So wird das nie ein Bild. Auch wenn die Linksfraktion im Bundestag immer wieder anfragt – wie jetzt wieder nach Niedriglohn in deutschen Landen. Ein Thema auch für die Gewerkschaft IG BAU. Denn natürlich ginge es den Beschäftigen besser, wenn sie alle wenigstens den offiziellen Mindestlohn bekämen. Aber wie hoch ist der Anteil der Leipziger/-innen, die tatsächlich nicht mal den Mindestlohn bekommen? 14 Prozent, meint die IG BAU.
„Aktuell arbeiten in Leipzig 14 Prozent aller Vollzeit-Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Insgesamt rund 23.300 Menschen erzielen trotz voller Stundenzahl ein Einkommen unterhalb der amtlichen Niedriglohnschwelle von derzeit 1.885 Euro brutto im Monat (Wert für Ostdeutschland)“, stellt die Gewerkschaft IG BAU fest. Die Zahlen gehen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag hervor.
„Dass selbst eine Vollzeitstelle häufig nicht ausreicht, um finanziell halbwegs abgesichert zu sein, ist alarmierend“, sagt Bernd Günther, Bezirksvorsitzender der IGBAU Nord-West-Sachsen. In der Region zählten unter anderem die Landwirtschaft, die Gebäudereinigung und die Floristik zu den Branchen, in denen besonders wenig gezahlt werde. Grund dafür sei auch die schwindende Tarifbindung. „Je mehr Firmen aus Tarifverträgen aussteigen, desto schlechtere Karten haben die Beschäftigten. Es droht eine immer tiefere Spaltung des Arbeitsmarktes.“
Diese werde durch die Corona-Pandemie teils verschärft: Beschäftigte im Handwerk könnten nur selten Homeoffice machen. Wegen hoher Mieten in den Städten müssten sie zudem oft weite Pendelwege in Kauf nehmen. Der Gewerkschafter ruft die Unternehmen in der Stadt dazu auf, sich zu Mitbestimmung und Tarifautonomie zu bekennen: „Die Sozialpartnerschaft ist ein Erfolgsmodell, das den Beschäftigten – und den Betrieben – über Jahrzehnte wachsenden Wohlstand beschert hat. Sie darf nicht unter die Räder kommen.“
Nach Untersuchungen der Hans-Böckler-Stiftung profitieren davon auch die Firmen. In tarifgebundenen Unternehmen steige die Produktivität, Mitarbeiter seien motivierter.
„Aber auch die Politik ist am Zug. Sie sollte mehr für die Tarifbindung tun“, erklärt Günther und nennt das Beispiel des Maler- und Lackiererhandwerks: Dort haben Gesellen Anspruch auf einen tariflichen Mindestlohn von 13,50 Euro pro Stunde. Diese Lohnuntergrenze wurde von der Politik für die ganze Branche zur Pflicht gemacht. Zum Vergleich: Der gesetzliche Mindestlohn liegt aktuell bei 9,35 Euro pro Stunde. „Klar ist aber auch: Je mehr Menschen sich in den Gewerkschaften engagieren, desto mehr lässt sich gegenüber den Arbeitgebern herausholen.“
Aber: Was sagen die Zahlen wirklich?
Sie erfassen nur einen Teil des Leipziger Arbeitsmarktes – nämlich jene 166.000 Beschäftigten, die erstens in Vollzeit 40 Stunden arbeiten und zweitens sv-pflichtig versichert sind.
Tatsächlich aber gehen nach den jüngsten Ergebnissen der Arbeitsagentur Leipzig (März 2020) 277.000 Leipziger/-innen einer Arbeit nach. Wesentliche Bereiche werden also von der Anfrage der Linksfraktion gar nicht erfasst. Dazu gehören zuallererst sämtliche Teilzeit-Arbeitsverhältnisse – ein Gebiet, auf dem vor allem Frauen familienbedingt arbeiten. Nicht erfasst werden freilich auch sämtliche Formen der Selbstständigkeit.
Wen das alles betrifft, haben wir ja in der Corona-Zeit miterlebt – meist unter dem Stichwort Solo-Selbstständige, die sich eben nicht über einen Arbeitsvertrag absichern, sondern über Projekte, Aufträge und Engagements ihren Lebensunterhalt verdienen. Und da das großenteils ausfiel in der Corona-Zeit, schrammen viele jetzt am Rand ihrer Existenz. Gerade die Solo-Selbstständigen verdienen in Leipzig deutlich unterhalb des Mindestlohnniveaus – was übrigens seit der Bürgerumfrage 2018 vom Amt für Statistik und Wahlen auch abgefragt wird.
Im Ergebnis ist logischerweise auch in Leipzig der Anteil der Erwerbstätigen deutlich höher, die ein Einkommen unter Mindestlohnniveau haben. Deutlich höher als die genannten 23.000. Wie es freilich wirklich aussieht unterhalb des Mindestlohns, kann auch die Leipziger Bürgerumfrage nicht ermitteln, dazu ist das Raster der abgefragten Einkommen zu grob. Die Zahlen für 2018 lassen eher vermuten, dass die Hälfte der Leipziger Erwerbstätigen weniger verdient als in einem regulären 40-Stunden-Arbeitsverhältnis mit Mindestlohn.
Die auseinanderklaffenden Einkommenswelten der Selbstständigen in Leipzig
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