Wenn wir hier jetzt die Nase von Hitler hinpappen würden - der Artikel würde durch die Decke gehen. "Hitler sells", so ungefähr drückt es Martin Wiebel im Interview mit Yael Ben Moshe aus. Ganz hinten am Ende des Buches. Eigentlich wollte sich Moshe nur mit einer sehr speziellen Frage beschäftigen: Welche Art Geschichte erschaffen wir eigentlich, wenn wir Figuren wie Hitler inszenieren?

Hitler als Filmfigur also. Legendär seit Charlie Chaplins “Der große Diktator”. Dabei vergleicht sie vor allem die Kinos in den USA und in Deutschland miteinander. Und natürlich ihre Art, Geschichte zu erzählen. Denn jeder erlebt zwar Geschichte auf seine Weise, jeder kann sich die wichtigsten Fakten jederzeit zusammensuchen. Macht aber kaum einer. Das, was die meisten Menschen als Geschichte begreifen, ist eine Meta-Erzählung. Das, was im deutschen Literaturfeuilleton einige Leute immer so geheimnisvoll als “Narrativum” bezeichnen.

Um die zumeist recht chaotischen Geschehnisse im eigenen Leben und in der Welt irgendwo sinnlich fassen zu können, erschaffen Menschen Deutungsmuster, legen alte Erzählmuster über das, was gerade geschieht.

Das tun sie übrigens immer. Ein gut Teil der täglichen Nachrichten sind schlichtweg immer neue Bestätigungen alter Erzählmuster. Manche davon sind mordsgefährlich, viele einfach falsch. Aber – auch das erwähnt Wiebel: Sie dominieren mittlerweile das Nachrichtengeschehen. Er setzt es mit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin gleich und mit der damit einher gehenden Erzählweise von Politik: Man berichtet nicht mehr über Sachverhalte, Themen und Ereignisse, sondern über Personen.

Was natürlich immer leichter ist. Man personifiziert die Nachrichten einfach, macht die Politiker zu Helden in einer Historienschmiere – und das Volk fühlt sich gut unterhalten.Die Medien sind ein Teil der heutigen Politikverdrossenheit. Die Nutzer aber leider auch: Sie wollen solche Geschichten.

Tief drinnen in unseren Erwartungen an das täglich Neue sind wir noch immer die Menschen der Steinzeit, die sich mit der Erwartung ums Feuer versammeln, dass der begabteste Erzähler in der Runde eine wirklich tolle Geschichte erzählt. Dürfen auch Ungeheuer drin vorkommen, Geister und Helden, ja, Helden unbedingt, gute und schlechte. Und der böse Held soll richtig böse sein – und der gute nicht gleich gewinnen, sonst wird’s ja nicht spannend und die Geschichte ist schon zu Ende, bevor der erste Schnee fällt. Also braucht es auch Heimtücke, Verrat, Irrtum und Zeiten der Wirren.

Politikinszenierung läuft nach diesen Mustern.

Und die Geschichte von Aufstieg und Fall des “Dritten Reiches” ebenso. Filmregisseure, die einen Film über den 2. Weltkrieg, die Resistance, die Verschwörer des 20. Juli, Stalingrad oder das Überleben in den KZs drehen wollen, finden diese Muster schnell. Und eine interessante Frage ist natürlich: Warum kamen manche Themenkomplexe – wie der Holocaust – über 30 Jahre nicht vor in deutschen Filmen und Dokumentationen? Warum wirkte die Ausstrahlung der US-amerikanischen “Holocaust”-Fernsehserie 1978 im Westen wie eine Befreiung, sogar eine Erlösung, die das bleierne Schweigen über das Erleben im NS-Reich endlich löste?

Und warum kam Hitler in deutschen Filmen eigentlich nicht vor? Bis zu Syberbergs “Hitler, ein Film aus Deutschland” von 1977? Warum wurde er erst 2004 in “Der Untergang” zur Hauptfigur? Und warum war auch das nicht wirklich ein Kinoerfolg, wo doch jedes Hitlerbärtchen auf dem “Spiegel” die Auflage steigen lässt? Sind das unterschiedliche Erzählungen? Funktioniert da was anders?

Moshe analysiert fünf US-amerikanische, drei deutsche und einen in internationaler Kooperation entstandenen Film (“Der Moloch”) auf die Darstellung Hitlers hin, die Grunderzählung, die Konflikte und auch die Rezeption in der Öffentlichkeit. Sie beleuchtet die Gründe, die gerade deutsche Regisseure über Jahrzehnte davon abhielten, Adolf Hitler darzustellen. Obwohl sich diese Inszenierung bis in die 1970er Jahre geradezu anbot, denn da war ein ganzes Land förmlich bestrebt, jeder wirklich intensiven Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und der eigenen Rolle darin auszuweichen. Dazu diente auch die filmisch immer wieder vorgetragene These einer unschuldigen Wehrmacht, die letztlich nur die Befehle eines durchgeknallten Führers befolgen musste. Lieblingsfigur dieser Geschichte vom irrenden, aber guten Helden und dem finsteren Bösewicht war der “Wüstenfuchs” Rommel, der sich 1944 der Widerstandsgruppe um den 20. Juli anschloss.

Eine Geschichte, die seltsamerweise funktionierte, obwohl die Stauffenberg-Gruppe in der westdeutschen Öffentlichkeit gleichzeitig mit dem Brandmal “Verräter” versehen wurde. Es dauerte wirklich bis zum Aufbegehren der 1968er, dass sich die Bundesrepublik intensiv mit den Nachwehen des Nazi-Reiches zu beschäftigen begann und die Funktionsweise des NS-Reiches untersucht wurde, das ohne alle diese “willigen Vollstrecker” nicht funktioniert hätte.

Es ist seltsam, aber es ist so: Alle Schuld wurde zwar auf diesen einen Hitler projiziert – aber gerade deshalb tauchte er in den Filmen, die sich mit dem NS-Reich beschäftigten, nicht auf. Was mit der deutschen (Wieder-)Vereinigung 1990 sogar noch seltsamer wurde: Für zehn Jahre etwa gab es überhaupt keine nennenswerten Filme mehr, die sich ernsthaft mit der deutschen Geschichte beschäftigten. Zehn Jahre lang ähnelte das deutsche Kino wieder auf erstaunliche Weise dem deutschen Nachkriegskino der 1950er Jahre: Es dominierten Lustspielfilme, Heimatfilme und Komödien.Man merkt, wie es Moshe an der Stelle in den Fingern juckte: Da steckt ein ganzes sozial-psychologisches Forschungsthema drin: Wie verarbeiten Gesellschaften überstandene Traumata? Welche Mechanismen von Flucht und Verdrängen funktionieren da?

Und dann dieser Film “Der Untergang” von 2004, in dem Bruno Ganz alles gab, um den altgewordenen, verbissenen und einsamen Hitler im Bunker in Berlin zu zeigen in seinen letzten Tagen, der Film, mit dem für Moshe die Beschäftigung mit dem Thema begann. Damals noch in Israel – ein Freund aus Deutschland hatte ihr das Magazin mit Bruno Ganz als Hitler auf dem Cover gezeigt. Und Moshe verstand aus dem Kontext ihrer eigenen Gesellschaft heraus nicht wirklich, warum die Deutschen ausgerechnet im Jahr 2004 anfingen, sich derart intensiv mit Hitler zu beschäftigen.

Im Nachhinein ist die Frage genauso offen. Aber in seinem Interview benennt Martin Wiebel einen Punkt, der wohl jeden, der sich mit Hitler beschäftigt, immer wieder verstört: Hitler bleibt, selbst wenn sich einer wie Ganz völlig in die Rolle hinein verausgabt, “eine völlig leere Figur. Kein Charakter, der Interesse weckt. Nicht wirklich Interesse weckt. (…) Mit dieser steifen Nicht-Anti-Figur kann man nicht mal richtig Markt machen.”

So viel die Forscher über die Person Adolf Hitler in den letzten Jahrzehnten erforscht und gefunden haben: Es ändert nichts. Es bleibt eine nicht-faszinierende Gestalt. Ein Ikonogramm in einer propagandistisch inszenierten Kulisse. Er ist wie eine Campbell’s Suppendose, die man unendlich oft vervielfältigen kann, das, was Moshe im ersten Teil seiner Analyse einen “Star” nennt. Wesentliches Kennzeichen eines Stars ist nicht seine Persönlichkeit, sein Leben, Denken oder Fühlen. Ein Star ist ein Produkt – die Essenz eines Käuferbegehrens, unendlich reproduzierbar. Und diese Ikonisierung zum Star begann schon unter Hitler – wer sich mit Hitler beschäftigt, hat es immer mit einer Inszenierung zu tun. Bis hin zur Wortwahl, die an der “LTI”, wie sie Klemperer bezeichnete, selten vorbeikommt.

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Hitler konstruieren
Yael Ben Moshe, Leipziger Universitätsverlag, 32,00 Euro

Ist dann nur noch die Frage: Was sehen all die Leute in Hitler, die sich auf all die Hitler-Titel im Hochglanzmagazin stürzen? Einen Star? Eine immer noch verstörende Geschichte? Oder ein riesiges Rätsel, von dem man irgendwann eine irgendwie fassbare Antwort erwartet? Man will ja selbst die finstersten Gestalten der Geschichte irgendwie verstehen. Das ist der Wunsch aller Leute, die am Lagerfeuer sitzen und begreifen wollen, warum das alles geschah.

Und das Faszinosum ist: Hitler bleibt – auch nach der eindrucksvollen Darstellung durch Bruno Ganz – eine leere Figur. Vielleicht ist es diese Angst, die das Hitler-Reich für viele Leute immer noch so eigenartig faszinierend macht: Es ist wie ein zwölf Jahre großes schwarzes Loch mitten in der jüngeren deutschen Geschichte. Und in diesem Loch läuft eine lächerliche Gestalt herum, die tobt und höhnt und wütet und eigentlich ins Irrenhaus gehört. Aber sie ist in den Geschichtsbüchern gelandet.

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