Die kommende Bundestagswahl dürfte spannend werden – auch in den beiden Leipziger Wahlkreisen. Etwas mehr als einen Monat vor der Wahl hat sich die Leipziger Zeitung (LZ) mit Kandidat/-innen aus dem südlichen Wahlkreis 153 zum Gespräch getroffen. Im ersten Teil des Interviews mit Jessica Heller spricht die CDU-Kandidatin über ihren Beruf, Missstände in der Pflege und warum sie mit ihren Forderungen der Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Stärkung des Sozialwesens bei der CDU gelandet ist.
Was hat Sie denn zur Kandidatur bewegt?
Zum einen haben meine Kollegen mich gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte in den Bundestag zu gehen. Zuerst konnte ich mir das nicht vorstellen und nur in Ruhe meine Stadtratsarbeit machen (lacht). Aber dann dachte ich mir, dass man in seine auch ein wenig Aufgaben reinwächst und vielleicht besser darin ist, als man denkt.
Hinzu kam dann natürlich auch die Situation in der Pflege, die schon vor Corona schlecht war. Aber die Leute sind jetzt auch dafür sensibilisiert und es wäre nicht schlecht ein paar mehr Pflegekräfte im Bundestag zu haben, damit die Ideen auch mal aus fachlicher Sicht besprochen werden können. Naja, und jetzt stecken wir voll in der Kampagne drin.
Die großen Themen Ihrer Kampagne sind ja das Sozial- und Gesundheitswesen, Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Nicht die typischen CDU-Schwerpunkte. Wie kamen Sie zur CDU? Haben Sie auch manchmal Zweifel an Ihrer Partei?
Ich finde es schade, dass es immer so wahrgenommen wird, als würde es in der CDU nur den Wirtschaftsflügel geben. Wir sind eine sehr breite Volkspartei, wir haben beispielsweise die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA).
Das ist ja auch das Schöne an der CDU: dass man es aushält, wenn Menschen andere Meinungen haben. Dass man diese erst mal annimmt und sich dann Kompromisse abringt, statt immer auf Zwang zu versuchen den anderen zu überzeugen. Sehr viele Menschen sind mittlerweile der Ansicht, der andere wäre böse oder unmoralisch, wenn er meiner Meinung nicht folgt. Das schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Natürlich hängt das auch viel mit den Leuten zusammen, die man trifft, die einen motivieren. In Leipzig war das bei mir die Junge Union, die sehr aktiv ist. Das hat mich dann auch zum Eintritt bewogen.
Bei den Grünen fand ich beispielsweise die Ziele immer wichtig und gut – um diese Ziele, Nachhaltigkeit beispielsweise, kommt unsere Generation ja auch gar nicht herum. Das ist existentiell. Mir hat bloß nie gepasst, wie die dahin kommen wollen. Das war einfach immer unschlüssig und realitätsfern. Auch wenn in der CDU vielleicht einige Bretter zum Bohren dicker sind, habe ich das Gefühl, dass die Lösungen für mehr Menschen gemacht sind und nicht nur für wenige, die es sich leisten können.
Jung und weiblich. Meinen Sie, dass diese Punkte für Ihren Sieg über den vorherigen CDU-Kandidaten im Wahlkreis 153, Thomas Feist, entscheidend waren? Steckt hinter Ihrer Nominierung eine Intention der CDU?
Ich hatte hier eher das Gefühl, dass man bei der Nominierung erst mal die Leute überzeugen musste das alles trotz der Jugend schaffen zu können. Natürlich sagen einige, dass es dadurch leichter sein könnte, den Wahlkreis zu gewinnen. Aber innerparteilich ist das anders, da muss man erstmal inhaltlich überzeugen.
Draußen beim Bürger habe ich das Gefühl, dass es natürlich gut ankommt, aber nicht das entscheidende Thema ist. Und mit 31 bin ich ja jetzt nicht mehr die Allerjüngste (lacht). Ein wenig Lebenserfahrung bringe ich außerdem schon mit. Was ich tatsächlich am meisten auf der Straße höre, ist: „Endlich mal ein Beruf, den man da oben braucht. Nicht der nächste Jurist, sondern eine Krankenpflegerin.“
Laut Ihrer Website halten Sie das Gesundheitswesen in Deutschland für sehr gut ausgebaut, die Pflegeberufe jedoch nicht. Das habe auch die Coronakrise gezeigt. Wie wollen Sie das ändern? Wie kann man die Attraktivität des Berufes erhöhen?
Viele Leute ergreifen gerne Pflegeberufe; die Pflege hat ein sehr hohes Ansehen. Aber egal, wie viele Leute wir für eine Ausbildung begeistern können oder aus dem Ausland anwerben: Wenn die Arbeitsbedingungen weiterhin so schlecht sind, verlieren wir sie wieder nach kürzester Zeit. Das ist natürlich ein Teufelskreis: Je weniger Personal, desto mehr Last liegt auf dem bestehenden Personal.
Wir können aber viel von anderen Ländern lernen. Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen Pflege kein Studium ist. Da geht es nicht darum, dass man Abitur braucht, um Pflegekraft zu werden, sondern eine Perspektive zu ermöglichen.
In Deutschland hat man dann entweder die Wahl zwischen dieser schweren, körperlichen Arbeit oder dem Pflexit (Anm. D. Red.: Wortkombination aus „Pflege“ und „Exit“; gut ausgebildete Pflegekräfte flüchten aus dem Beruf). International bleiben einem da oft noch viele körperlich weniger schwere, aber anspruchsvolle und wichtige Berufsfelder, die wir hier nicht haben. Beispiele dafür sind die Gemeindepflege und die Schulgesundheitspflege, also Schulpfleger, die sowohl für Notfallversorgung als auch für Präventionsmaßnahmen ausgebildet sind – und mehr für die Gesundheitsvorsorge von Kindern- und Jugendlichen tun können als Lehrer oder Schulsekretärinnen.
Außerdem haben wir über viele Versorgungslücken keine Daten, weil die Pflegeforschung fehlt. Das größte Problem bei alledem ist, dass Pflegekräfte in Deutschland nicht mit an den Tischen sitzen, an denen Gesundheitspolitik gemacht wird. Die Ärzte können da auch nicht stellvertretend sprechen. Es ist natürlich utopisch zu sagen, dass man all das in den nächsten ein bis zwei Jahren hinbekommt und wir dann mehr Pflegekräfte haben. Deshalb ist es ein wenig zu kurz gegriffen, wenn Leute sagen: „Herr Spahn, Sie haben das und das versprochen. Im Alltag kam bei uns nichts an. Sie haben versagt!“
In vielen Bereichen wurden Entwicklungen angestoßen. Trotzdem müssen wir nachbessern. Zum Beispiel beim Thema Pflegebudget. Außerdem haben wir die Bereiche der Professionalisierung und Akademisierung von Pflege lange verschlafen. Diese Probleme haben sich teils über Jahrzehnte angestaut und das löst nicht ein Minister, das geht über mehrere Legislaturen. Und so ehrlich muss man leider auch zu den Pflegekräften sein.
Der zweite Teil des Interviews erscheint am Samstag, dem 28. August.
Auf dieser Seite sammeln wir alle Interviews mit den Kandidat/-innen.
In der aktuellen Print-Ausgabe der Leipziger Zeitung (LZ) finden Sie einen Schwerpunkt zur Bundestagswahl.
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