Die Auswirkungen der Corona-Politik gehen weit über finanzielle Einbußen und freiheitliche Grundrechte hinaus. Seit der erste Lockdown vor knapp einem Jahr begann, ist das berufliche Glück von Antonia Apfelbaum*, welches sie in einer Gastronomie-Agentur gefunden hatte, in Dauerwarteschleife. Ein Gespräch über einen ganz persönlichen Wanderarbeits-Weg durch ein Jahr Corona-Krise in der Gastronomie.
Worin liegen für Sie die Vorteile, bei einer Gastro-Agentur angestellt zu sein?
Zuerst einmal in der Flexibilität. Unterschiedliche Aufträge und Einsatzorte bedeuten eine schöne Abwechslung. Trotzdem hatte ich mich bald auf drei bis vier Häuser spezialisiert und gut in das jeweilige Kollektiv der Festangestellten eingepasst. Es ist mir wichtig, dass die Arbeitsatmosphäre stimmt und ich gut dazugehöre.
Und wenn doch mal etwas schiefläuft, kann ich mich ein paar Tage oder auch Wochen rausnehmen, also andere Dienste annehmen. Das geht als Festangestellte nicht. Außerdem wollen die Auftraggeber gute Aushilfskräfte, die auch nicht ständig wechseln, sodass sie unsere Arbeit wertschätzen. Zumindest schien es mir so. Diese Stellung – halb drin und halb nicht – bietet wirklich mehrere Vorteile.
Was bedeutet drei bis vier Häuser?
Das bedeutet: die Messe und vor allem auch die Hotels Westin und Steigenberger. Als ich vor sechs Jahren zu meiner Agentur kam, hat das sehr schnell gepasst, zum Beispiel in den großen Frühstücksbuffets mit 400 Gästen.
Aber dann kamen Corona und der erste Lockdown.
Ja, die Buchungen gingen schon ab Mitte März zurück. Es wurden keine Aushilfen mehr von der Agentur gebraucht. Zu der Zeit dachte ich noch, dass das alles viel zu hochgeschaukelt wird und dass mich das wenig betreffen wird. Selbst bei meinem letzten Dienst im Hotel habe ich nicht erwartet, dass sich das derart auf mein Berufsleben auswirken und es total verändern wird.
Wie hat es sich denn für Sie verändert?
Na ja, die Agentur hat sich erfolgreich um neue Kunden bemüht. Aber Fahrgastbetreuung statt Gastronomie ist überhaupt nicht mein Ding. Ich bin auch niemand für die Küche, auch wenn es dort mehr Geld gibt. Andere Dienste hat sich meine Agentur erst gar nicht getraut mir anzubieten. [lacht] Es gab sogar was mit Datenerfassung.
Ich war viel beim Konsum im Einsatz, mehrere Monate. Dort hätte ich auch Warenverräumung oder den Einlass machen können. Aber ich war meistens an der Kasse und kam gut klar. Immer in der gleichen Filiale in Mockau, die mit dem Fahrrad okay erreichbar war.
Dann kam wahrscheinlich Kurzarbeit?
Nein, Kurzarbeitsgeld habe ich erst später und auch nur ganz kurz im Juli bekommen. Ich war dann doch in einer Kantine, für den Caterer Dussmann. Aber das habe ich nur aus der Not heraus gemacht. In der Situation hatte ich einfach keine Wahl.
Also für andere meiner Kolleginnen und Kollegen mag das völlig okay sein. Aber ich war in der Gastro-Agentur immer glücklich mit meiner Arbeit. Und das war mir auch immer sehr wichtig. Aber seit Corona gibt es keine Arbeit in der Gastronomie und man muss sich mit so vielen Dingen arrangieren.
Dabei geht’s mir überhaupt nicht um finanzielle Sachen. Aber es nervt, wenn ich teilweise ungern zur Arbeit gehe.
Mussten andere Kolleginnen und Kollegen mit Kurzarbeitsgeld auskommen?
Soweit ich weiß ja. Man muss branchenfremde Arbeit ja auch nicht annehmen, sodass manche nicht beschäftigt werden konnten. Befristete Verträge wurden sicher auch nicht verlängert. Die studentischen Aushilfskräfte haben vermutlich alle aufgehört. Die Angestellten im Büro waren dann auch selbst lange in Kurzarbeit.
Eigentlich kann ich sagen: Hut ab, wie lange sich die Agentur mit Aufträgen aus dem Einzelhandel oder zur Datenerfassung über Wasser hält. Das betrifft auch die anderen Gastro-Agenturen.
Und wie ging es dann für Sie weiter?
Nach den drei Monaten im Herbst bei Dussmann kam die Kantine von BMW. Das hatte ich noch nie gemacht. Klar, ich hab‘s angenommen. Es war das einzige Angebot, das mir noch blieb. Aber in der Küche zu stehen, ist eben einfach nicht so mein Ding. Ich arbeite viel lieber als Servicekraft am und mit Menschen.
Aber ich habe ja schon unterschätzt, dass da zu manchen Zeiten kein ÖPNV hinfährt. Unser Dienst fängt nämlich eher an, aber der Bus ist auf die normalen BMW-Schichten ausgerichtet. Und manchmal dauert unsere Schicht nur drei Stunden. Da habe ich dann viel Fahrtzeit und komme kaum auf meine Arbeitsstunden.
Mittlerweile stecken wir, steckt vor allem weiterhin die Gastronomie, im zweiten Lockdown fest. Was wollen Sie tun, wie lange wollen Sie Ihrer Agentur und der Branche treu bleiben, wenn das so weitergeht?
Wenn es klappt, kann ich über die Agentur demnächst in einem Impfzentrum anfangen. Der Impfstoff ist sowieso vielleicht die große Chance, aus dieser Geschichte rauszukommen. Ich werde mich auch sofort impfen lassen, sobald ich die Möglichkeit bekomme. Außer dem Impfen wüsste ich keine andere Lösung, um zu einem normalen Alltag zurückzukommen. Es darf kein Teufelskreislauf sein, der nie aufhört.
Es ist doch schlimm, dass es schon so lange keine Tagungen, keine Messen, keine Reisegruppen gibt. Die Hotels sind auf Sparflamme geöffnet, viele Festangestellte in Kurzarbeit. Und die Azubis machen die wenige Arbeit, weil sie kein Kurzarbeitergeld bekommen können.
Auch die Kultur und Clubszene wird nicht als so wichtig wahrgenommen und bekommt weniger Unterstützung als zum Beispiel die Autoindustrie. Das ist unfair. Viele produzieren und arbeiten so weiter dicht an dicht, wie bisher.
Aber was wäre Ihre Alternative, wenn Gastronomie und Hotellerie doch noch länger geschlossen bleiben?
Ich würde immer einen Job bevorzugen, der mir Spaß macht, wo ich mich gut mit den Kollegen verstehe und die Atmosphäre gut ist. Geld ist nicht alles. Da kann ich mir eine Hose mehr leisten, bin aber nicht glücklich. Arbeit bestimmt ja schon unser Leben. Da will ich keine Unzufriedenheit mit nach Hause nehmen.
Ich wüsste nichts Besseres als Hotel-Gastronomie. Erst wenn alle Hoffnung stirbt, wäre der Job an der Supermarktkasse die einzige denkbare Alternative.
*Name geändert
„Wenn der Lockdown der Gastronomie alle beruflichen Wünsche auf Eis legt“ erschien erstmals am 26. Februar 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 87 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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