Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 66Dass eine Frau einen ganzen Salon erfüllt, hat es in der Geschichte der Menschheit bereits das eine oder andere Mal gegeben. Dass es eine geliehene Frau ist, die äußerst selten zu Hause rauskommt, ist allerdings besonders. Denn die „Viktoria“, welche als Trophäe von 1903 bis 1944 an den deutschen Fußballmeister verliehen wurde, geht sonst eigentlich nie auf Reisen.
Für den ersten Deutschen Fußballmeister hat der Deutsche Fußballbund (DFB) allerdings eine Ausnahme gemacht. Und so erfüllt die über 100-Jährige den 80 Quadratmeter großen Ausstellungsraum im Alten Rathaus, durch den der nunmehr ehemalige DFB-Präsident Reinhard Grindel bei der Eröffnung am 29. März ebenso geführt worden ist wie Oberbürgermeister Burkhard Jung oder der Sächsische Justizminister, Sebastian Gemkow.
Der Lok-Fan und nebenberufliche Fußballhistoriker André Göhre nahm die Prominenten mit in die Vergangenheit des Vereins, die man sich in Probstheida für die bis 12. Mai andauernde Ausstellung „125 Jahre VfB Leipzig – von den Sportbrüdern bis zum 1.FC Lok“ überhaupt erst mal mühsam wieder zusammenholen musste. Die Brüche in der Vereinshistorie bedeuten auch Brüche in den Archiven.
Oder anders ausgedrückt: Es gibt kein Vereinsarchiv beim 1. FC Lok – weder für den VfB Leipzig, noch für Lok. Nach der Wende müssen unzählige Dokumente und Relikte achtlos weggeworfen worden sein. Die neue Zeit war angebrochen, der Verein musste aus dem heutigen Hotel Diani ausziehen, was damals die Vereinsgeschäftsstelle war. Niemand achtete auf die Quellen der Vereinshistorie.
Dasselbe gilt für die Zeit vor 1945. Als deutsche Vereine 1945 auf Alliierten-Beschluss aufgelöst werden mussten, blieb wenig übrig von dem ohnehin durch Kriegseinwirkung arg eingedampften Quellen. Trotzdem hatte VfB-Präsident Dirk Sander im vergangenen Jahr die Idee, eine Ausstellung zu machen. Wohl wissend, dass alle Exponate durch mühsame Kerner-Arbeit zusammengesucht werden mussten.
Die Viktoria schickte der DFB per Post, die Trikots liehen Spieler. Henning Frenzel gab ein paar seiner Fußballschuhe, der Original-Wimpel vom EC-Finale 1987 oder ein Fanschal des Fanclubs „Club der Raben“ aus den Achtzigern. Eine Druckerei erstellte Metall-Aufsteller von Frenzel, René Müller und Camilo Ugi. André Göhre selbst hat gemeinsam mit anderen wochenlang ehrenamtlich an der Ausstellung, die in Kooperation mit dem Stadtgeschichtlichen Museum entstanden ist, gearbeitet.
Noch eine Stunde bevor der hohe Besuch ankam, ist noch gewerkelt worden. Denn aufgrund der Buchmesse konnte der Raum erst eine Woche vor Ausstellungseröffnung in Beschlag genommen werden. Davon weiß der Besucher, der die Tür des Grünen Salons durchschreitet, nichts.
Stattdessen sieht er diese schwarze Viktoria mit ihren Meister-Plaketten, die allerdings nicht die einzige Trophäe in der Geschichte des Ersten Deutschen Meisters blieb. Der 1. FC Lok gewann viermal den FDGB-Pokal. Alle diese vier verschiedenen Pokale sind in der Ausstellung zu finden, was insofern besonders ist, da sie bisher noch nie gemeinsam ausgestellt worden waren.
„Das ist quasi eine Weltpremiere“, so André Göhre. Wer den Pokal fünfmal gewonnen hatte, durfte ihn damals behalten. Insgesamt gab es fünf verschiedene Modelle, aber der letzte, der seit 1988 verliehen wurde, gilt als verschollen. Vom 1. FC Magdeburg bekam der VfB einen Abguss des Pokals, den Lok 1976 gewonnen hatte – das Original soll kaputtgegangen sein.
Dafür ist die Trophäe, die Frank Baum 1986 und 1987 überreicht bekommen hatte, seit 2016 wieder im Besitz des Vereins. Der FDGB-Pokal der Anfangsjahre, also der 1950er, ist übrigens aus Bronze, lagert sonst im Sportmuseum Leipzig und wiegt 40 Kilo. Wohl auch deswegen wurde er durch ein anderes, leichteres Modell ersetzt.
Der Tschammer-Pokal, den der VfB 1937 erkämpfte, ist allerdings genauso wenig zu sehen wie der Inter-Cup, den Drößler, Frenzel, Löwe und Co 1966 gewannen. Es war der erste internationale Erfolg einer DDR-Vereinsmannschaft. Die Spur des Inter-Cups verliert sich jedoch bei dessen letzten Sieger Eintracht Frankfurt. An den nationalen Pokalsieg 1937 erinnert aber noch die Siegermedaille vom Siegtorschützen Erich Dobermann.
Die FDGB-Pokale strahlen in einem kleinen Séparée links und rechts vom riesigen Mannschaftsfoto der erfolgreichsten Mannschaft des Clubs. Derjenigen, die 1987 in Athen im Europapokal-Endspiel gegen Ajax Amsterdam stand. Der damalige „Trostpreis“ liegt in einer Vitrine direkt neben dem Wimpel und über dem Spielankündigungsplakat auf Griechisch.
Ein Blickfänger ist auch das gelbe Adidas-Trikot, was die Spieler des FC Lok im EC-Finale trugen. Es ist nicht das einzige Trikot in der Ausstellung. Gleich direkt neben der Eingangstür ist hinter Glas das älteste noch erhaltene Fußballtrikot der Welt zu sehen. Adalbert Friedrich, der einzige VfB-Spieler, der bei allen drei Meisterschaften 1903, 1906 und 1913 dabei war, soll es 1913 getragen haben. Im Kragen sind die Initialen A.F. eingestickt.
„Adalbert Friedrich ist mit drei Deutschen und zwei Vizemeisterschaften bis heute der erfolgreichste Leipziger Vereinsspieler und nach Michael Ballack und Jens Jeremies sogar auf Platz 3 von Sachsen“, so André Göhre. Zu Friedrichs Zeiten trugen die Spieler das Hemd bis es vom Körper abfiel, die Fußballschuhe wurden weitervererbt.
Und auch von einem der besten Spieler der Fußballgeschichte findet sich etwas in der Ausstellung. Diego Armando Maradona ist für seine Dribblings, seine Tore, aber nicht für seine Armbanduhren berühmt gewesen. Diese verschenkte er bei seinem Europapokal-Gastspiel mit dem SSC Neapel im Oktober 1988 an alle Spieler, die für den 1. FC Lok auf dem Platz standen.
„Nach der Übergabe soll es vereinsinternen Stress gegeben haben, da ein Reservespieler diese dem verletzten Stammspieler übergeben sollte. Im Nachhinein soll es dadurch sogar zu Vereinswechseln gekommen sein.“ Namen will Göhre zu dieser Geschichte allerdings nicht verraten.
Auf einer Staffelei findet sich eine Reproduktion der Einladung zum „1. Allgemeinen Deutschen Fußball-Tag“ aus dem Januar 1900, unterschrieben von Ernst-Johannes Kirmse, dem damaligen Präsidenten des VfB Sportbrüder Leipzig und Vorsitzenden des Verbandes Leipziger Ballspiel-Vereine (VLBV).
„Aus dieser geht hervor, dass der VfB damals nicht nur Hauptinitiator, sondern im ehemaligen Leipziger Restaurant ‚Zum Mariengarten‘ auch Ausrichter und Gastgeber dieses Treffens war, das am 28.01.1900 zur Gründung des DFB führte“, so Göhre. Auch die zwei weiteren Initiatoren Ernst Raydt und Theodor Schöffler waren Aktive beim VfB Leipzig. „Ohne die Vorfahren des 1. FC Lokomotive Leipzig würde es den heute größten Sportfach-Verband der Welt in dieser Form wohl nicht geben.“
Es ist nicht das einzige Schriftstück, das Geschichte atmet. Camilo Ugi, der wohl beste Leipziger Fußballer vor dem 2. Weltkrieg und gleichzeitig der erste bezahlte Auslandsprofi, nahm 1912 für Deutschland am Olympischen Fußballturnier teil. Die Einladung des DFB für Ugi fand man 2005 unter der Vereinstribüne im Bruno-Plache-Stadion. Nun liegt sie im Grünen Salon.
„Eigentlich ist jedes Teil, welches in der Ausstellung zu sehen ist, ein Einzelstück und einmalig. Da wir nicht so viel Platz hatten, um alles, was wir gesammelt haben, unterzubringen, waren wir regelrecht gezwungen, auszusieben und nur die besten Stücke zu nehmen. Wenn man bedenkt, dass wir auf die olympische Silbermedaille von Dieter Kühn oder den Trainingsanzug von Maradona verzichten mussten, sagt das einiges“, betreibt Göhre noch einmal Werbung für die Ausstellung.
Geöffnet ist die Ausstellung noch bis zum 12. Mai täglich, außer montags, von 10:00 bis 18:00 Uhr, auch feiertags. Der Eintrittspreis beträgt 6,- € (ermäßigt 4,- €). Kinder bis 18 Jahren haben freien Eintritt. Dies gilt auch für jedermann an jedem ersten Mittwoch im Monat.
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