Das haben Leipzigs Unternehmen in den vergangenen 30 Jahren tatsächlich noch nicht erlebt. Eine derartige Ballung von Problemen und Krisen, dass eine Planung über die nächsten Monate kaum noch möglich ist: Energiekosten, Kraftstoffpreise, Rohstoffkosten, Lieferengpässe, steigende Arbeitskosten und dazu noch der nicht gelöste Arbeitskräftemangel – da fand Leipzigs IHK-Präsident Kristian Kirpal am Mittwoch, dem 9. November, auch nur noch die Beschreibung „besorgniserregend“.
„Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die gewerbliche Wirtschaft drastisch verschlechtert. Die Versorgungsprobleme mit Energie und Rohstoffen haben sich massiv verschärft und zu einem immensen Kostenanstieg geführt. In der Folge stürzen die Geschäftsaussichten der Unternehmen regelrecht ab“, beschreibt die IHK zu Leipzig die Ergebnisse der Konjunkturumfrage aus dem September / Oktober bei Leipziger Unternehmen.
Der IHK-Geschäftsklima-Index fällt gegenüber dem Frühjahr um 25 auf nur noch 85 Punkte. Damit dürfte die befürchtete Rezessionsgefahr nun zur Realität werden, schätzt die IHK ein.
Denn mit den rasant gestiegenen Energiekosten geht es ans Eingemachte. Bezahlbare Energie ist die Grundlage der kompletten Leipziger Wirtschaft. Und der Preisauftrieb seit Putins Kriegsbeginn hat mit aller Macht bloßgelegt, wie wenig vorbereitet die Leipziger Wirtschaft ist auf einen kompletten Wechsel der Energiebasis und den Verzicht auf billiges Erdgas und Erdöl aus Russland.
513 Unternehmen aller Branchen und Größenklassen mit insgesamt mehr als 27.000 Beschäftigten haben sich an der Konjunkturbefragung der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Leipzig in diesem Herbst beteiligt. Und bei vielen ist völlig unklar, wie das jetzt weitergehen soll.
Die Gretchenfrage: bezahlbare Energie
„Die kriegsbedingten Versorgungsprobleme mit Energie und Rohstoffen haben in den vergangenen Monaten viele Unternehmen an ihre äußersten Belastungsgrenzen getrieben“, sagt Kristian Kirpal, Präsident der IHK zu Leipzig. „Kostenbedingte Produktionseinschränkungen sind an der Tagesordnung, und es überrascht nicht, dass mit zunehmendem Pessimismus in die Zukunft geblickt wird.
Die bereits von der Politik beschlossenen Vorhaben zur Dämpfung der Energiepreise sind ein erster, jedoch unzureichender Schritt, um die Wirtschaft zu entlasten. Die Bundesregierung setzt auf kurzfristige Maßnahmen, die jedoch eine überzeugende und mittelfristige Strategie vermissen lassen. Dabei braucht es gerade jetzt Planungssicherheit für die nächsten zwei bis drei Jahre. Anderenfalls wird das unternehmerische Risiko unkalkulierbar. Es droht eine Welle an Insolvenzen und Geschäftsaufgaben.“
Dabei sind die Werte gegenüber der Frühjahrsumfrage noch einmal abgestürzt. „Das wirtschaftliche Umfeld hat sich seit der Frühjahrsumfrage spürbar verschlechtert“, so die IHK. „Nach wie vor belasten Lieferkettenprobleme die globalen Wertschöpfungsketten. Deutlich gestiegen sind seitdem vor allem die Energiekosten, welche wiederum die Betriebs- und Produktionskosten in die Höhe schnellen ließen. In über 40 Prozent der Unternehmen verschlechterte sich die Ertragslage. Der Lage-Saldo fiel um 13 auf 17 Prozentpunkte.“
Denn nicht alle Unternehmen können die höheren Preise für Energie und Rohstoffe an ihre Kunden weitergeben, die ja selbst schon unter der hohen Inflation leiden und deutliche Kaufzurückhaltung üben.
Eine derartige Ballung von Problemen gab es weder 2008, als die Finanzkrise auch sächsischen Unternehmen zu schaffen machte, noch in den beiden Corona-Jahren. Viele Unternehmen, so Kirpal, hab sich noch nicht einmal von den Folgen der Corona-Krise erholt.
Die Struktur der künftigen Energieversorgung fehlt noch immer
Dabei gibt es mit der 700-Millionen-Euro-Investition im Leipziger BMW-Werk sogar einen Lichtblick, so Kirpal: „Geplante Großprojekte und Investitionen in unserer Wirtschaftsregion, wie beispielsweise in der Automobilindustrie oder durch die Ansiedelung des Großforschungszentrums für Chemie-Transformation in Delitzsch sind Lichtblicke in diesen schwierigen Zeiten. Um gestärkt und mit Zuversicht aus der Krise hervorzugehen, bedarf es aber der intensiven und produktiven Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.“
An die Politik richtet Kirpal deshalb die Forderung, mit Investitionen und Konjunkturprogrammen gegenzusteuern. Das sind dann keine Beihilfen, sondern echte Aufträge für heimische Unternehmen.
Dafür geht es ihm mit dem Strukturwandel beim Kohleausstieg und dem Aufbau einer tragfähigen Wasserstoffregion viel zu langsam. Als Unternehmer weiß wer, was für langwierige Genehmigungsverfahren da zu bewältigen sind. Diese Entlastung auf der Versorgungsseite wird also in der aktuellen Krise nicht helfen.
Entsprechend verunsichert sind viele Unternehmer, wenn sie jetzt in die nächste Zukunft schauen: „Die aktuelle Energiekrise lässt in Verbindung mit Kostenexplosion und Materialengpässen die Geschäftsaussichten der gewerblichen Wirtschaft dramatisch einbrechen. Die Verunsicherung der Unternehmen ist so groß wie nie zuvor. Fast die Hälfte der Betriebe rechnet mit einer Verschlechterung ihrer geschäftlichen Situation. Der Prognose-Saldo stürzt von -7 auf -39 Prozentpunkte und damit unter das Niveau zu Beginn der Corona-Pandemie. In allen Wirtschaftsbereichen überwiegen die negativen Erwartungen.“
Auch das ein Novum. Denn so flächendeckend waren in den früheren Krisen niemals alle Wirtschaftsbereiche betroffen. Energie betrifft alle. Und erstmals ist – seit Beginn des Gaspreisanstiegs im Herbst 2021 – Energie so teuer geworden, dass die Produktion in vielen Unternehmen für Monate nicht mehr kalkulierbar ist. Abgesehen davon, so Kirpal, dass noch immer unsicher ist, wie die Entlastungspakete der Bundesregierung tatsächlich wirken.
Steigende Kosten treffen auf Fachkräftemangel
Was jetzt schon dazu führt, dass viele Unternehmen ihre Investitionsplanungen bereits seit Frühjahr nach unten korrigiert haben. Der Investitionssaldo fällt um 21 auf -16 Prozentpunkte.
„Viele Unternehmen halten sich mit Blick auf die ungünstigen bzw. unsicheren Wirtschaftsperspektiven mit ihren Investitionen zurück. Damit steigt die schon infolge der Corona-Pandemie entstandene Investitionslücke weiter an“, so die Einschätzung der IHK.
Und auch die Einstellungsbereitschaft sinkt. Mit einem großen Problem dabei: Viele Unternehmen leiden weiter unter Personalmangel.
„Aufgrund des ausgeprägten Personal- und Fachkräftemangels und der großen Zahl an unbesetzten Stellen dürfte sich die Zahl der Beschäftigten in der gewerblichen Wirtschaft insgesamt dennoch nicht verringern, sondern eher auf dem derzeitigen Stand stabilisieren“, beschreibt die IHK das Problem. „Gut die Hälfte der Firmen meldet aktuell offene Stellen.“
Der Fachkräftemangel bleibt also eins der großen Geschäftsrisiken in Leipzig. Auch wenn sich das Energieproblem mittlerweile ganz nach vorne geschoben hat auf der Sorgenliste Leipziger Unternehmer.
In der Einschätzung der IHK klingt es so: „Mit dem Stopp der russischen Erdgaslieferungen hat sich die Lage auf dem Energiemarkt weiter zugespitzt. Die Energiepreise sind weiter gestiegen, sodass dieser Faktor nach wie vor mit großem Abstand das größte Risiko (84 Prozent) für die Unternehmen darstellt. Auf den Rängen 2 bis 4 folgen unverändert die Faktoren Entwicklung der Kraftstoff- und der Rohstoffpreise sowie die Entwicklung der Arbeitskosten. Der Fachkräftemangel steht weiterhin an fünfter Stelle. Aufgrund der abflauenden Konjunkturentwicklung spielen auch die rückläufigen Auftragseingänge aus dem Inland wieder eine stärkere Rolle bei der Risikobewertung.“
Die Einschätzung in den einzelnen Wirtschaftsbereichen
Industrie: Die Energiekrise hat sich in den vergangenen Monaten zum Hauptproblem für den Industriesektor entwickelt. Dadurch hat sich die Geschäftslage der Unternehmen – trotz vielfach gut gefüllter Auftragsbücher – erheblich eingetrübt. Noch drastischer gehen jedoch die Geschäftsaussichten zurück. Die Unternehmenserwartungen erreichen den schlechtesten Wert seit Beginn der IHK-Konjunkturbefragung im Jahre 1991. Dies deutet auf eine schwere Rezession für die Branche in den kommenden Monaten hin. Die explodierenden Energiepreise und die hohen Produktionskosten gefährden die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen massiv.
Baugewerbe: Die Lage der Bauwirtschaft hat sich weiter verschlechtert. Die Preise für Baumaterialien bewegen sich auf einem historisch hohen Niveau, was wiederum die Baupreise in die Höhe treibt. Die Versorgungsprobleme mit Baustoffen bzw. -materialien, ebenso wie der Arbeits- und Fachkräftemangel sind unverändert groß. Darüber hinaus sind auch die Bauzinsen kräftig gestiegen. Auch wenn ein hohes Potenzial bei der Baunachfrage besteht, sind die aktuellen Rahmenbedingungen für gewerbliche und öffentliche Investitionen äußerst ungünstig.
Dienstleistungen: Nach einem Zwischenhoch spüren die Dienstleistungsunternehmen die schlechter werdenden konjunkturellen Rahmenbedingungen immer stärker. Auftragseingänge und Umsätze befinden sich in vielen Firmen im Abwärtstrend. Noch deutlicher geben jedoch die Geschäftsaussichten Anlass zur Sorge. Diese fallen auf den tiefsten Stand seit 2009 und lassen befürchten, dass sich die geschäftliche Situation für viele Unternehmen weiter zuspitzt.
Einzelhandel: Die Situation der Einzelhändler ist angespannt. In vielen Unternehmen sinken aufgrund hoher Energiekosten die Gewinnmargen und die Geschäftserwartungen lassen keine Besserung erkennen. Im Gegenteil: Diese befinden sich geradezu im freien Fall und erreichen den niedrigsten Stand seit 2002. Nach den beiden harten Corona-Jahren mangelt es vielen Einzelhändlern an finanziellen Rücklagen, um die Energiepreisentwicklung aufzufangen. Weiterhin vermindert der starke Preisauftrieb das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte nachhaltig, sodass Umsatzrückgänge bereits vorprogrammiert sind.
Großhandel: Auch der Großhandel kann sich der konjunkturellen Abwärtsbewegung nicht entziehen. Zwar war die Umsatzentwicklung zuletzt noch zufriedenstellend, jedoch belasten die steigenden Kosten die Unternehmen immer stärker und gefährden die Liquidität. Mit Blick auf die anhaltend gestörten Lieferketten und die schlechte Konjunkturentwicklung rechnen die Großhändler zukünftig mit rückläufigen Aufträgen aus dem privaten und den öffentlichen Bereichen. Die Prognosen fallen daher wesentlich skeptischer aus als bisher.
Verkehrsgewerbe: Im Verkehrs- und Logistikgewerbe erfolgte der drastische Stimmungseinbruch bereits im Frühjahr, als die Kraftstoffpreise rasant in die Höhe schnellten. Die aktuelle Lage hat sich nun auf niedrigem Niveau stabilisiert; die Aussichten bleiben jedoch weiter trübe. Angesichts der wirtschaftlichen Gesamtsituation befürchten die Unternehmen rückläufige Auftragseingänge und Umsätze. Ebenso drücken die Rekordpreise für Diesel und AdBlue sowie die gestiegenen Lohnkosten auf die Gewinnmargen. Auch der anhaltende Fachkräftemangel beeinträchtigt vielerorts die Geschäftstätigkeit.
Gast- und Tourismusgewerbe: Erwartungsgemäß hat sich die Lage im Gast- und Tourismusgewerbe im Sommerhalbjahr aufgrund höherer Gästezahlen wieder aufgehellt. Trotz Umsatzzuwächsen schmälerten jedoch die gestiegenen Kosten für Energie und Nahrungsmittel die Erträge. Die Geschäftserwartungen liefern keine Anzeichen für eine Entspannung der Lage, denn die Unternehmen sind zeitgleich mit explodierenden Kosten in den Bereichen Energie, Lebensmittel und Personal (Erhöhung Mindestlohn) konfrontiert. Hinzu kommen sinkende Konsumausgaben der privaten Verbraucher. Die Branche bleibt im Krisenmodus.
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