Den Start als neue DGB-Chefin für Leipzig und Nordsachsen Anfang Februar erledigte Manuela Grimm ebenso geräuschlos wie die Einarbeitung in den anspruchsvollen Posten. Die 53-Jährige war zuvor viele Jahre als Arbeitnehmervertreterin und Betriebsratsvorsitzende im Nixdorf-Konzern tätig gewesen und hatte in den letzten beiden Jahren in Frankfurt am Main beim Vorstand der IG Metall gearbeitet. Zurück in ihre Heimatstadt kam Manuela Grimm gern. Nun ist sie seit 100 Tagen im Amt und sprach mit Gundula Lasch über ihre Visionen von Gewerkschaftsleben in der Stadt und dem Umland.
In vielen Bevölkerungsgruppen gibt es nur noch wenig Bezug zu Gewerkschaften. Erklären Sie uns, wozu wir Gewerkschaften auch heute noch brauchen?
Gewerkschaften sind damals wie heute Selbsthilfeorganisationen: Menschen mit gleichen Zielen verbünden sich und setzen sich gemeinsam gegenüber den Arbeitgebern für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen ein. Das ist bei uns der einzige Weg, dauerhaft Verbesserungen zu erreichen. Gute Arbeitsbedingungen fallen nicht vom Himmel. Es waren die Gewerkschaften, die z. B. bezahlten Urlaub oder sechs Wochen Krankengeld erzwungen haben. Davon profitieren heute alle Menschen, die angestellt sind, egal bei welchem Arbeitgeber.
Das ist, glaube ich, bei vielen in Vergessenheit geraten. Gewerkschaften sind die Lobbyorganisationen für Arbeitnehmer/-innen – das funktioniert nicht anders als andere Interessenvertretungen in der Wirtschaft, z.B. Arbeitgeberverbände. Ohne Gewerkschaften geriete unsere Demokratie in eine Schieflage.
Was sind die Hauptaufgaben des DGB hier in der Region und welche Ziele verfolgen Sie?
Vor allem gilt es, die acht DGB-Mitgliedsgewerkschaften unter einen Hut zu bekommen. Da gibt es viele Fragen und auch Konflikte zu klären und im Diskurs gemeinsame Handlungsfelder abzustecken. Neben den Konflikten in der Arbeitswelt geht es uns vor allem um den gesellschaftlichen Diskurs – der DGB steht auch für Gerechtigkeit, Antifaschismus und Antirassismus. In Leipzig haben wir einen guten Geist und Konsens, der rechten Gruppen wenig Luft lässt.
Da mache ich mir keine Sorgen. Aber was ich voranbringen will ist, dass sich Menschen aktiv um ihre eigenen Arbeitsbedingungen kümmern – das kann uns Politik nicht abnehmen. Mitbestimmung in den Betrieben stärkt unsere Demokratie. Die ökologische Transformation wird nicht gelingen, wenn sie auf dem Rücken der Beschäftigten vollzogen wird. Gewerkschaften weisen darauf immer wieder hin.
Unser Motto am 1. Mai hieß ‚Solidarität ist Zukunft’, das kann ich auf mich ganz persönlich beziehen: Gewerkschaften haben dafür gesorgt, dass ich ein gutes Leben habe. Und ich möchte, dass meine Kinder auch ein gutes Leben führen können. Gemeinsames Handeln ist der Schlüssel. Ich arbeite dafür, dass wieder mehr Menschen diesen Zusammenhang erkennen.
Gewerkschaft verbinden viele mit Streik und Ärger mit dem Arbeitgeber. Ist das wirklich immer so?
Keineswegs. Gerade in Leipzig gibt es eine Reihe von tollen Beispielen, wie Betriebsräte und Arbeitgeber zusammenarbeiten – zum Vorteil beider Seiten. Wie u.a. bei den Leipziger Stadtwerken. Dort konnte der Betriebsrat mehrere Betriebsvereinbarungen abschließen, mit denen transparente und verlässliche Regelungen bezüglich Homeoffice, Arbeitszeit oder Verbindlichkeit von digitalen Beschlussfassungen in Zeiten der Pandemie getroffen wurden.
Auch bei Porsche und BMW ist die Zusammenarbeit gut und die Arbeitgeber nehmen ihre soziale Verantwortung für die Stadt und die Beschäftigten wahr. Das konnte aber nur erreicht werden, weil diese Betriebe gewerkschaftlich gut organisiert sind und die Arbeitnehmer/-innen ihre Ansprüche klar formuliert haben. Aktuell sieht man das sehr deutlich: Sie wollen die drei Stunden mehr Wochenarbeitszeit als ihre westdeutschen Kolleg/-innen endlich bezahlt bekommen.
… und die vielen Solo-Selbstständigen in Leipzig, die durch die Pandemie schwer gebeutelt sind, aber keinen Betriebsrat gründen oder streiken können?
Auch die sind gemeinsam stärker als allein: ohne Lobby kein Einfluss auf politische Entscheidungen. Verdi unterstützt z. B. die Leipziger Initiative „Lehrkräfte gegen Prekarität“, in der sich selbstständig tätige Bildungsarbeiter/-innen zusammengeschlossen haben. Sie verlangen neben angemessenem Honorar unter anderem eine Aufnahme von Solo-Selbstständigen in die Arbeitslosenversicherung.
Anfang März suchte ich den Kontakt zu einer Leipziger Künstlerin, die sehr deutlich beschrieb, wie groß die Schwierigkeiten dieser Gruppe von Erwerbstätigen in der Pandemie ist. Meiner Meinung nach reicht es eben nicht, Missstände öffentlich zu skandalisieren. Wichtig ist, gemeinsam mit Gleichgesinnten in Aktion zu treten. Gewerkschaften können Plattformen dafür sein. Das neue ‚Haus der Selbstständigen’ in Leipzig macht sich gerade auf den Weg, Anlaufstelle für Solo-Selbstständige zu werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Homepage der DGB-Region Leipzig/Nordsachsen.
Mitgliedsgewerkschaften des DGB: IG Metall / Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di / IG Bauen, Agrar, Umwelt BAU / Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW / Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten NGG / IG Bergbau, Chemie, Energie BCE /
Eisenbahn-Verkehrs-Gewerkschaft EVG / Gewerkschaft der Polizei GdP.
Der monatliche Mitgliedsbeitrag wird in allen DGB-Gewerkschaften gleich berechnet: Er beträgt ein Prozent des Bruttoentgelts.
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