Dass Leipzigs Stadtwerke jetzt tatsächlich an die Planung einer eigenen, von Lieferungen aus dem Kohlekraftwerk Lippendorf unabhängigen Energielandschaft gehen, hat mit einem Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 2017 zu tun. Der Stadtrat beauftragte den OBM, eine Exit-Strategie für die Leipziger Stadtwerke aus den Energielieferungen des Kohlekraftwerks Lippendorf entwickeln zu lassen.
In zwei Punkten hatten Grüne und Linke ihren Antrag fokussiert:
1. Die Stadt Leipzig bekennt sich zum Ausstieg aus der Braunkohleverstromung.
2. Die Stadt Leipzig legt dem Stadtrat bis zum 4. Quartal 2017 eine Exitstrategie zum Ausstieg aus dem Fernwärmebezug des Kraftwerks Lippendorf vor.
Die Stadtratsmehrheit stimmte zu, der OBM musste handeln. Er stieß dabei nicht auf Unverständnis bei den Geschäftsführern von LVV und Stadtwerken. Im Gegenteil. Seit 2016 arbeiteten Leipzigs Stadtwerke längst an einer eigenen Exit-Strategie. Oder besser: Sie prüften.
Denn nicht jede Art Energieversorgung eignet sich für die Vollversorgung einer 600.000-Einwohner-Stadt. Denn darum geht es. Und darum geht es auch nicht erst seit Einsetzung der Kohlekommission. Seit Start der Energiewende ist klar, dass auch die Kohlekraftwerke bald vom Netz müssen. Je eher, umso besser, denn sie tragen einen großen Anteil am als bedrohlich zu beobachtenden Klimawandel.
Wenn aber Kohlekraftwerke vom Netz gehen, brauchen Kommunen neue Systeme der Energieversorgung.
200 MW an Fernwärmelieferungen aus dem Kraftwerk Lippendorf müssen kompensiert werden, also künftig von den Leipziger Stadtwerken selbst mit eigenen Anlagen erzeugt werden. Erdwärme kommt in der Leipziger Tieflandsbucht nicht infrage, so Karsten Rogall, Geschäftsführer der Stadtwerke Leipzig. Biomasse und Solarenergie können im Leipziger Stadtgebiet nicht in ausreichender Größenordnung erzeugt werden.
Also bietet sich an, eine eigene neue Gasturbine zu bauen, die 150 Megawatt erzeugen kann. Befeuert natürlich mit Erdgas – genauso wie die GuD-Anlage, die die Stadtwerke schon in der Eutritzscher Straße betreiben. Erdgas erzeugt in der Verbrennung deutlich weniger CO2 als die wirklich schmutzige Braunkohle.
Wenn Leipzig so ein neues Gaskraftwerk baut und zusätzlich noch einen großen Wärmespeicher für 150 MW, mit dem auch die „überschüssige“ Energie aus Solar- und Windkraftanlagen gespeichert werden kann, kann es Leipzig schaffen, in den nächsten Jahren autark zu werden in seiner Energieversorgung.
Denn darum gehe es, betonte OBM Burkhard Jung, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Stadtholding LVV, am Mittwoch. Es wäre fahrlässig, eine Stadt wie Leipzig nicht auf den absehbaren Kohleausstieg vorzubereiten. An dem Tag, an dem in Lippendorf die Energieproduktion endet, muss Leipzig in der Lage sein, sich mit Wärme eigenständig zu versorgen.
Denn, so Karsten Rogall: Energiewende in den Städten ist vor allem Wärmewende.
Ganz unabhängig wird Leipzig dann ja noch immer nicht. „Der größte Teil des Erdgases kommt ja aus Russland“, sagt Jung.
Er betrachtet den Bau der neuen Gasturbine als Übergangstechnologie. Mit dem Umstieg auf das deutlich umweltfreundlichere Erdgas und den Bau einer mit 90 Prozent hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplungsanlage wird die Leipziger Umweltbelastung schon einmal deutlich gesenkt. Auch die Feinstaubbelastung übrigens, denn für einen Teil der Leipziger Feinstaubbelastung sind Bergbau und Kraftwerke im Leipziger Südraum verantwortlich.
20 Jahre lang könnte das der Grundstock der Leipziger Wärmeversorgung sein, dann – so hofft Jung – sind auch viele Technologien, die heute noch in der Erprobungsphase sind, endlich so einsatzfähig, dass Leipzig endgültig umsteigen kann auf nichtfossile Energieversorgung. „Power to Gas“, also die Umwandlung von Solar- und Windstrom in Wasserstoff, der gespeichert werden kann, ist so eine Technologie.
Mit Gasturbinen kann Leipzig diesen Übergang schaffen und riskiert vor allem nicht, dass mit einem Ausstieg aus der Kohle in der Stadt auf einmal die Wohnungen kalt werden.
Und – so Karsten Rogall – bis 2023 kann Leipzig es schaffen, die technischen Voraussetzungen für diese Autarkie zu bauen. Als Bauplatz für die neue große Gasturbine kämen die SWL-Standorte an der Arno-Nitzsche- und der Bornaischen Straße infrage. Allein die neue Turbine würde 150 Millionen Euro kosten.
Weitere 50 Millionen Euro sind vorgesehen für den Bau eines Biomasse-Kraftwerks und des 150-MW-Wärmespeichers. Zwei solcher Biomasse-Kraftwerke außerhalb der Stadt betreiben die Stadtwerke ja schon. Sie haben das notwendige Knowhow gesammelt, solche Anlagen zu betreiben. Biomasse soll künftig 25 MW zur Leipziger Energiebilanz beitragen.
Insgesamt wollen die Stadtwerke bis 2030 sogar 300 Millionen Euro in neue Energiestrukturen investieren. Ist das alles überhaupt bezahlbar?
Ja, sagt Michael Theis als Sprecher der Geschäftsführung der LVV, die die ganzen Großinvestitionen im Stadtkonzern steuert. Einerseits würden Stadtwerke und Wasserwerke genug Überschuss erwirtschaften, der für Investitionen eingesetzt werden könne – andererseits würde man natürlich Kredite aufnehmen. Und augenblicklich gäbe es auch ein wichtiges Zeitfenster, in dem der Bund erhebliche Fördermittel bereitstellt, mit denen der Energieumbau der Kommunen finanziert werden kann.
„Dieses Zeitfenster sollten wir unbedingt nutzen“, sagt Burkhard Jung.
Deswegen ist der Startschuss für die Wärmewende in Leipzig eigentlich auch schon gefallen. Der Aufsichtsrat der LVV hat auch schon die Beauftragung der Planungen beschlossen – die allein kosten 2 Millionen Euro.
Und wenn alle Genehmigungsbehörden schnell agieren, so Karsten Rogall, könnte Leipzig 2023 die wichtigsten Bausteine für eine autarke Energieversorgung stehen haben. Der Prüfauftrag des Stadtrates ist damit schon einmal erfüllt. Erst wenn Leipzig wirklich von Lieferungen aus Lippendorf unabhängig ist, kann man auch die Lieferverträge beenden. Die Grundlagen werden jetzt gelegt.
Bis 2023 wollen die Stadtwerke Leipzig die technische Grundlage dafür legen, künftig auf Fernwärme aus Lippendorf komplett verzichten zu können
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