Fällt der Name Emmerich Kálmán, ist meist von der „Csárdásfürstin“ die Rede. „Die Herzogin von Chigaco“ findet sich dagegen nur selten auf den Spielplänen der Operettenbühnen wieder. In Leipzig verpassten Regisseur Ulrich Wiggers und Kapellmeister Tobias Engeli dem angestaubten Werk eine Frischzellenkur und feierten mit ihrem erfrischenden Konzept einen Publikumserfolg.
Warum eine Operette nicht wie ein Musical spielen? Mit Mikros, jeder Menge Tanz und großen Choreografien? Vielleicht, weil dem zugegebenermaßen altbackenen Genre so das letzte bisschen Glanz genommen wird. Der Trend weist heute klar zum Musical. Neue Operetten werden kaum noch geschrieben, was nicht zuletzt auf die Zwänge der Unterhaltungsindustrie zurückzuführen ist, die wiederum den Erwartungshaltungen des Publikums folgen.
Die Zuschauer sehnen sich heute nach mehr als Diven, die einsam an der Rampe ihre Lieder trällern. Musicalgänger erwarten ein Gesamtpaket, das sich nicht nur aus einer erstklassigen musikalischen Performance speist. Neben einer herzzerreißenden Story sind visuelle Effekte, schicke Kostüme und tanzende Darsteller unverzichtbar geworden, um bei der zahlenden Kundschaft zu reüssieren.
Insofern ist es nur konsequent, dass sich die Musikalische Komödie diesen Erwartungshaltungen beugt und Kálmáns „Herzogin“ zum Leidwesen von Puristen als hippes Broadway-Musical produziert. Musikalisch hat das Stück durchaus das Potenzial auch größere Säle zu füllen, wenngleich die Schlager-Dichte nicht so hoch ist wie bei der „Csárdásfürstin“, Lortzings „Zar und Zimmermann“ und Benatzkys „Weißen Rössl“.
Die zwei Stunden Musik, von Kapellmeister Tobias Engeli manchmal etwas zu zackig dirigiert, bewegen sich insgesamt auf hohem Niveau. Der Komponist zitierte reichlich aus dem Repertoire seiner Zeit, etwa Beethovens Neunte und die amerikanische Nationalhymne.
Diese „Herzogin“ ist ein Abend der großen Bilder. Jede Menge Foxtrott, Tango und eine Prise Wiener Walzer liefern den Soundtrack für die komplexen Choreographien Kati Heidebrechts. Nicht selten stehen über 30 Akteure gleichzeitig auf der kleinen MuKo-Bühne. Regisseur Wiggers und Ausstatter Leif-Erik Heine belassen den Stoff in seiner Zeit. Das intelligente Bühnenbildkonzept besteht aus einer Freifläche in der Mitte, zwei Balkonen an der Seite und zwei Treppen.
Der Raum dient gleichermaßen als Tanzbar und Prinzenpalast. Die Umbauten werden hinter geschlossenem Vorhang durch das Wechseln einiger Requisiten und Kulissenteile vollzogen. Ein Hingucker sind die detailvollen Kostüme, die die Mode der Epoche widerspiegeln. Die Schneiderei hat wieder einmal Großartiges vollbracht.
Im Blickpunkt stehen natürlich die Solisten. Lilli Wünscher sang in der Premiere am Samstag mit viel Wucht die energiegeladene Kaufmannstochter Mary Lloyd, die ein Auge auf den Prinzen Sándor und sein Schloss geworfen hat. Radoslaw Rydlewski sorgte in der Prinzen-Partie mit seiner dahinschmelzenden Tenorstimme für Gänsehautfeeling.
Der Adelsspross soll allerdings die stark lispelnde Prinzessin Rosemarie (Laura Scherwitzl, köstlich) heiraten. Zu dumm, dass die sich in Lloyds Begleiter James Bondy (Jeffrey Krueger) verguckt hat. Was werden die Väter von Lloyd und Prinz (Milko Milev begeisterte in einer Doppelrolle) zu dem Trubel sagen?
Ob die Geschichte mit einem Happy End ausgeht, soll an dieser Stelle offengelassen werden. Das Premierenpublikum war von der kurzweiligen Mischung aus Operette und Musical jedenfalls hin und weg. Mitwirkende und Inszenierungsteam ernteten Standing Ovations.
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