Am vergangenen Wochenende wurde in der Moritzbastei nicht nur die sechste Auflage des Leipziger Popfests gefeiert, sondern auch eine Premiere: Zum ersten Mal fand am Freitag, dem 23. August, die MINA, kurz für Mitteldeutsche Nachtkulturkonferenz, statt. Bisher sei man zu Netzwerktreffen und Konferenzen überall in Deutschland unterwegs gewesen, der Fokus auf die mitteldeutsche Region aber habe bisher gefehlt, verkündeten die Organisator*innen auf der Bühne im Keller der MB.

Auf die Beine gestellt wurde die MINA von Kristin Marosi, Leipzigs Koordinatorin des NachtRates, Nils Fischer, dem Fachbeauftragten für Nachtkultur, Theresa Kroemer, Kulturlotsin aus Erfurt, Xenia Reich-Hemmerich, die in der Kulturberatung in Jena tätig ist, und Nadia Schmidt, die in Halle (Saale) und Sachsen-Anhalt die Zusammenarbeit von Verwaltung, Politik und Freier Szene zu Themen der Musik- und Nachtkultur koordiniert.

In ihrem Grußwort ging Leipzigs Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke zuallererst auf den Stellenwert der Nachtkultur ein: „Sie ist ein zentraler Teil unserer Gesellschaft, Kultur und unseres Zusammenlebens. Erst eine lebendige Nachtkultur macht eine Stadt zur Metropole.“ Auch, dass die Stadt Leipzig in den letzten Jahren eine Verwaltungsstruktur zur Koordination des Nachtlebens aufgebaut hat, sei inzwischen spürbar, so Jennicke.

Evidenz schaffen für Weiterentwicklung und gezielte Unterstützung

Um die Bedeutung und die Struktur der Nachtkultur in Leipzig besser verstehen und koordinieren zu können, führt die Stadt seit einigen Wochen die erste Leipziger Club- und Livemusikspielstättenstudie (CLIV) durch. Noch bis Ende des Jahres werden Informationen gesammelt, die Licht ins nächtliche Dunkel bringen sollen: Mit welchen Verkehrsmitteln erreichen die Menschen den Club? Wie viel Geld lassen sie im Durchschnitt an der Theke? Wie viele Menschen arbeiten in der Nachtkultur in festen Angestelltenverhältnissen, wie groß ist der Anteil ehrenamtlicher Strukturen? Durchgeführt wird die Erhebung vom Kulturamt, dem Erhebungsinstitut Conoscope GmbH, dem Amt für Wirtschaftsförderung, dem NachtRat Leipzig und dem LiveKommbinat Leipzig e. V.

Erste Ergebnisse der Studie stellte Markus Schubert von Conoscope vor. Was viele wohl kaum verwundert hat: Wer ein Konzert, eine Party oder andere Veranstaltungen zu später Stunde sucht, wird in Leipzig an jedem Tag in der Woche fündig. Vielleicht ebenfalls nicht verwunderlich: Techno- und Metal/Rock-Veranstaltungen bewegen sich in der Beliebtheitsskala in den oberen Rängen.

„Wir haben diese Studie auf den Weg gebracht, damit wir Evidenz für das haben, was wir ohnehin wissen“, erklärte Jörg Kosinski vom LiveKommbinat Leipzig. Auch, wenn vieles erwartbar war: Mit den Schwarz-auf-Weiß-Ergebnissen sind den Akteur*innen der Nachtkultur und der Stadtverwaltung wichtige Belege für die Planung und Weiterentwicklung an die Hand gegeben.

Was wohl ebenfalls niemanden wirklich überraschte: Das Ausgehverhalten der Menschen hat sich seit der Corona-Pandemie verändert. Konzerthallen, Clubs und Offspaces haben mit dem Rückgang der Besucher*innenzahlen zu kämpfen. Zum Schmunzeln brachte die Zuhörer*innen indes vielleicht die Erkenntnis, dass sich 14 Prozent der Über-60-Jährigen, die in Leipzig die Vorzüge der Nachtkultur genießen, an Techno- und House-Musik interessiert sind.

Ein Thema auf dem anschließenden Panel war auch der hohe Anteil ehrenamtlicher Arbeit in der Leipziger Nachtkultur. Dem bisherigen Stand der Auswertung zufolge arbeiten 65 Prozent der Beschäftigten im Nachtleben im Ehrenamt. Oder, wie Anja Hähle-Posselt, die Leiterin des Amts für Wirtschaftsförderung in Leipzig, es ausdrückte: „Ein Großteil der Beschäftigten beutet sich selbst aus.“

Für Jennicke sei die Arbeit im Ehrenamt per se nichts Schlechtes, dennoch stehe die Frage nach Modellen, um unternehmerische Prämissen mit moralischen Prämissen besser vereinbaren zu können, im Raum. Wie die Ergebnisse der Clubstudie zeigten, stellen die Lohnkosten eines der größten Probleme dar, mit denen Akteur*innen der Nachtkultur zu kämpfen haben. Gleichzeitig fehlt es an vielen Stellen an qualifiziertem Personal.

Während letzteres schon länger bekannt ist, sorgte der geringe Anteil der Nachtkultur am Gesamtumsatz der Stadt dann doch für Überraschung beim Großteil der Anwesenden. Bisher sei die Nachtkultur eher ein Softskill, also eher von geringerer Relevanz, für die Wirtschaftsförderung, beschrieb es Hähle-Posselt. Dennoch dürfe nicht vergessen werden, dass sie – wenn nicht im großen Maße im touristischen Bereich – für viele Menschen ein Anziehungsfaktor darstellt, um sich dauerhaft in Leipzig niederzulassen.

Experimentieren und auch mal scheitern dürfen

Ein Wort machte auf dem Podium des Öfteren die Runde: Experimentieren. Viele sehnten sich nach Raum zum Ausprobieren. Dieser sei vor allem durch finanzielle Strukturen verschlossen. Eine Veranstaltung, die nicht genügend Geld einbringt, können sich die wenigstens Clubs und Livemusikspielstätten leisten. Gleichzeitig sind Aspekte der Wirtschaftlichkeit nicht unbedingt die besten Begleiter der Kreativität und eben – des Experimentierens. Wo nichts schiefgehen darf, weicht man kaum ab vom Altbewährten.

Kaum verwunderlich, dass sich viele Akteur*innen der Nachtkultur deshalb eine Regelung für den Bestandsschutz wünschen. Ebenso brauche es laut Nils Runge vom PopBüro der Region Stuttgart eine neue Bewertung der Lärmrichtlinien. Damit hätten viele Livemusikspielstätten zu kämpfen, oftmals befänden sich die Clubs in alten, unsanierten Gebäuden, entsprechende Schallschutzmaßnahmen seien teuer.

Auch gebe es immer mehr Beschwerden über den „sozialen Lärm“, also die nächtlichen Gespräche VOR dem Club und das Treiben auf dem Freisitz. Wie kann Einigung gefunden werden? Runge gehe es vor allem um proaktives Handeln. „Wir müssen sozusagen die Clubs von morgen schon heute schützen.“

Wie das funktionieren kann, zeigte ein Beispiel aus Köln, das Benjamin Thele von der Stabsstelle Kulturraummanagement der Stadt Köln vorstellte: Die Clubschutzzone. Dabei würden bereits in der Erstellung eines Bebauungsplans Sonderzonen festgelegt, die Clubs umfassen, die im Plangebiet liegen. In einem bestimmten Bereich um diese Clubschutzzone dürfen keine Wohnhäuser entstehen. So wird verhindert, dass Clubs oder Livemusikspielstätten aufgrund von Lärmbeschwerden geschlossen werden müssen.

Stadtentwicklung – wirtschaftlich oder sozial?

Im wahrsten Sinne des Wortes um Raum zum Experimentieren ging es auch im zweiten Paneltalk des Nachmittags. Unter anderem kam die Idee auf, leerstehende Räume in Innenstädten für Akteur*innen der Kultur zur Verfügung zu stellen. „Viele wollen etwas auf die Beine stellen und haben Lust, Konzepte auszuprobieren“, erklärte Tim Kolata vom Freiraumbüro Halle (Saale), das gemeinwohlorientierte Initiativen/Akteur*innen bei der Suche nach freien Räumen unterstützt. Viele Menschen sehnten sich nach Aufenthalts- und Möglichkeitsräumen jenseits von Konsum, so der gebürtige Hallenser.

In diese Kerbe schlug auch Prof. Dr. Frank Eckardt von der Bauhaus Universität Weimar. Der Sozialforscher mit Fokus auf Stadtentwicklung beschrieb eine Szene aus Weimar, wo vor allem Jugendliche über die letzten Jahre jeden konsumfreien Raum verloren hätten. Die Folge: Die jungen Menschen versammelten sich regelmäßig auf dem Unicampus, um dort „abzuhängen“. Kurze Zeit später wurde veranlasst, einen Zaun um das Gelände aufzustellen.

„Der Leerstand in der Stadt geht gen null, alles wurde ökonomisiert. Wir müssten als Stadt doch eigentlich gesellschaftliche statt wirtschaftlicher Ziele verfolgen. Wie ist der Zusammenhalt, wie wachsen junge Menschen auf und warum gehen sie weg?“ Womöglich müsse man das Konzept „Innenstadt“ generell neu denken. „Sauber und sicher war es lang genug, vielleicht muss man jetzt auch mal ein bisschen Dreck und Experiment zulassen.“

Eine weitere Folge des Clubsterbens bzw. der Verdrängung von Clubs und Livemusikspielstätten sowie nicht-kommerziell geführten Projekträumen sah Katja Lucker, die Geschäftsführerin der Initiative Musik, auch in der schwindenden Nachwuchsförderung. Kleinere Bands und Musikprojekte hätten weniger Chancen, auf der Bühne zu stehen, wenn der Trend sich mehr zur Monopolstellung einiger weniger großen Player entwickelt, so Lucker.

Generell gehe es der Musikszene zwar sehr gut, das betreffe allerdings immer weniger die Gesamtheit als einige wenige, die groß im Geschäft stünden. Für die Berlinerin lautet die Frage: „Wie können wir die unterstützen, die Nachwuchsförderung betreiben und dadurch auch Vielfalt erhalten?“ Immerhin werde die Hochkultur, also Oper, Gewandhaus und Co., seit jeher institutionell gefördert. „Vielleicht müssen alle ein wenig umdenken. Es kann nicht nur in der Hochkultur tariflich gedacht werden.“

Das sei zwar grundsätzlich richtig, dennoch, betonte Skadi Jennicke, werde in Leipzig viel getan, um die Freie Szene zu unterstützen und zu erhalten, man könne durchaus auf eine Erfolgsgeschichte zurückschauen. In dem Zusammenhang wurde natürlich auch das weniger erfolgreiche Ende des Instituts für Zukunft (IfZ) angesprochen, welches zum Ende des Jahres seine Pforten schließen wird. Viele befürchten nun, dass die Räumlichkeiten im Kohlrabizirkus, den die Stadt vor zwei Jahren kaufte, künftig nicht mehr für kulturelle Zwecke genutzt würden, gab Jörg Kosinski zu Bedenken. Er habe „die Hoffnung, dass man mit potenziellen Nachnutzer*innen mit ähnlicher Nutzung verhandelt“ und konnte Leipzigs Kulturbürgermeisterin ein klares Versprechen abringen: „Das ist schon besprochen, ich kann das zusichern.“

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