Plastik wird verteufelt, auch das Fliegen. Unverpacktläden sind en vogue und retten elegant die Welt. Können Reparaturbetriebe für Schuhe, für Uhren und Schmuck oder für Unterhaltungselektronik da mithalten? Sind sie trendy genug? Und lohnt sich das Reparieren angesichts billiger Neuware aus Fernost überhaupt?

Der Geruch von Leder und Kleber steigt mir in die Nase, als ich den Schusterladen von Peter Baumann betrete. Die Einrichtung ist rustikal und unaufgeregt. An der vergilbten Wand fällt mir ein Plakat mit einem passenden Motto ins Auge: „Jeder sollte es kapieren, Umweltschutz heißt Reparieren. Gutem Schuhwerk lacht die Sonne, denn es braucht nicht in die Tonne. Wer sich für Qualität entscheidet, automatisch Müll vermeidet.“„Zu DDR-Zeiten sind sehr viele zum Schuhmacher gegangen“, erzählt Peter Baumann, „fast alle“. An manchen Tagen hätten sich vor der PGH Schuhmacher Warteschlangen gebildet, besonders am sogenannten Schnelldienst-Tag, wenn die Reparaturen bis zum nächsten Nachmittag erledigt sein mussten. „Da hatten wir bis abends um 22 Uhr in der Werkstatt zu tun.“ PGH? „Das heißt Produktionsgenossenschaft Handwerk. Es gab ja fast keine selbstständigen Schuhmacher“, erklärt Baumann freundlich.

Aber dann kam die Wende und mit ihr ein „kräftiger Einbruch“ des Kundenzuspruchs. Viele PGHs mussten schließen. Und es war außerdem sehr schwierig, „ein Ladengeschäft zu finden, um sich selbstständig zu machen“, blickt Baumann zurück. „In den 1990ern war ich so gut wie pleite und wusste nicht mehr, wo mir der Kopf steht.“ Um über die Runden zu kommen, reparierte er nicht nur Schuhe, sondern war zugleich Reinigungsdienst, Wäscheannahme und verkaufte auch Zeitungen.

„Zum Glück gibt es schon ein paar Jahre einen Umdenkprozess“, so Baumann. Spätestens seit dem Umzug in die Karl-Liebknecht-Straße 131 im März 2003 sind die Kunden zurück. Schuhe seien zum Glück spürbar teurer geworden und nur wenige geschäumte Kunststoffsohlen nicht reparabel. Das heißt genug Aufträge für Absätze, Besohlen, aber auch Reißverschlüsse.

Baumann ist seit 1966 im Beruf. Er konnte 2006 seinen Sohn zum Gesellen bewegen und hat seine Nachfolge geregelt. Als Lehrlingswart der Schuhmacher-Innung Leipzig-Halle-Brandenburg kann er zwar gelegentlich Schulklassen begeistern, die zu ihm kommen. Aber im Bereich der Innung gibt es im Moment nur einen einzigen Lehrling.

Ein ähnliches Problem sieht Michael Henne. Der 1958 von seinem Vater gegründete Familienbetrieb Radio Henne wird ohne Nachfolge schließen, wenn er in ein paar Jahren in Rente geht. Dabei habe die Reparierfreudigkeit der Kunden in den letzten Jahren wieder spürbar zugenommen – auch der Umwelt zuliebe. Henne erlebt den Umdenkprozess in seinem Geschäft in der Karl-Heine-Straße 56 ganz ähnlich.

„Ich mag Kunden, die ihr Gerät wertschätzen“, sagt er. „Ich habe selbst Geräte aus den 1990er Jahren, an die ich mich gewöhnt habe und die ich schätze.“ Auf seiner Werkbank wartet sogar ein Rekorder aus DDR-Zeiten auf seine Hilfe, der ihm aus dem Brandenburgischen eingesendet wurde. „Meine Erfolgsquote über alle Geräte – Plattenspieler, MC-Decks, Fernseher, Hifi-Geräte – liegt bei 95 Prozent“, berichtet er nicht ohne Stolz. Und sollte es keine Ersatzteile mehr geben, lötet und improvisiert Henne. Darauf gibt er auch Garantie.

Leipziger Zeitung, Nr. 91: Unschuldig verfolgt. Foto: L-IZ

„Das Reparieren von Gegenständen und Geräte ist ein wichtiger Bestandteil einer Gesamtstrategie für eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft“, betont auch Ralf Elsässer von der Geschäftsstelle Nachhaltiges Leipzig (früher Leipziger Agenda 21). „In Geräten steckt nicht nur Arbeit und Material. In diesen verwendeten Materialien steckt selbst auch Energie und Ressourcenverbrauch im Herstellungsprozess.“ Alles was zu einer Nutzungsverlängerung bereits produzierter Güter beiträgt, verbessere die Gesamtbilanz und trage somit zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise bei.

Die bekannte Nachhaltigkeitsstrategie „Reduce, Reuse and Recycle“, die schon vor mehr als 15 Jahren von Japan ausgegangen ist, müsste um ein viertes R ergänzt werden: Repair. Es geht um die absolute Reduzierung der Entnahme von stofflichen Ressourcen, auch mittels Nutzungsverlängerungen von Gütern, erläutert Elsässer. Demgegenüber beklagt Henne, dass „neue TV-Geräte vom heutigen Tag an nur zwei bis drei Jahre halten.“ Hifi-Geräte bzw. gute Marken etwas länger. Auf Fabrikate von Braun, Bose oder Panasonic lässt er nichts kommen, wohingegen Blaupunkt oder AEG „nur noch Worthülsen sind – Resteverwerter.“

Aber welche Kunden informieren sich so sorgfältig vor dem Kauf, um billigen Kaufanreizen zu widerstehen? Manches werde nur gebaut, um nach zwei Jahren weggeschmissen zu werden, stellt Henne fest. Einige Geräte wie batteriebetriebene Lautsprecherboxen, die sich schon nicht einmal zerstörungsfrei öffnen ließen und in denen zwischen einem Kilo Heißkleber ein bisschen Elektronik versteckt sei, disqualifiziert er als „Joghurtbecher“.

Auf 116 Jahren und vier Generationen Familientradition blickt David Junghähnel. Und auch der Juwelier und Uhrenladen bestätigt: „Zu DDR-Zeiten wurde viel mehr repariert.“ Dennoch sei Schmuck unverändert langlebig und lohne die Reparatur. Ein Trauring wird auch nicht ständig neu gekauft.

Anders sieht es bei Modeaccessoires aus, zu denen vermehrt auch Uhren zählen. „Ich beobachte seit Jahren, dass mehr auf das Äußere Wert gelegt und nur der Name gekauft wird“, berichtet Junghähnel. Die modernen Uhrwerke würden oft aus Fernost stammen, seien weniger hochwertig, immer einfacher und preiswerter. Dafür sei das Gehäuse aus Edelstahl.

„Eine billige Uhr läuft auch, nur dass sich eine Reparatur nicht lohnt.“ Oft werde dann höchstens das ganze Werk getauscht. Die Schuldfrage beantwortet Junghähnel ganz nüchtern: „Die Leute wollen Nachhaltigkeit, dann müssen sie sich bei den Kaufentscheidungen so verhalten.“

„Pandemie global gedacht“ erschien erstmals am 28. Mai 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.

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