Wenn Leipzig aus der Abhängigkeit von Lippendorf aussteigen will, müssen die Stadtwerke neue Erzeugungskapazitäten mit einer Kapazität von rund 250 MW aufbauen. Da ist nicht nur das neue geplante Gaskraftwerk mit drei Turbinen, das auf dem alten Stadtwerkegelände an der Bornaischen Straße gebaut werden soll. Dazu gehören auch mehrere kleine Blockheizkraftwerke in den Stadtteilen, aber auch eine Vervierfachung der Speicherkapazitäten.
Aktuell besitzen die Stadtwerke schon Heißwasserspeicher, die in der Lage sind, 35 Megawatt für sechs bis sieben Stunden zu speichern. Mit diesen Speichern lassen sich auch kurzfristige Ausfälle in der Fernwärmelieferung überbrücken. Wenn die Stadtwerke ihre Fernwärme freilich komplett selbst produzieren wollen, müssen sie auch mehr Reservespeicher haben. Deswegen sollen noch 100 MW ergänzende Speicherkapazitäten aufgebaut werden.
Der beschlossene Transformationspfad sieht aber neben dem Bau konventioneller gasbasierter Kraftwerke auch den Ausbau von innovativer Kraft-Wärme-Kopplungs-Systeme (KWK), Solarthermie und Power-to-Heat vor. Konkret umfasst das den Neubau von solarthermischen und Biomasseanlagen sowie gasbasierten KWK-Anlagen bis 2023. Ab Mitte der 2020er Jahre ergänzt eine energetische Verwertung von Abfall mit hohem Heizwert das Zielportfolio der Erzeugungstechnologien. Das könnte dann ein Kooperationsprojekt mit der LEAG werden. Dazu kommen wir noch.
Das wesentliche Element der Transformation ist freilich auch der größte Baustein: die Errichtung eines flexiblen Gasturbinen-Heizkraftwerkes auf dem ehemaligen Kraftwerksstandort Süd in der Bornaischen Straße 120 bis Ende 2022. Die Planungen sind angelaufen, der erste Spatenstich soll im dritten Quartal 2020 erfolgen.
Die Pläne sind schon so weit gediehen, dass im August die erste Genehmigungsanmeldung eingereicht werden kann – die für das Baurecht an der Bornaischen Straße. Im Juli 2020 rechnen die Stadtwerke mit der Genehmigung, im August soll Spatenstich sein. Praktisch gleichzeitig soll die Genehmigung für die Gesamtplanung des Betriebs eingereicht werden. „2022 sind wir ganz klar in der Lage, uns komplett unabhängig zu machen von Lippendorf“, sagt Oberbürgermeister Burkhard Jung, der auch Vorsitzender des Aufsichtsrats der Stadtwerke ist.
Die Vorteile moderner Gaskraftwerke würdigt auch der Abschlussbericht der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung. Darin wird ausgeführt, dass zur Aufrechterhaltung einer zuverlässigen Stromversorgung auf dem heutigen Niveau gesicherte Kraftwerksleistungen mit möglichst geringen CO2-Emissionen benötigt werden. Nach aktuellem Stand der Technik können dies am besten – so die Ansicht der Kommission – Gaskraftwerke leisten.
„Auch aus Sicht der Leipziger Stadtwerke ist Gas-KWK eine Brückentechnologie, die perspektivisch den Einsatz zukunftsfähiger regenerativer und synthetischer Gasbrennstoffe für eine CO2-neutrale Wärmeversorgung möglich machen wird“, erläutert Dr. Maik Piehler, Geschäftsführer der Leipziger Stadtwerke, die langfristige strategische Ausrichtung des Unternehmens.
Brückentechnologie heißt: Mit Erdgas will man das neue Gaskraftwerk im Leipziger Süden, das bis zu 150 MW elektrische Energie (also Strom) und bis zu 180 MW thermische Energie (also Fernwärme) produzieren kann, maximal 15 bis 20 Jahre befeuern. Danach, so hofft auch Piehler, stehen andere, deutlich umweltfreundlichere Gase zur Verfügung, um die Turbinen zu betreiben. Denn natürlich bedeuten immer mehr Wind- und Solarstromanlagen, dass der Strom aus diesen Anlagen, der nicht sofort verbraucht werden kann, gespeichert werden kann. Dazu ist die derzeit günstigste Variante, damit Wasserstoff herzustellen, den man gut speichern kann. Die modernen Turbinen, die die SWL kaufen wollen, können auch Wasserstoff verbrennen.
Man habe sich auch schon von allen Anbietern Angebote eingeholt, sagt Rogall. Und so habe man auch schon erfahren, was es bedeutet, wenn immer mehr Kommunen und Länder jetzt auf umweltfreundlicheres Erdgas umsteigen und Gasturbinen kaufen: Die Preise sind schon deutlich gestiegen.
„Aber das haben wir schon in die Investitionsplanung der nächsten Jahre aufgenommen“, sagt Rogall.
Daher droht erst einmal kein Zeitverzug.
Der droht eher bei der Vielzahl von Genehmigungen und Gutachten für das Bauvorhaben. Daher sind sowohl städtische als auch Landesbehörden bereits jetzt dabei, dieses Projekt zu prüfen und die erforderlichen Genehmigungen zu erteilen. Der Vorbescheid des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zur Freigabe der KWK-Zulagen liegt den Stadtwerken bereits vor.
Diese KWK-Zulagen sind freilich keine Subventionen für den Bau, sondern werden nur für den tatsächlichen Betrieb der Anlagen zur Verfügung gestellt. Deshalb haben die Stadtwerke ein hohes Interesse daran, dass diese neue Anlage auch einen wesentlichen Beitrag für die Fernwärmeversorgung in Leipzig leisten wird. Und frühzeitig ans Netz geht. Denn die Förderung läuft nun einmal ab dem Tag, ab dem die Leipziger ihre Fernwärme aus dem eigenen Kraftwerk bekommen.
„Wir sind zuversichtlich, auch alle anderen Genehmigungen termingerecht zu erhalten. Das ist ein ehrgeiziger, aber machbarer Zeitplan, allerdings liegt dessen Einhaltung nicht allein in unserer Hand“, betont Piehler.
Wobei die Eigenversorgung mit Fernwärme für Leipzig kein Neuland ist. Der LEAG-Block in Lippendorf sichert nur 200 MW Fernwärmelieferung für Leipzig ab, die anderen 200 MW – wenn es so richtig kalt wird – erzeugt die SWL-eigene GuD-Anlage in der Eutritzscher Straße plus einige kleinere Blockheizkraftwerke im Stadtgebiet.
In den 400 MW stecken natürlich auch schon die Prognosen für die wachsende Stadt. Die SWL planen zwar nicht mit 720.000 Einwohnern im Jahr 2030.
„Es werden wohl ein paar weniger“, sagt Stadtwerke-Geschäftsführer Karsten Rogall. Er rechnet mit 650.000 bis 680.000. „Aber für diese Größenordnung sind die Pläne ausgelegt.“ 385 MW könnte die Stadtwerke ab 2023 mit eigenen Gas-Kraftwerken absichern. Dazu sollen noch 25 MW aus Abwärme kommen und 58 MW aus regenerativer Energie. Zum Beispiel von den vielen Solarthermieanlagen, die die Stadtwerke parallel auf eigene Flächen planen. Eine davon wird auf dem ehemaligen Kohlelager des einstigen Kohlekraftwerks in der Bornaischen Straße entstehen. Hier allein soll die Sonne bis zu 10 MW an Wärmeenergie erzeugen, die dann wieder in den Heißwasserspeichern zwischengespeichert werden können.
Der Standort an der Bornaischen Straße sei auch deshalb günstig, weil hier schon alle Anschlüsse existieren und die Transportwege kurz sind, betont Rogall.
Was eben auch der Nachteil eines möglichen Standorts in Lippendorf ist: Die langen Fernwärmeleitungen bedeuten nun einmal auch echte Energieverluste.
Die Nachricht von EnBW hat natürlich auch OBM Burkhard Jung erschreckt. Denn wenn wirtschaftliche Erwägungen die Kraftwerksbetreiber dazu bringen, ihren Block vom Netz zu nehmen, heißt das eben auch: Wirklich sicher ist Leipzigs Wärmeversorgung mit Lippendorf nicht dauerhaft.
Die komplette Selbstversorgung, so Jung, schaffe erst 100 Prozent Versorgungssicherheit für die Leipziger.
„Vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse ist noch ein wichtiger Aspekt zu ergänzen. Eine besondere Eigenschaft der zukünftigen Gasturbinenanlage ist die sogenannte Schwarzstartfähigkeit. Damit kann auch bei einem Ausfall des gesamten deutschen Stromnetzes in Leipzig die Versorgung insbesondere für Krankenhäuser und Rettungsdienste wieder hergestellt werden“, betont Rogall.
Heißt: Die Gasturbinen können auch ohne Strom in Netz gestartet werden. Und wenn sie dann laufen, können sie nicht nur Krankenhäuser und Rettungsdienste mit Strom versorgen. Die Stromerzeugung im neuen Kraftwerk kann auch die komplette Stadt mitversorgen.
Und der Betrieb der Gasturbinen bedeutet eben auch: Gasturbinen brauchen keine langen Anlauf- und Aufwärmzeiten. Bei Bedarf sind sie binnen weniger Minuten von Null auf Volllast.
Und eins betont Rogall noch: Der Einsatz von dezentralen CO2-armen Technologien in der Fernwärmeversorgung Leipzigs werde einen wichtigen Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen leisten. So kann zukünftig insbesondere der Schadstoffausstoß von Kohlendioxid, Stickoxiden und Schwefeloxiden in Leipzig um die Hälfte reduziert werden. Dieses Ergebnis bestätigt ein Gutachten der Technischen Universität Dresden.
Die TU Dresden hat dabei die Schadstoff-Äquivalente für die aus Lippendorf gelieferte Fernwärme errechnet, die künftig durch das neue Gaskraftwerk ersetzt werden. Die Fernwärme fällt ja in Lippendorf als Abwärme bei der Stromerzeugung an. Deswegen nur anteilig. Aber auch so entfallen auf diese Fernwärmelieferungen 263.904 Tonnen CO2 im Jahr, also ungefähr eine halbe Tonne pro Kopf der Einwohner. Das Gaskraftwerk wird nur noch 135.016 Tonnen CO2 produzieren. Das ist die erwähnte Halbierung.
Beim Feinstaub sieht es etwas anders aus, weil die 1,8 Tonnen aus der Verbrennung in Lippendorf dann zu 2,7 Tonnen werden, die dann im Leipziger Stadtgebiet emittiert werden. Das ist aber die einzige Verschlechterung. Die Erzeugung (anteiliger) Schwefeloxide sinkt deutlich von 220 Tonnen auf 33 Tonnen, die Emission des giftigen Quecksilber sinkt von 9,8 Kilogramm auf null.
Ein Schadstoff-Katalysator der neuen Gasturbinenanlage minimiert die Schadstofffreisetzung weit unter das Niveau der heute erlaubten Grenzwerte, betonen die Stadtwerke. Völlig frei von Umweltbelastungen ist die Energie der Sonne, die in Solarthermieanlagen zur Heißwassererzeugung genutzt wird.
Diese Anlagen würden in den Sommermonaten sogar genügend Wärme liefern, dass konventionelle Kraftwerke sogar stillstehen können. Auch das neue Gaskraftwerk. Große Wärmespeicher bevorraten nach dem Prinzip der Thermoskanne warmes Wasser und speisen es bei großer Wärmenachfrage wieder ins Versorgungssystem ein.
Und Oberbürgermeister Burkhard Jung formuliert noch das eigentliche Ziel: „Ziel unseres Leipziger Weges ist es, die Stadt langfristig völlig unabhängig von fossilen Energiequellen zu machen.“ Also auch vom Erdgas. Der Ausstieg aus der Braunkohle ist nur der erste Schritt.
Und was wird jetzt mit Lippendorf?
„Wir brauchen noch einen Plan B für mögliche Ausfälle“, sagt Burkhard Jung, also eine Art Rückfalllösung mit Lippendorf. Wie die aussehen könnte, kann er noch nicht sagen.
Aber Karsten Rogall skizziert schon eine mögliche Zusammenarbeit mit der LEAG in Lippendorf. Denn seit Jahren planen ja Leipzig und die umliegenden Landkreise auf der Deponie Cröbern eine thermische Abfallbehandlungsanlage. Denn bislang hat die Region überhaupt noch keine Lösung dafür, brennbare Abfälle auch thermisch zu verwerten, also nicht nur zu verbrennen, sondern daraus auch wieder Energie zu gewinnen. Rogall kann sich sehr gut vorstellen, das Lippendorf ein guter Standort für so eine Anlage wäre und dass die LEAG ein geeigneter Partner dabei wäre.
Werden dann auch die Leipziger Klärschlämme dort verbrannt?
Das nicht, betont Burkhard Jung, der schon so nebenbei erwähnt hatte, dass „die Klärschlämme ganz schnell vom Tisch“ gewesen wären in den frühen Planungen.
Das Thema haben jetzt die Leipziger Wasserwerke auf dem Tisch, die nach Aussage von Burkhard Jung mit Partnerunternehmen in Halle und Merseburg eine Lösung für die ganze Region erarbeiten wollen, bei der die Klärschlämme der Kommunen nicht einfach verbrannt werden, sondern der darin enthaltene wertvolle Phosphor wieder zurückgewonnen wird.
Bauen wollen die Stadtwerke ihr neues Kraftwerk vor allem mit regionalen Tiefbauunternehmen, Handwerkern und Ingenieurbüros. Und natürlich brauchen sie auch zusätzliches Betriebspersonal. Sie rechnen mit rund zusätzlichen 80 Fachkräften.
Und noch eins sei wichtig. Das betont Maik Piehler: „Modernste Erzeugungstechnologien in Kraft-Wärme-Kopplung mit hervorragenden Wirkungsgraden und die Einbindung von Speichertechnologien erhöhen die Wirtschaftlichkeit des Betriebs unserer Anlagen und gewährleisten wettbewerbsfähige Preise. Somit werden sich die Leipziger Kunden und Bürger auch in Zukunft auf Fernwärme als modernes, sicheres und attraktives Wärmeversorgungssystem verlassen können.“
Und, wie Jung ergänzt: Weiterhin relativ stabile Preise.
Denn die Energiepreise aus der Kohle werden schon in naher Zukunft deutlich teurer, wenn die CO2-Steuer endlich kommt. Und sie wird kommen. Deutschland kann gar nicht mehr anders, wenn es seine Klimaziele wirklich erreichen will.
Leipzig lässt den Fernwärmeliefervertrag aus Lippendorf 2022 auslaufen
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“Damit kann auch bei einem Ausfall des gesamten deutschen Stromnetzes in Leipzig die Versorgung insbesondere für Krankenhäuser und Rettungsdienste wieder hergestellt werden“, betont Rogall.
Da lehnt sich Herr Rogall aber ganz schön weit aus dem Fenster.
Sollte das gesamte deutsche Stromnetz ausfallen, dauert es mindestens Tage, um dieses wieder herzustellen.
Gasverteilung erfolgt regional/ überregional aber mit Strom. Da gibt es teilweise auch Notstromaggregate, die sind aber meist nur für 24h ausgelegt.
Wie man dann 2 Gaskraftwerke ohne Gas betreiben will, würde mich dann mal interessieren.
Unabhängig davon sind die genannten Vorteile der Anlage nicht zu bestreiten. Auch wenn ich mich persönlich nicht damit anfreunden kann, mitten in der Stadt noch ein Kraftwerk zu errichten.