchen, bestaunen, was alles hergestellt wurde, wie moderne Maschinen aussahen und wer sie herstellte. Manchmal – wie 1897 auf der Sächsisch-Thüringischen Landesausstellung – sogar komplette Herstellungsprozesse.

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Industrie- und Gewerbeausstellungen
in Sachsen 1824-1914

Enrico Hochmuth, Sax Verlag, 24,80 Euro

Dass die Unternehmer immer Angst hatten, jemand könnte die Gelegenheit nutzen und ihre Idee kopieren, ist verständlich. Die Angst ist heute – trotz Patentschutz – genauso aktuell. Aber mit diesen Ausstellungen zog die moderne Produktwelt auch massenhaft in die Haushalte der Bürger ein. Man sah, staunte und kaufte dann später. Man war Teil einer Entwicklung, die gerade begann, Wachstum als oberstes Ziel zu definieren.

Aber auf die Philosophie dabei und die nicht unwichtigen soziologischen Aspekte geht Hochmuth in diesem Buch nicht ein. Das hätte die Gewichte deutlich verschoben. Und es wäre noch dicker und aufwändiger geworden.

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