Vertrauen ist essenziell notwendig für das Funktionieren von zwischenmenschlichen Beziehungen und Gesellschaften, das ist wohl Konsens. Was ist aber dieses Vertrauen?
Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hat sich am Abend des 29. Oktober, in Kooperation mit der Max-Weber-Stiftung, mit diesem Thema befasst. Im Rahmen der Reihe „Geisteswissenschaften im Dialog“ wurde die Frage gestellt „Vertrauen – naiv oder notwendig?“ Die Veranstaltung wurde von Ine Dippmann (MDR) moderiert.
Zum Versuch einer Klärung dieser Frage schickte die Akademie eine Historikerin, einen Politikwissenschaftler und einen Wirtschaftswissenschaftler in den Ring. Zur ersten Frage, was dieses Vertrauen eigentlich ist, stellte Prof. Dr. Ute Frevert, Historikerin und Präsidentin Max Weber Stiftung, die folgende Definition für den Begriff vor:
„Ich ziehe mich immer sehr gerne auf eine Definition zurück, die ich in der ersten großen deutschsprachigen Enzyklopädie, dem alten Zedler, gefunden habe. Wir sprechen so ungefähr über das Jahr 1842, als er Vertrauen definiert, als die Erwartung, dass mir mein Gegenüber, dem ich Vertrauen schenke, mit Wohlwollen und Sorgfalt gegenübertritt und an meiner Wohlfahrt interessiert ist. Also ein ganz stark moralisch und emotional aufgeladenes Konzept.“
Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht erklärte Prof. Dr. Hans Wiesmeth, Wirtschaftswissenschaftler und Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, das Vertrauen anhand der Spieltheorie.
„Es gibt in der Ökonomie sogenannte Vertrauensspiele und ein ganz einfaches geht so: Sie haben zwei Leute, die werden anonym ausgewählt, und wenn die erste Person einen bestimmten Betrag x der zweiten Person gibt, dann wird dieser, wenn der Betrag positiv ist, vom Spielleiter verdreifacht. Also, ich gebe 100 Euro meinem Gegenüber, er bekommt dann 300 Euro und jetzt kann diese zweite Person einen bestimmten Betrag an mich zurückgeben.
Wenn er mir 200 Euro gibt, dann hätte jeder von uns 100 Euro gewonnen. Das ist das, was man in der Ökonomie unter Vertrauen versteht. Wenn Vertrauen gebildet wird, dann meine ich, ich habe Vertrauen zu einer Person, weil ich davon ausgehe, dass wir beide gemeinsam mehr erreichen können, als jeder von uns beiden alleine.“
Der Politikwissenschaftler Dr. Sebastian Schwecke vom Max Weber Forum for South Asian Studies in Delhi brachte noch eine andere Perspektive ein. Er stellte das Verhältnis von Vertrauen und Misstrauen dar.
„Es gibt ja ein Kontinuum zwischen Vertrauen und Hoffnung. Sie haben eine Erwartungshaltung an die Zukunft, die sie sozusagen nicht wissen können. Und hier können Sie hoffen oder vertrauen. Das bedeutet auch, dass der Gegensatz bei Ihnen nicht Misstrauen und Vertrauen ist, sondern Misstrauen ist konstitutiv für Vertrauen. Wenn Sie vertrauen, dann misstrauen Sie auch, ansonsten würden Sie ja wissen, was in der Zukunft passiert.“
Bei der Betrachtung des Vertrauens, besonders aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht, spielen immer Interessen der Akteure eine große Rolle. Was für sie dieses „wohlverstandene Eigeninteresse“ ist, sagte Prof. Frevert.
„Der Begriff des Interesses ist ganz zentral. In einer Vertrauensbeziehung geht man davon aus, dass der eine das Interesse hat, den anderen nicht zu enttäuschen. Das macht er nicht, weil er dem anderen wohl will, sondern das macht er aus wohlverstandenem eigenen Interesse.“
Wem vertraut man, gibt es Marker für vertrauenswürdige Menschen oder kann man sich da irren? Prof. Frevert schilderte am Beispiel einer englischen Dame, die von einem vertrauenswürdig scheinendem Herrn um Geld für einen Notfall gebeten wird, dass die Marker nicht alles sind.
„Sie hat ihm aufgrund der Marker, guter Akzent, gute Kleidung, höfliches Auftreten, diese 50 Pfund gegeben und auch ihre Adresse aufgeschrieben, an die er diese 50 Pfund dann bitte zurückschicken sollte. Ja, wie es immer so ist, die 50 Pfund kamen nicht wieder bei ihr an und sie war tief, tief enttäuscht, weil sie sich darauf verlassen hatte, dass dieser Mann vertrauenswürdig sei, aufgrund von Zeichen, die er an sich trug und die sie so gelesen hat.“
Den Markern kann man nicht trauen, aber kann man nur ehrlichen Menschen vertrauen? Wie erkennt man diese und ist Ehrlichkeit wirklich wichtig für die Vertrauensbildung? Dr. Schwecke beschrieb einige seiner Erkenntnisse.
„Ich nehme ein ganz klassisches Beispiel, Korruption. Korruption gibt es überall. Wenn Sie ein System haben, das stark von Korruption durchdrungen ist, bedeutet das, dass es sehr viele Vertrauensbrüche gibt. Und Sie müssen trotzdem Vertrauen haben, Vertrauen ist notwendig. Das heißt, Sie müssen einer Institution vertrauen können, die Sie gleichzeitig als korrupt bezeichnen. Diese Institution muss sich also innerhalb einer gewissen Bandbreite des Handelns bewegen, damit sie als zwar als korrupt, aber noch innerhalb einer akzeptablen Bandbreite von Korruption, bezeichnet werden kann.“
Wem kann man vertrauen, ist Vertrauen immer ein Vertrauensvorschuss? Vertraut man Politikern oder Parteien, Wirtschaftsakteuren oder Firmen und Banken, Menschen oder Institutionen?
Vertrauen hat auch kulturelle Aspekte, wie die Diskutanten feststellten. Im asiatischen Raum ist es, wie Dr. Schwecke feststellte, die Person, zu der man Vertrauen hat. In unserer Gesellschaft ist es mehr die Institution der man vertraut oder auch nicht.
Vertrauen junge oder alte Menschen eher und was sagen Umfrage und Vertrauensbarometer wirklich aus? Ist das Vertrauen ein Gefühl oder Kalkulation?
Aus dem Publikum kamen Fragen, wie: „Vertraue ich Menschen oder ihrer Kompetenz?“, oder „Wie wichtig ist Transparenz für die Vertrauensbildung?“ Nicht alle diese Fragen konnten in der Kürze der Zeit ausführlich beantwortet werden. Auch nach Ende der offiziellen Veranstaltung wurde weiter diskutiert.
Wie zu erwarten blieben viele Fragen offen, die Podiumsdiskussion gab aber allen Teilnehmenden viel Stoff zum Nachdenken. Wer sich die gesamte Veranstaltung ansehen will, findet den Livestream bei YouTube.
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