Bio-Äpfel aus Neuseeland? Bio-Wein aus Südafrika? Bio-Hirse aus China? Es gibt einheimische Alternativen mit einer besseren Öko-Bilanz. Aber die globalisierten Wertschöpfungsketten, die mit ihrem vermeidbaren Ressourcenverbrauch die Klimakrise anheizen, lassen sich nicht leicht verändern.
Oder doch? Mitten in Plagwitz, in der Klingenstraße 22, hat Ende März das „Kesselkollektiv“ seine neue gemeinsame Produktionsstätte bezogen. Acht Leipziger Lebensmittelproduzenten teilen sich 550 Quadratmeter für: eine süße Küche, zwei würzige Küchen, eine Brauerei, eine Spülküche, einen Gastraum und ihre Leidenschaft für unterschiedlichste Gaumenfreuden. Aber auch andere lokale Unternehmen mieten sich hier temporär ein.Da, wo vor 90 Jahren die Firma Leonhard Holzbearbeitungsmaschinen fertigte, ehe sie Ende 1937 von der für ihre Pflüge weltbekannten Firma Rudolf Sack aufgekauft wurde, werden nun Brotaufstrich, Öl, Senf, Eis, Marmelade, Bier, Tempeh und Mittagessen kredenzt. Der Mittagstisch von Anne König und Moritz Mönnich (Rasselbock Catering) geht momentan natürlich nur to-go. Die Plagwitzer Kinderküche von Janina Kaphan und Georg Rößler kocht planmäßig für Tagesmütter und -väter.
„Das Herzstück ist das Lager“, erklärt Patrice Wolger von „Leipspeis“, Leipzigs erster Ölmühle mit Manufaktur für Brotaufstriche. Es wird ebenso gemeinsam genutzt wie Geräte und Küchenutensilien. Das spart Anschaffungskosten, erhöht die Ausnutzung und damit die Nachhaltigkeit. In hohen Regalen bis unter das Hallendach lagern Mehrwegflaschen und -gläser, außerdem Rohstoffe wie Salz, Ölsaaten, Zucker.
Alle Zutaten sind stets saisonal frisch und stammen möglichst aus der unmittelbaren Region oder zumindest aus Deutschland – mit Ausnahme des asiatischen Caterings. Sogar die Lupine und die Soja für den Tempeh von Umami Kulturgut von Marcel Ziegler und Niklas Hase wachsen in Deutschland – ebenso die Zutaten für die Plagwitzer Brauerei von Jakob Treige.
Bio-Qualität ist ebenfalls die Regel, nicht die Ausnahme. Und das Abholen der Rohstoffe von den Landwirten und das Ausliefern an Bio- beziehungsweise Unverpacktläden sowie Leipziger Supermärkte erfolgt teilweise auf zwei Rädern mit Lastenrädern oder Tiefkühl-Anhänger. Auch große Laufbänder gibt es im Kesselkollektiv nicht.
„Unsere Arbeitsplätze brauchen alle viel Handarbeit“, betont Matthias von „Rosenberg Delikatessen“. In seiner Ein-Mann-Manufaktur entstehen vor allem Fruchtaufstriche, Liköre und Marmeladen.
„Leipspeis“ steht für die würzig-herzhaften Aufstriche, aber auch Öle, Senf sowie Salz. Und wenn die Saline in Halle saniert wird, wie das derzeit der Fall ist, fehlt Salz in Wolgers Angebot. Nicht alle Erzeugnisse im „Kesselkollektiv“ sind vegetarisch oder vegan; jene von Johannes Rohrbach von „Brotzeit“ sind es aber schon, zum Beispiel Seitan-Aufstrich. Einen kühleren süßen Akzent setzt Manuel Emmelmann. Alle Eissorten seiner Manufaktur „Manusso“ werden von ihm nach eigener Rezeptur hergestellt.
„Wir teilen die Begeisterung für unsere Lebensmittel, für guten Geschmack und für Nachhaltigkeit“, betont Rosenberg. So etwas wie das „Kesselkollektiv“ und seine mit kurzen Wegen produzierten Lebensmittelerzeugnisse sind neu in Leipzig. „Wir kommen alle aus der Richtung des Produktes.“
Im „Kesselkollektiv“ stehen das betriebswirtschaftliche Kalkül und der Gedanke, damit ein üppiges Gehalt einzuspielen, nicht an allererster Stelle. Gemeinsam im Netzwerk weiterkommen, sich bei der Entwicklung neuer Produkte helfen, aber schon.
Drei der beteiligten Firmen waren bereits 2014 in der ersten Co-Working-Küche in der Naumburger Straße. „Wir sind gemeinschaftserprobt“, bestätigt Wolger, „wissen um die vielen Vorteile wie auch die stressigen Seiten. Und wir wollen es immer noch.“
In der Klingenstraße hat der Vermieter das Areal auf die Bedürfnisse des „Kesselkollektivs“ angepasst, die technische Gebäudeausrüstung komplett erneuert und die Fassade saniert. „Gefliest und gemalert haben wir selbst“, so Rosenberg. Nun muss nur die Pandemie abklingen, damit der Gastraum eröffnet werden kann und sich füllt – ebenso die Errichtung des Freisitzes.
Dann können die Gäste nicht nur speisen und sich mit allen Produkten des „Kesselkollektivs“ eindecken, sondern auch beim Kochen zusehen und den Brauprozess aus der ersten Reihe verfolgen.
„Öko? Logisch. (10): Das Kesselkollektiv eröffnet seine Produktionsstätte in Plagwitz“ erschien erstmals am 30. April 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.
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Ich schätze diese Initiative sehr und wünsche den Mitwirkenden viel Glück. Insbesondere die Produkte von Rosenberg-Delikatessen kann ich sehr empfehlen. Ich frage mich aber schon, warum von neun abgebildeten Personen gerade mal eine weiblich ist? Sind Frauen hier unterrepräsentiert, und wenn ja, warum?