Bernd Kruppa ist sichtlich müde. Vielleicht das erste Mal nach fast vier Wochen Dauerstreik bei der „Neuen Halberg Guss“ (NHG) an der Merseburger Straße lässt er sich an diesem 6. Juli erschöpft auf die Bierbank fallen, ein Kollege von der IG Metall stellt ihm ein Bier hin. Es ist Sommerfest bei den Streikenden von Halberg, eine Hüpfburg, weiter hinten eine Kräppelchenbude und ein Bierwagen sind aufgebaut. Ein paar Familien der insgesamt 700 Angestellten sind zu Besuch, gleich wird noch eine Coverband spielen.
„Fotos machen wir aber heute keine mehr“, Kruppa nickt sich dabei kurz selbst zu und nimmt einen tiefen Schluck. Er weiß, dass sich an dieser Leipziger Gießerei seit dem 8. Juni 2018 Besonderes auch für ihn als langjährigen Gewerkschafter abspielt. Mit Blick auf die kommende Woche, dürfte es der „längste Streik in der Leipziger Geschichte“ sein, so Kruppa. Dann sind die vier Wochen voll und es geht in die nächste Verhandlungsrunde mit der neuen Geschäftsleitung der NHG. Diese wird erneut platzen, stattdessen scheitert die Arbeitsgeberseite am Landesarbeitsgericht Frankfurt (a.M.) erneut mit dem Versuch, den Streik mit einer einstweiligen Verfügung zu beenden. Am 16. Juli wird die IG Metall wiederholt ein „verhandlungsfähiges Angebot“ fordern.Dazu wird es wohl nicht kommen, NHG-Geschäftsführer Barbaros Arslan beziffert die Forderungen der IG Metall auf 700 Millionen Euro, zuviel und nicht machbar so das Mantra seit Wochen. Dass die NHG kein Gegenangebot vorlegt und die Schließung einer solventen Firma bis Ende 2019 plant, zeigt, dass es um etwas ganz anderes als einen normalen Arbeitskampf geht.
Seit Anfang 2018 erst sind die Vertreter der Auto-Zulieferergruppe Prevent, Barbaros Arslan, Alexander Gerstung und Rogerio Goncalves die neuen Chefs für die Werke in Leipzig und Saarbrücken. Das bosnische Unternehmen aus Sarajevo hat im Zuge des seit 2016 tobenden Krieges mit der Volkswagen AG mal wieder eingekauft, dieses Mal die zwei solventen Zulieferbetriebe der Volkswagen AG für Motorteile und Kurbelwellen. Ein Schachzug, um so viel Marktmacht gegenüber der Volkswagen AG aufzubauen, dass man die Preise diktieren könnte, mindestens aber die Verhandlungsposition deutlich verbessern.
Ein „nachhaltiger“ Verkauf
Irritierend schon beim Kauf der „Neuen Halberg Guss“ durch eine in Deutschland ansässige Prevent-Tochter namens Castanea Rubra Assets GmbH; der Vorbesitzer der Gießerei, die S.D.L. Süddeutsche Beteiligungs GmbH (SDB) aus Elchingen, hatte selbst erst im Juli 2017 die NHG gekauft und so noch wirtschaftlich stabilisiert. Das quasi staatliche Beteiligungsunternehmen mit Zweigstellen auch in Sachsen ist eine 100-prozentige Tochter der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) und trägt nach eigener Auskunft mit ihrer Arbeit „nachhaltig zur Sicherung des Wachstums und zur Stärkung des Mittelstandes bei“.
Dass die Süddeutsche Beteiligungs GmbH (SDB) vom Streit zwischen VW und der Prevent Gruppe nichts mitbekommen haben könnte, ist ausgeschlossen.
Bereits im Sommer 2016 war es zwischen den Prevent-Töchtern und der Volkswagen AG zum Streit um Geld gekommen. In der Auseinandersetzung hatten dabei beide Seiten bereits gezeigt, wohin die Reise geht. Während Volkswagen versucht, das Liefervolumen von Prevent zu verkleinern, um aus der Abhängigkeit zu kommen, machte Prevent deutlich, wie man Konflikte zu lösen gedenkt: man lieferte als Antwort auf abgesagte Projekte keine Getriebeteile und Sitzbezüge mehr an Volkswagen und legte die Produktion lahm.
Seither versucht Prevent gezielt Zulieferer in der Automobilbranche aufzukaufen, wie auch die letztlich gescheiterte Machtübernahme beim bayerischen Zulieferer „Grammer AG“ bereits im Frühjahr 2017 zeigte. Das Ergebnis des Verkaufs der SDB an die Preventtochter Castanea Rubra Assets GmbH derzeit: von 1.500 Arbeitsplätzen am Standort Saarbrücken sollen 300 (oder mehr) wegfallen, in Leipzig ist die Schließung bis Ende 2019 angekündigt. Letztlich kämpfen die Angestellten der Neuen Halberg Guss um einen Sozialplan, also einer Übergangslösung, welche das Ende des Werkes vor allem für ältere Kollegen verträglich machen soll. Es sei denn, es geschieht noch ein Wunder.
Die Stammbelegschaft in Leipzig gilt als gut ausgebildet und wird längst von anderen Unternehmen umworben, wie Kruppa einräumt – Ortswechsel inklusive.
Was an dem vom Kartellamt abgesegneten Verkauf der Landesbank-Beteiligungsgesellschaft an Prevent im Januar 2018, mitten hinein ins Schlachtfeld zwischen VW, Audi und Prevent, „nachhaltig für ein mittelständisches Unternehmen“ gewesen sein soll, ist also mehr als fraglich. Die Unterschriften unter den Papieren waren kaum trocken, als schon der nächste Konflikt ausbrach.
Volkswagen sah sich nunmehr in der Lage, dass zum Beispiel am Leipziger Standort besondere Motor-Legierungen gefertigt werden, die VW in den Lastkraftwagen von „Scania“ verbaut und suchte Wege, sich vom Zulieferer NHG zu lösen. Prevent hob daraufhin die Preise um teilweise das Zehnfache an, wohl ahnend, dass es mittelfristig auf eine Trennung hinausläuft.
Das einzige Mittel des Streiks – Lieferengpässe und Produktionsstopps
Als am 8. Juni dieses Jahres nach einem fast 100-prozentigen Beschluss unter den Angestellten das erste Mal die Arbeit niedergelegt wurde, war wohl klar, worauf der Streik hinauslaufen dürfte. „David“ musste versuchen, selbst in die Räder des Liefergetriebes einzugreifen und den Druck massiv erhöhen. Erst wenn die Neue Halberg Guss sich mit Vertragsstrafen aufgrund von ausfallenden Lieferungen konfrontiert sieht, hofft man auf eine Einigung.
Wenn man also dieser Tage nachts auf das Gelände der NHG Leipzig kommt, trifft man auf kampfbereite Männer mit schwerem Händedruck, die sich in den beiden Werkszufahrten postiert haben. Dazu eine mittlerweile eingespielte Organisation und zunehmend Besucher, die zur Unterstützung bereit sind. Viele Autos, die vorüberfahren, hupen, um Solidarität zu zeigen – hier und da reckt sich eine geballte Faust ins Dunkel.
Und eine rote Linie ist auf Beton gemalt, bis zu welcher alle nur gehen dürfen. Vor ihr die Mitarbeiter der NHG, die seit über zwei Wochen streiken, blockieren und Feuer entzünden. Hinter der roten Linie, im Gebäude ein Zweimannwachschutz mit gelben Alarmwesten und eine Kamera, die jeden Übertritt der Markierung registriert. So sei das nun verhandelt, sagt IG-Metaller Thomas Arnold im Gespräch, ein Teil der Einfahrten ist öffentlicher Grund, da dürfte man sich aufhalten – hinter der Linie Betriebsgelände und für die Streikenden ein No-Go-Areal.
Tagsüber tauchte schon mal die Polizei und ab und zu eine freundliche, aber wenig hilfreiche Anwältin von Halberg Guss auf. Lkws mit Ware wurden nicht vom Hof gelassen, beim schwedischen LKW-Bauer „Scania“ wurden bereits Lieferprobleme gemeldet, auch Audi und der Traktorenhersteller „Deutz“ haben längst Probleme an Bauteile aus Leipzig und Saarbrücken zu kommen.
Das mögliche Wunder
Im Prinzip bestreikt man den eigenen Eigentümer Prevent und entzieht den Kunden die Ware; Druck in zwei Richtungen und doch die Hoffnung auf Hilfe von VW. Dies und permanente Öffentlichkeit und Unterstützung vor Ort wie in der Presse: etwas anderes bleibt dem David in diesem „Spiel“ nicht. Von der Politik erhoffen sich die Gewerkschafter Thomas Arnold und Bernd Kruppa eine Vermittlerrolle, Leipzigs OB Burkhard Jung, Wirtschaftsminister Martin Dulig und diverse SPD-Landtagsabgeordnete waren schon da, können aber nicht viel tun. Das Niveau des Spiels ist national und mindestens europaweit, der Schlüssel für eine Lösung liegt wohl beim SPD-regierten Bundesland Niedersachsen und den 11,8 Prozent, die somit der Staat an VW hält.
Am Ende wird es wohl um die Frage gehen, wie lange sich unter Umständen auch die mit 30,8 Prozent beteiligte Porsche AG die Lieferengpässe und beginnende Regressforderungen bei Lieferausfällen gegen den VW-Konzern anschauen kann. Der Blick richtet sich also eher nach Wolfsburg als nach Bosnien-Herzegowina.
Hier hofft er letztlich auf ein Einlenken im großen Spiel aus Erpressung und Gegenerpressung zugunsten der beiden Werke in Leipzig und Saarbrücken. Vielleicht könnte am Ende stehen, dass VW dazulernt und die Produktion der benötigten Autoteile tatsächlich wieder näher ans Mutterschiff heranzieht.
Ansonsten droht ein Exodus von Industriearbeitsplätzen von Leipzig in andere Gegenden der Republik. Das zumindest legt eine Anfrage der Gießerei Heunisch bei der LEIPZIGER ZEITUNG am 18. Juni 2018 nahe. In dieser stellte eine bayrische Gießerei eine Stellenanzeige für Fachkräfte in Aussicht; allerdings hatte man die Leipziger Monatszeitung mit einer Tageszeitung verwechselt. Offenbar wollte man im Raum Leipzig die begehrten Fachkräfte aus der Autozulieferbranche ansprechen, scheinbar braucht man neue Mitarbeiter in Bayern.
Von hier aus beliefert man unter anderem die Nutzfahrzeughersteller Scania, MAN und Volvo. Und man wird wohl bei Heunisch wissen, dass in Leipzig versierte Gussmodellbauer und Gießer arbeiten, die sich mit dem Innenleben eines Kraftfahrzeuges auskennen. Es könnte also sein, dass VW tatsächlich versucht, sich so schnell wie irgend möglich von Prevent zu lösen.
So oder so bleibt den Streikenden derzeit nur eines. „Auch wenn hier einige Jobangebote erhalten haben, ist die Solidarität ungebrochen, der Streik geht weiter“, so Kruppa auf dem Sommerfest abschließend. Sein Bier ist alle, die Kapelle beginnt zu spielen, jetzt wird erst mal getanzt. Bis heute läuft der längste Streik Sachsens an der Merseburger Straße.
Anmerkung der Redaktion: Am 26. Juli wurde bekannt, dass ab dem heutigen 30. Juli nun zumindest eine Schlichtungsrunde starten konnte. Als Schlichter hat Lothar A. Jordan zugesagt. Der ehemalige Vizepräsident des Arbeitsgerichts Mannheim war 35 Jahre an verschiedenen Arbeitsgerichten als Richter tätig. Er verfügt über jahrzehntelange Erfahrungen in der Leitung von Schlichtungs- und Einigungsstellenverfahren im gesamten Bundesgebiet.
Olivier Höbel, IG Metall Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen dazu: „Wir werden am Montagmorgen den Streik aussetzen, wie wir es angeboten haben. Endgültig wird der Streik erst mit einer zweiten Urabstimmung nach einem gemeinsam erreichten Schlichtungsergebnis beendet. Die IG Metall geht damit den Weg einer Deeskalation und übernimmt Verantwortung für eine konstruktive Lösung.“
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