LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 63Wenn von sieben Geschwistern fünf in einer Backstube landen, um dort ihre Brötchen zu verdienen, handelt es sich zweifellos um eine ausgewachsene Bäckerfamilie. Caroline Braune ist eine der sieben. Ihr Vater Peter hatte die Bäckerei Vogel 1990 von seinem Vater übernommen. Mittlerweile wird die familiäre Bäckertradition in der fünften Generation weitergeführt und ist bereits seit 1965 in Rödlitz ansässig.
Aber in diesem guten halben Jahrhundert ist nicht viel so geblieben, wie es einst war. Gerade mit der politischen Wende machte sich eine Unzufriedenheit breit. Warum? Die gewohnte Qualität ging verloren. „Uns sind einerseits die Zulieferer weggebrochen“, erzählt Caroline Braune. „Die Mühlen wurden aufgekauft und stellten ihre Produktion um.“ Andererseits seien die Backmittelfirmen aus dem Westen aufgekreuzt – mit Backmischungen, die das gemahlene Getreidekorn ersetzten.
Wir alle kennen „aufgeblasene“ Brötchen als Ergebnis. Caroline Braune kennt Gründe und Hintergründe, um nicht zu sagen Abgründe. Konventionelles Mehl werde heutzutage zum Beispiel mit Ascorbinsäure versetzt als Oxydationsschutz. Und auch künstliche Enzyme würden standardmäßig dazugegeben, um die Backeigenschaften bequem zu verbessern. Da diese Zusätze unter dem mengenmäßigen Schwellwert von zwei Prozent bleiben, müssen sie nicht deklariert werden und werden auch nicht deklariert.
Auch herkömmliche Hefe ist von einer traurigen Wahrheit betroffen. Sie stammt nicht mehr aus der Getreidezucht. „Es handelt sich um Melassehefe“, so Braune. Melasse sei ein Abfallprodukt der Zuckerherstellung, die Zuckerpflanzen meist genmanipuliert und die Gärung der Hefe zudem nicht so bekömmlich für unseren Körper wie natürliche Milchsäuregärung der Reinzuchthefe.
Bio oder nur backen?
Eine Frage des Gewissens. Mitte der 1990er fängt Peter Vogel an, drei Sorten Bio-Vollkornbrot zu backen und Reformhäuser in der Zwickauer Umgebung damit zu beliefern. „Mein Vater hatte nebenbei seinen Ingenieur für Lebensmitteltechnologie gemacht, sodass es mit dem Wissen schwer wurde, mit gutem Gewissen Inhaltsstoffe zu verkaufen, die gar nicht in das Mehl und den Teig rein müssen.“ Andererseits müsse man mit selbst gemahlenem Vollkornmehl umzugehen wissen.
Außerdem beginnen Supermärkte und Großfilialisten massenhaft zu backen. Es muss eine Entscheidung her: groß werden als Bäckerei, irgendwie bestehen oder der Bio-Weg? Das neue Brot verkauft sich gut. Zur Jahrtausendwende sorgen die großen, neu gegründeten Bio-Verbrauchergemeinschaften in Dresden für zusätzliche Nachfrage. Die Stammkundschaft im Dorf erfährt zunächst wenig von der Wende. Für Familie Vogel verändert sich derweil die gesamte Lebensphilosophie. Und sie spürt zunehmend, wie schwierig es ist, den konventionellen vom Bio-Backbetrieb zu trennen.
Aber warum überhaupt selber mahlen? Dinkel, Weizen, Roggen täglich frisch. Weil Bio und Vollkorn nicht genug sind! Und damit alle wichtigen Inhaltsstoffe erhalten bleiben, wie sämtliche Mineralstoffe (Calcium, Magnesium, Eisen), Vitamine (B1, A und E), Ballaststoffe sowie der Keimling, welcher wichtige Fette und Vitamine enthält. Auch Bio-Vollkornmehl büßt binnen 14 Tage Lagerung etwa drei Viertel dieser Vitalstoffe ein. Und im Auszugsmehl fehlen diese ernährungsphysiologisch wertvollen Bestandteile sowieso größtenteils.
An die erste folgerichtige Bio-Zertifizierung 1996 schließt sich 2002 dann die Umstellung auf den noch strengeren Demeter-Betrieb an. Genau genommen hat der Demeter-Verband die strengsten Vorgaben. Im Rückblick erscheint vieles sinnvoll und zwangsläufig. Denn neben einzelnen Bäckern beschritten auch einige Bauern als Erzeuger sowie Mühlen den Demeter-Weg, formten den Sächsischen Ring, der heute als Demeter-Landesverband Sachsen fungiert.
Die Schwierigkeiten der Kehrseite
„Wenn wir es machen, dann richtig“, hatte Bäckerfamilie Vogel beschlossen. „Gute Zutaten waren ohnehin nur in Bio-Qualität zu haben“, betont Braune, die selbst Konditormeisterin ist. „Aber das einfache Umstellen geht in die Hose“, unterstreicht sie. Vollkornmehl reagiere komplett anders als Auszugsmehl. Restfeuchte sowie Eiweißgehalt und -qualität des Getreides würden mit jeder Ernte schwanken. Lebensmittelchemie ist eine zeitaufwendige Wissenschaft. „Ein Lehrling mit einer vier in Mathe hat keine Chance“, so die Konditormeisterin.
Aber so, wie sich Spreu und Weizen trennen, verändert sich auch die Kundschaft. Die normalen Bäckerkunden kommen weniger, dafür die von der Bio-Qualität Überzeugten auch aus größerer Entfernung. Das Liefergeschäft dominiert ohnehin. „Ein schwieriger aber richtiger Schritt.“ Denn das Ladengeschäft ist nur noch zwei Mal wöchentlich geöffnet – bis auf Doppelbrötchen alles Bio.
„Viele Kunden bemerken, dass unsere Backwaren bekömmlicher sind als Industrieware.“ Die von ernährungsbedingten Krankheiten Betroffenen sind dementsprechend nicht selten neue Kunden der Bäckerei Vogel. „Der Doktor hat gesagt, ich darf nicht mehr so essen“, berichten sie und wagen den Schritt des Umdenkens zur vollwertigen Ernährung.
Diese Umstellung auf gesund und Bio mag für Bäcker wie Kunden ähnlich schwierig sein. Dennoch ist es „DAS Richtige“, betont Caroline Braune zum Abschluss ohne jeden Zweifel.
Die Bio-Bäckerei Vogel im Netz www.biobaeckervogel.de
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