Pferderennbahnen wirken heute wie Relikte einer vergangenen Zeit, als Geld noch nobel war und der Pferderennsport ein Wochenendvergnügen der Highsociety. Eine Sache für den Denkmalschutz. Aber eher nicht für ambitionierte Fotografen. Oder gibt es das Flair noch, das Bernd Heyden vor 40 Jahren in Schwarz-Weiß einfing?

Im großen Fotoband „Berlin – Ecke Prenzlauer” ist schon ein Teil der Fotos enthalten, die der 1940 geborene Berliner zwischen 1966 und 1972 auf den Berliner Rennbahnen einfing. Blicke in eine andere Welt, die damals schon überholt wirkte: Das Publikum, das der Seiteneinsteiger da ablichtet, ist ein anderes als in den Glanzzeiten der Pferderennen vor den beiden Weltkriegen. Doch die Spannung ist noch da und – wie in Hoppegarten – das Mondäne, der Versuch, große Welt zu leben. Freiräume in einer durchdeklinierten politischen Landschaft, wo noch andere Regeln galten.

Das Festtägliche am Rennen

“Was die Rennbahnen darüber hinaus boten, war eine ungewohnt rauhe Welt der Glücksjäger, Jockeys und Wettkönige, die noch in der Kultur der Vor- und Nachkriegszeit wurzelte und von den Verheißungen und Diktaten des realen Sozialismus kaum berührt schien”, schreibt Mathias Bertram, der Heydens Fotos von der Pferdebahn jetzt in einem eigenen Band gesammelt vorlegt. Fotos, die nicht nur zeigen, mit welcher Sicherheit Bernd Heyden die für ihn bis dahin fremde Welt eingefangen hat. Auch wenn die Welt der Rennen ihm nicht neu war – er hatte selbst eine Karriere als Radrennfahrer hinter sich.

Doch auf der Tribüne trifft er auf eine Gesellschaft, die ihn sichtlich faszinierte. Und nicht nur ihn. 1975 veröffentlichte „Das Magazin” erstmals eine Serie seiner Rennbahnbilder. Den Text dazu schrieb einer der bekanntesten Feuilletonisten der DDR, Richard Christ. Er fängt mit Worten ein, was Heyden mit der Kamera gesehen hatte. „Das Festtägliche am Rennen hat sich heute höchstens bewahrt in seiner Seltenheit, man kann nicht jeden Tag, jeden Sonntag zum Pferderennen gehen, nur aller paar Wochen in der Sommersaison ist Renntag”, schreibt er in seinem Text „Rennbahn-Impressionen. „Die Plakate, in der Stadt verteilt, sind wie ein verstecktes Signal, das Verschworene zusammenfinden läßt vor den Toren der Stadt, wo sie einen Nachmittag lang eine Gemeinschaft bilden, aber anders als auf den Arenen der Sportstadien.”

Er beobachtet die spindeldürren Jockeys, den Alten, der von Kaisers Zeiten und illegalen Buchmachern prahlt, den alten Mann auf der Bank, der nur noch auf die Lautsprecherdurchsagen achtet, und von den „wenig geschmackvollen Geschenken”, die dem Sieger des Rennens überreicht werden. Ein Foto von Heyden dazu spricht Bände: Die abgestellten Siegerkränze hinterm Schuppen.

Gewonnen und zerrronnen

Ein Blick in die Wetthalle, wo hunderte Männer stehen, miteinander debattieren über den „totsicheren Tip” (Richard Christ), die Wettzeitung aufgeschlagen und ernsthaft studierend. Dasselbe Bild zwischen den Rennen, ein kurzer Schwenk der Kamera auf den zigarrerauchenden Alten mit der Pelzmütze. Mancher sieht aus wie aus einem us-amerikanischen Gangsterfilm entsprungen. Andere stecken im knapp geschnitten Standardanzug der Zeit – und schauen genauso verzweifelt auf ihren Tippschein: Das schöne Geld ist futscht. Verloren in einem einzigen Rennen, das fürs menschliche Auge fest zu schnell ist. Die Kavalkade jagt vorbei – den Sieger und die Platzierten verkündet der Lautsprecher.

„Was wißt ihr jungen Springer bloß von der Rennbahn, so viel habt ihr nie in eurem Leben verdient, wie unsereins schon gewonnen und wieder verloren hat”, lässt Christ seinen erfahrenen Alten sagen. Aber darum geht’s wohl nicht. Das ist nicht, was all diese sonntäglich Aufgeputzten, ernst Dreinblickenden zur Rennbahn zieht, wenn wieder Plakate hängen in der Stadt. Viel zu schnell huschen die buntgekleideten Jockeys vorbei auf ihren Pferden. Manchmal auch Pferde ohne Jockey. Und futsch ist der Einsatz. Oder ein paar Pfennige sind gewonnen mit Platz.

Die Spannung liegt in den Gesichern. Auch das hat Heyden eingefangen – das Tribünenpublikum zwischen Hoffen und Bangen, hinten irgendwo hinter den Büschen hüpfen die Köpfe der Jockey. Liegt der Favorit vorn? Heyden lichtet die Gesichter der Männer ab, wie sie da stehen, scheinbar gelassen. Aber das Mienenspiel sagt alles: Da sind ein paar schöne Geldscheine unterwegs. Und gerade entscheidet sich alles.

Die Lust an Sieg und Niederlage

Ein kleiner Fotoband nicht nur für Freunde des Pferdesports, der vielleicht gar kein Sport ist. Nicht ohne Grund fühlt sich Richard Christ an seine Kindheitserlebnisse im Zirkus erinnert. Ein Fotoband für Heyden-Freunde sowieso. Aber auch für all jene, die diese intensiven Blicke faszinierend finden in die gar nicht so tiefen Abgründe, die in den Menschen schlummern – ihre versteckte Lust auf Sieg und Niederlage, die Spielleidenschaft, die auch das Publikum auf der Tribüne miteißen kann – in Jubel oder Enttäuschung.

Vielleicht ist es das, dieser kurze Moment, für den sich vielleicht sogar ein kleiner Einsatz lohnt – das Mitfiebern – und dann doch enttäuscht werden. Und trotzdem konnte man den Atem der Glücksgöttin spüren. Auch wenn er irgendwie nach Heu roch und aufgewühltem Rasen.

Bernd Heyden „Auf der Rennbahn. Fotografien 1966 – 1972″, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2009, 14,90 Euro

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