Eine große Ausstellung wirft ihre Schatten voraus. Am Mittwoch, 17. Oktober, wird im Stadtgeschichtlichen Museum die Ausstellung "Gangster, Gauner und Ganoven. Große Leipziger Kriminalfälle" eröffnet. Das ist natürlich das Leib- und Magen-Thema von Leipzigs markantestem Krimi-Autor: Henner Kotte. Wer sich ins Thema einlesen will, kann es jetzt schon tun. Im MDV hat er eine Sammlung authentischer Kriminalfälle aus Leipzig veröffentlicht.

Angefangen natürlich beim berühmtesten: dem Mord des Johann Christian Woyzeck an der Witwe Woost. Nicht berühmt geworden, weil es eine der letzten öffentlichen Hinrichtungen in Leipzig war, sondern weil der Fall erst zu einer großen wissenschaftlichen Diskussion ausartete und dann von Georg Büchner zu einem der bekanntesten deutschen Dramen verarbeitet wurde.

Mehr zum Thema:

Fälle, Fakten, Fahnder: Die geheime K1 der DDR
Schon als Hans Pfeiffer in DDR-Zeiten …

Der nächste Krimi aus den Abgründen Leipzigs: Augen für den Fuchs
Wie entsorgt man unbeliebte Mitspieler …

Der zweite Ehrlicher-Krimi von Henner Kotte: Frederikes Höllenfahrt
Der erste Teil hat noch gewaltig gerumpelt …

Der Fall Woyzeck war einer der ersten in Deutschland, in dem Mediziner und Juristen intensiv über die Grenzen der Zurechnungsfähigkeit bei einem solchen Verbrechen diskutierten. Seinerzeit vor allem in der Fachliteratur – Büchner lernte den Fall nicht über die Zeitung kennen, sondern aus “Henkes Zeitschrift für die Staatsarzneikunde”, einer Fachzeitschrift, die sein Vater abonniert hatte.

Was für die Mediziner ein Abgrenzungsproblem war, war für den jungen Autor natürlich ein echtes menschliches Dilemma mit einer Person im Mittelpunkt, die von den Zeitumständen getrieben und geformt wurde. Das Drama mit seinem Grunddilemma ist bis heute aktuell. Und so ist auch die Erinnerung der Leipziger an die Hinrichtung Woyzecks auf dem Marktplatz bis heute lebendig. Und Woyzeck ist sein Platz unter den berühmten Leipziger Straftätern sicher.

Immerhin eine illustre Galerie, zu der auch ein Betrüger gehörte, der unter dem Decknamen Hermes in Leipzig agierte, sich dabei aber so dämlich anstellte, dass er ziemlich schnell gefasst wurde und sich als der ehemalige Lehrer Karl Friedrich May entpuppte, der schon eine ganze Latte Verfehlungen auf seinem Kerbholz hatte. Nun waren vier Jahre Zuchthaus fällig. Zeit genug zur Besinnung und zur Entfaltung eines erstaunlichen Talents.Literarisch wurde auch ein dritter Fall: der Selbstmord von Gustav Heinrich Wilhelm und Johanna Auguste Abicht bei Sellerhausen, zwei jung Verliebte, gegen deren Liaison die Eltern waren. Eine klassische Geschichte, die es als Meldung bis in eine Züricher Zeitung schaffte, wo sie der begnadete Novellist Gottfried Keller las. Ergebnis ist eine seiner schönsten und traurigsten Novellen in deutscher Sprache: “Romeo und Julia auf dem Dorfe”.

Die meisten Leipziger Kriminalfälle sind solche, wie sie überall passieren könnten – und auch passiert sind und passieren. Wenn man einmal von der seltsamen Leidenschaft des Leipziger Theologie-Professors Wilhelm Bruno Lindner absieht, der sich am wertvollen Buchbestand der Universitätsbibliothek vergriff. “Operationen am offenen Buch”, betitelt Henner Kotte diese Geschichte. Elf solcher Geschichten hat er für den Band gesammelt.

Und er hat sich dafür die Mühe gemacht, die alten Zeitungen, Akten, Gerichts- und Polizeiprotokolle zu lesen. Denn plastisch werden Kriminalfälle ja nur, wenn man das Zeitkolorit mit beleuchtet, die soziale Lage der Delinquenten, den Stand der Justiz und der Aufklärung in der Zeit. Und – wenn die Protokolle gut sind – bekommt man auch noch etwas über die Persönlichkeiten der Opfer, der Verdächtigen und der Täter mit. Da zeigen sich selbst die Akten der Volkspolizei ergiebig, aus denen Kotte zum Beispiel die Aufsehen erregenden Ereignisse um den Serieneinbrecher “Fridolin” aus dem Jahr 1954 rekonstruiert, einen unaufgeklärten Kindermord aus Wiederitzsch aus dem Jahr 1961 oder den Fall der 1969 verschwundenen Hildegard Stöber. Ein Fall, den auch Wolfgang Mittmann und Curt Klaußmann in ihrem Buch “Die geheime K 1 der DDR” aufgegriffen hatten.

Bestellen Sie dieses Buch versandkostenfrei im Online-Shop – gern auch als Geschenk verpackt.

Die vermauerte Frau
Henner Kotte, Verlag: Mitteldeutscher Verlag 2012, 9,95 Euro

Und Kotte sieht die Interpretation des Falles durch die beiden Autoren durchaus kritisch. Man wird ja sensibel für die Widersprüche eines Falles, wenn man sich so wie Henner Kotte seit Jahren intensiv mit Verbrechen, Ermittlungen und ihrer literarischen Verarbeitung beschäftigt. Auch Polizisten und Gerichte machen Fehler. Manchmal zeigt sich erst nach Jahrzehnten, dass die Ermittler falsch lagen. Nicht jedes Verbrechen wird aufgeklärt. Oft führen erst Zufälle zu einer Entdeckung.

Der Leipzig-Liebhaber bekommt hier einmal ein bisschen kriminelles Leipzig für die Jackentasche, flott zu lesen für die Straßenbahn. Oder als Einstimmung auf die Ausstellung, die am 17. Oktober eröffnet und auch einmal öffentlich zeigt, was die Archive und Asservatenkammern sonst verbergen.

www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar