Mit dem Gedanken gespielt hat er schon länger. Doch jetzt, zum Jubiläum, musste der Band raus, fand Klaus Eberhard, emeritierter Physikprofessor, leidenschaftlicher Sammler der Leipziger Kunst und Inhaber des Hotels "Leipziger Hof", das er vor 20 Jahren, 1992, in der Hedwigstraße eröffnete.

Damals war es eines der ersten neu eröffneten Hotels in Leipzig. Eines der ungewöhnlichsten ist es bis heute. Denn Eberhard begann schon mit seiner Ankunft in Leipzig, sich eingehend mit der Leipziger Kunstlandschaft zu beschäftigen. Und er erlebte Leipzig noch in der Umbruchzeit. Vom August 1990 stammt der erste Tagebucheintrag. Noch geht es um den Erwerb des Gebäudes in der Hedwigstraße. Er erlebt auch die Verwaltung im Umbruch. Vieles geht noch unbürokratisch zu. Und eigentlich ist es eine ganz andere “Leipziger Schule” als die der Maler, die den Physiker neugierig gemacht hatte auf die Stadt – die alte Schule der Kernforschung um Werner Heisenberg an der Uni Leipzig.

Als er 1992 sein Hotel eröffnete, war schon klar: Hier wird er seine Freude an einem besonderen Hotel mit seiner Sammelleidenschaft verbinden. Im Kunsthotel “Leipziger Hof” schläft man tatsächlich mit Originalen. Über 450 Bilder umfasst Eberhards Sammlung heute, zusammengetragen mit Neugier – auch auf die Künstler. Was er hier vorlegt, ist natürlich kein Tagebuch, auch wenn die Einträge auf Monate und Jahre verweisen. Das hier ist überarbeitet, zu kleinen Kapiteln verdichtet, in denen Eberhard den Leser einlädt, ihn zu begleiten bei seiner Erkundungstour.Von der “Leipziger Schule” mit ihren großen Vertretern Tübke, Heisig und Mattheuer hat er schon gehört. Doch er will sich auf Hörensagen nicht verlassen, sondern nimmt Kontakt auf zu Galeristen, Kustoden, Kunstkritikern und Kunsthistorikern in Leipzig, zu Leuten, von denen er annehmen kann, dass sie die Szenerie und die Künstler kennen. Von ihnen lässt er sich begleiten und die ersten Kontakte knüpfen zu den Malern und Grafikern der Stadt, zu all denen, die auch in Leipzig einen Ruf haben – als Altersgenossen der großen Drei, als ihre Schüler oder gar die Schüler der Schüler, das, was man heute “Neue Leipziger Schule” nennt.

Er besucht sie zu Hause oder in ihren Ateliers, schildert die Gespräche in den Ausstellungen, im “Leipziger Hof”, am Telefon. Und das Bezaubernde ist: Er schildert die kunstschaffenden Zeitgenossen, wie er sie erlebt, wie sie mit ihm über die Veränderungen in der Stadt, in der Politik und in der Kunstwelt plaudern. Wie sie übereinander reden, einander loben oder kritisieren. Sie akzeptieren den neugierigen Neu-Leipziger, denn er kauft ihre Bilder in einer Zeit, in der die alten Galerie- und Kunsthandelsstrukturen nicht mehr funktionieren und auch die vorher kaufbesessenen Interessenten aus Westdeutschland auf einmal jedes Interesse verloren. Kunst aus dem Osten interessierte nicht mehr, als kein Reiz des Verbotenen mehr dabei war.

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Die frühen 1990er Jahre sind auch die Zeiten der Ressentiments, der abgebrochenen Diskussionen. Wer hat sich wie weit in das alte System verstrickt? Und wo hat er sich dabei als Künstler verraten oder gar verloren? – Eberhard spricht auch mit den drei Großen darüber, auch wenn er ein Weilchen braucht, sich ihnen anzunähern. Ihr Nimbus wirkt noch immer. Und was er in Gesprächen hört, vermerkt er. Es ist ein Farbtupfer mehr, der ihn die Welt der Leipziger Malschule besser kennenlernen lässt, die er beeindruckend findet.

Stück für Stück bekommt die Welt der Leipziger Maler in seinen Geschichten Kontur. Wird immer vollständiger – auch mit ihren Grabenkämpfen, die sie oft so nervend gemacht hat: da diejenigen, die mit ihren Privilegien immer gut lebten, dort die Abgesonderten, die damit nichts zu tun haben wollten, die ewigen Rebellen und die Klassiker, die sich so gut als Staatsmaler eigneten – aber nicht ganz. Jeder für sich ist eine Persönlichkeit. Da sind die Ego-Kämpfe der Museumsdirektoren. Längst vergessen, dass vor 1996 mit harten Bandagen gerungen wurde um einen neuen Platz für das Bildermuseum. Und um die Galerie für zeitgenössische Kunst.Aber auch um das künftige Profil der Hochschule für Grafik und Buchkunst, die sich dem neugierigen Sammler recht zerstritten darstellt. Noch kämpft der alte Rektor aus DDR-Zeiten, Arno Rink, um die anspruchsvolle technische Ausbildung in Malerei und Grafik – aber die neu berufenen Professoren aus dem Westen sind schon dabei, der Hochschule den Schwerpunkt Medienkunst zu verpassen und westdeutschen Kunsthochschulen anzugleichen.

Der letzte Tagebucheintrag stammt von 2004. Schon ab 1999 hat Eberhard das Material sichtlich ausgedünnt. Vielleicht, weil er damit der Gegenwart und den heutigen Diskussionen zu nah kommt. Das Jahr 2001 mit dem Anschlag auf das World Trade Center ist der Bruch. Man versteht es. Das Material erzählt es ja auch: Das war auch in der Leipziger Geschichte ein Bruch. Tübke und Mattheuer starben wenig später, das neue Bildermuseum auf dem Sachsenplatz wurde 2004 eröffnet – mit neuem Direktor. Und mit Neo Rauch feierte die “Neue Leipziger Schule” Furore. Einige ihrer Vertreter kommen im Buch vor.

Doch was Eberhard über seine eifrigen Besuche und Erkundungen in den 1990er Jahren schreibt, kommt einem jetzt schon wie ein Bericht aus einem längst vergangenen Zeitalter vor. Einem Zeitalter, in dem sich Leipzig eiligst verwandelte. Und in dem sich auch die Kunstwahrnehmung in der Stadt drastisch veränderte. Hier ist die alte “Leipziger Schule” noch einmal mit Namen, Gesichtern, kleinen Animositäten sichtbar. Mit kritischem Blick da und dort auf den Kunstmarkt, dem Qualität und Inhalte eher egal sind, wenn der Name des Künstlers nur verkäuflich ist. Worunter viele der wirklich guten Malerinnen und Maler in Leipzig natürlich auch existenziell gelitten haben und leiden.

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Zu Gast bei Mattheuer und Rauch
Klaus Eberhard, Seemann Henschel Verlag 2012, 19,90 Euro

So ist Eberhards “Tagebuch” natürlich auch ein Resümee – eher über die ersten zehn Jahre seines Kunsthotels und seiner Sammelleidenschaft in Leipzig. Ein echtes Zeitdokument, in dem der Neu-Leipziger neugierig sein darf – auch auf die Schattenseiten und Unpässlichkeiten der Berühmten und Nicht-so-Berühmten. Aber auch diese zehn Jahre füllen locker ein dickes Buch. Ein Fototeil zeigt den sammelnden Hotelinhaber mit seinen Künstlerfreunden und Gesprächspartnern. Erich Loest hat ein kurzes, launiges Vorwort geschrieben und spricht darin natürlich an, was fehlt: die große, mit Bildern gespickte Aufarbeitung dessen, was “Leipziger Schule” alles war. Aber auch er weiß: Das hätte den Umfang gesprengt. Denn ein dicker Bildkatalog würde es auch nicht fassen. Im Gründe müsste Seemann eine eigene kleinformatige Reihe anlegen – Leipziger Schule -, in der jedem Künstler und jeder Künstlerin, die dazugehören, ein eigener Band gewidmet ist.

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