Es war keine dumme Idee, in Leipzig ein „Bündnis für bezahlbares Wohnen“ aus der Taufe zu heben und alle Wohnungsmarktakteure an einen Tisch zu holen. Das machte auch die Pressekonferenz der Leipziger Wohnungsgenossenschaften am Donnerstag, 10. Juni, deutlich. Denn jeder einzelne Wohnungsmarktakteur hat eine völlig andere Sicht auf die Probleme.
Und dass die Schätzungen der Stadt zum Wohnungsleerstand in Leipzig nicht so recht passen zu den Zahlen, die die Wohnungsgenossenschaften aus ihrer eigenen Vermietungsstatistik kennen, ist auch nicht neu. Das Problem sind weniger die unterschiedlichen Zahlen.Auch wenn die Zahlen der Stadt mit 2,2 Prozent marktaktivem Leerstand schon eine sehr knappe Situation aufzeigen, die Leipziger Wohnungsgenossenschaft aber noch immer vier bis fünf Prozent marktaktiven Leerstand ausweisen, wie Nelly Keding, Vorstandsvorsitzende der Wohnungsgenossenschaft „Lipsia“ eG betont.
Die Zahlen bekräftigen eher, wie wichtig die Stimme der Wohnungsgenossenschaften im Bündnis für bezahlbares Wohnen ist.
Denn wer ins Detail schaut, sieht, dass Leerstand immer auch eine Frage der Lage ist. Es gibt Ortsteile in Leipzig, die sind schon seit Jahren „voll“, da sorgt allein die Knappheit noch verfügbarer freier Wohnungen dafür, dass die Mietpreise steigen und natürlich – wie in Connewitz – all jene Mieter/-innen unter Druck bringen, die sich ein Mietniveau über fünf Euro je Quadratmeter eigentlich nicht leisten können.
Die aber nicht unbedingt nach Thekla, Mockau, Sellerhausen, Möckern oder Grünau ausweichen möchten.
Wieder mehr Stadtteilentwicklung für Grünau, Mockau, Thekla …
Denn auch die Statistiken der Leipziger Wohnungsgenossenschaften zeigen, dass die Bestands- und Angebotsmieten da noch besonders günstig sind, wo auch die Leerstände höher sind. Da können Leerstände um die 9 Prozent in Grünau dann Leerstandsquoten von 2 Prozent in Leipzig-Süd gegenüberstehen.
Und die Forderung an die Leipziger Politik, sich nicht nur auf Neubau von sozialem Wohnungsbau ausgerechnet in sowieso schon attraktiven Ortsteilen rund ums Stadtzentrum zu konzentrieren, ist nur zu berechtigt.
Viel wichtiger, so Wolf-Rüdiger Kliebes, Vorstandsvorsitzender der VLW Vereinigte Leipziger Wohnungsgenossenschaft eG, wären neue Programme, die die Attraktivität von Ortsteilen wie Grünau oder Thekla wieder auf die Tagesordnung setzen. Denn da ist einiges eingeschlafen in den vergangenen Jahren, seit die Umbauprogramme um das Jahr 2000 beendet wurden und damit auch die auch von der Politik erhobenen Forderungen nach dem Abriss von ganzen Wohnkomplexen, worauf Jörg Keim, Vorstandsvorsitzender der Wohnungsbau-Genossenschaft Kontakt e. G., hinwies. „Wir haben uns alle daran beteiligt“, sagte er am Donnerstag.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Jetzt haben die Wohnungsgenossenschaften ein völlig anderes Problem, denn dass viele Wohnungen auch in Grünau in der Reserve sind und nicht vermietet werden, hat auch damit zu tun, dass man sie schlichtweg nicht zu wirtschaftlichen Konditionen saniert bekommt.
Es fehlt ein Förderprogramm für bezahlbare Sanierungen
Grund dafür sind einerseits die massiv gestiegenen Baupreise. Aber auch der Gesetzgeber hat mit seinen hohen Auflagen zur energetischen Sanierung, zu Brandschutz und Barrierefreiheit die Sanierungskosten explodieren lassen. Und zwar in solche Höhen, dass Wohnungen nach der Sanierung eigentlich für sechs Euro je Quadratmeter mehr vermietet werden müssten, um die Sanierungskosten einigermaßen abzudecken.
Aber der Gesetzgeber hat natürlich aus guten Gründen die Kappungsgrenze bei zwei Euro gesetzt, was die meisten Mieter/-innen in Wohnungsbeständen der Genossenschaften ebenfalls überfordern würde.
Auf den restlichen vier Euro je Quadratmeter würden die Genossenschaften sitzenbleiben. Ergebnis, wie es an diesem Donnerstag alle Sprecher/-innen der Wohnungsgenossenschaften betonten: Sie lassen diese Wohnungsbestände dann doch lieber unsaniert und unvermietet. Die Sanierung würde ihre Unternehmen wirtschaftlich schlichtweg überfordern.
Was Wolf-Rüdiger Kliebes dann in die Forderung bündelte, für die beiden Großstädte Leipzig und Dresden nicht nur das Förderprogramm für den Neubau sozialer Wohnungen zu öffnen (das derzeit besonders stark von der Leipziger Wohnungsbaugesellschaft LWB genutzt wird). Denn es gibt noch ein zweites Förderprogramm des Freistaats Sachsen, mit dem die Sanierung von Wohnungsbeständen massiv gefördert wird. Aber das bekommen nur Kommunen bis zu 300.000 Einwohner.
Was auch einerseits Sinn ergibt, wie Kliebes betont. Aber es bringt die Wohnungsgenossenschaften auch in Leipzig in ausweglose Situationen, wenn sie ausgerechnet jetzt, wo es eigentlich um die Aufwertung der Wohnungskomplexe in Grünau und Mockau usw. geht, genau diese Sanierungen nicht finanzieren können, weil sie am Ende Quadratmeterpreise aufrufen müssten, die sich ein normales Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft nicht leisten kann.
Bestandsmieten liegen noch bei 5,24 Euro
Die Geschäftsführungen der Genossenschaften sind sich sehr wohl bewusst, dass ihre Mitglieder auch vom Einkommen her eher nur Wohnungen im Bereich der 5 Euro kalt bezahlen können und auch die vom Freistaat Sachsen gewünschten 6,50 Euro im geförderten Wohnungsbau als massive Mieterhöhung empfinden würden.
Aktuell liegen die Bestandsmieten bei den Leipziger Wohnungsgenossenschaften mit durchschnittlich 5,24 Euro sogar ein wenig unter dem Durchschnitt der LWB. In die Neuvermietung geht man freilich auch schon mit 5,97 Euro kalt. Denn einfach umlegen auf andere Mieter lassen sich Modernisierungs- und Sanierungskosten nicht.
Die Genossenschaften sind auch bei der Wirtschaftlichkeit ihren Mitgliedern gegenüber verantwortlich. Und mit der LWB gemeinsam vertreten sie das wichtige soziale Element auf dem Leipziger Wohnungsmarkt. Immerhin haben die Wohnungsgenossenschaften 48.243 (von rund 330.000) Leipziger Wohnungen in ihrem Bestand, das sind 16,2 Prozent der Leipziger Mietwohnungen.
Und manche liegen sogar in Gebieten, wo der Stadtrat Bestandserhaltungssatzungen beschlossen hat. Vielleicht auch das nicht bis zu Ende durchdacht. Auch davon wurde auf der Pressekonferenz berichtet. Denn die Satzungen verhindern nicht nur den Umbau einfacher Wohnungsbestände zu Luxuswohnungen (was ja das Kernanliegen dieser Satzungen ist), sondern auch die eigentlich notwendigen Änderungen von Wohnungsgrundrissen, wenn Wohnungen den Bedürfnissen der Gegenwart (unter anderem der Barrierefreiheit) angepasst werden sollen.
In gewisser Weise fühlen sich die Wohnungsgenossenschaften von der Politik alleingelassen. Denn wenn das Ziel aller Beteiligten eigentlich ist, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen bzw. zu erhalten, dann müssen staatliche Förderprogramme auch die massiven Mehrkosten ausgleichen, die durch staatliche Verordnungen erzeugt werden.
Stocken jetzt die notwendigen Sanierungen?
Oder – das wäre aus Sicht von Kliebes die notwendige Ergänzung – die Mieter durch individuelle Unterstützung in die Lage versetzen, sich auch die durch Sanierung teurer gewordene Wohnung zu leisten. Ein Punkt, an dem das nach wie vor heftige Lohngefälle nicht nur zwischen West und Ost, sondern auch innerhalb ganzer Leipziger Bevölkerungsgruppen zum Thema werden müsste.
Helfen würde schon, wenn der Freistaat das Förderprogramm für Sanierungen auch für die Großstädte Dresden und Leipzig öffnen würde, so Kliebes. Und zwar ziemlich bald. Denn aktuell läuft man gerade hinein in diese Sackgasse, die schon bald zu einem weiteren Problem am Leipziger Wohnungsmarkt werden würde. Denn jetzt – über 20 Jahre nach den Modernisierungen in den 1990er Jahren – wäre eigentlich die zweite Sanierungswelle dran.
Aber davon lassen die Wohnungsgenossenschaften aktuell lieber die Finger, weil sie die Bestände so nicht im bezahlbaren Preissegment halten können. Wenn sie darangehen würden, würden sie die derzeitigen Mieter/-innen zum Ausziehen bewegen müssen. Und das, das wurde mehr als deutlich, wollen sie auf keinen Fall.
Was nicht heißt, dass sie nicht weiter investieren. 2020 haben sie insgesamt 134,6 Millionen Euro in ihre Bestände und in Neubau investiert. Der Lipsia-Turm, in den sie am Donnerstag zum Pressetermin eingeladen hatten, wurde 2020 fertig und ist aus Sicht der Lipsia ein wichtiger Schritt, auch ein Wohngebiet wie Grünau deutlich aufzuwerten. Gekostet hat er allein 14,2 Millionen Euro.
Nur ist den Wohnungsgenossenschaften eben auch bewusst, dass sie Neubau nicht zu Kaltmieten um die 5 Euro vermieten können. Der aktuelle Durchschnittspreis bei der Vermietung von Neubauwohnungen liegt bei den Genossenschaften bei 9,69 Euro je Quadratmeter kalt. Wer in Leipzig gut verdient, für den ist das kein Problem. Für die Menschen, die auf bezahlbaren Wohnraum im unteren Preissegment angewiesen sind, ist das freilich keine Option.
Vier Forderungen
In einem 4-Punkte-Program haben die Wohnungsgenossenschaften ihre Forderungen zusammengefasst:
1. Wohnkosten senken – auch städtische Hebel nutzen: Die Stadt muss alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um Nebenkosten und Umlagen externer Kosten zu senken und die Leipziger Mieter entlasten. Eine Prüfung aller kommunalen Entscheidungen auf Kostenrelevanz für das Wohnen ist fortwährend geboten.
2. Strategiewechsel in der Förderpolitik – Sanierung begünstigen: Damit sich viele aktuell noch preiswerte Wohnungen infolge des 2. Sanierungszyklus nicht verteuern, muss ein Schwenk hin zur Bestandsförderung erfolgen. Zudem bedarf es eines gleichberechtigten Gebrauchs von Subjekt- und Objektförderung. Beide Ansätze sind keine Alternativen, sondern sich ergänzende Instrumente einer sozialen Wohnungspolitik – Subjektförderung sichert vorhandene soziale Strukturen, Objektförderung den preiswerten Wohnraum.
3. Mietsteigerung bremsen – Nachfragedruck durch Quartiersentwicklung abmildern: Leipzig muss in allen Stadtteilen attraktiv gemacht werden, damit sich die Wohnraumnachfrage besser verteilt, der Mietanstieg gesenkt und soziale Brennpunkte verhindert werden. Mithin gilt es, sämtliche Ressourcen auf die Quartiersentwicklung in bisher benachteiligten Stadtteilen zu konzentrieren. Damit verbunden ist die Entschärfung und Zurücknahme überspitzter sozialer Erhaltungssatzungen.
4. Bedürftigen helfen – Unterstützung bei schwierigem Marktzugang: Gerade Menschen mit eingeschränkter Sozialkompetenz sind beim Wohnungswechsel auf eine niedrigschwellige Betreuung und Unterstützung angewiesen. Die entsprechenden Strukturen muss die Stadt vorhalten bzw. finanzieren.
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