Am Freitag, 6. April, luden die Leipziger Wasserwerke ein zum Termin am Elstermühlgraben. An einen historischen Ort. Denn hier liegt einer der ältesten Abwasserkanäle der Stadt im Boden. 1880 erbaut, zeigt sogar sein Mauerwerk aus Bruchsteinen noch, wie robust man damals in Leipzig baute, als die Stadt gerade einmal 150.000 Einwohner hatte.

Aber das was schon mehr als zehn Jahre zuvor, als die 100.000er-Grenze überschritten wurde. Oder als 1865, als es gerade 85.000 waren, die ihre Abwässer in die Kanalisation kippten. Und das war vielleicht im Vergleich zum Mittelalter eine moderne Kanalisation – für eine wachsende Großstadt aber war es eine Katastrophe. Denn jetzt lebten nicht nur immer mehr Menschen auf engem Raum, jetzt entließen auch die ersten Fabriken ihre Abwässer – ungeklärt! – in die Kanäle und Flüsse.

Deswegen, so erzählt Ulrich Meyer, Technischer Geschäftsführer der Kommunalen Wasserwerke Leipzig (KWL), beim sonnigen Termin am Elstermühlgraben, habe er extra noch einmal in alten Archiven gewühlt, um sich eine Vorstellung davon zu machen, wie das damals war, als Leipzig eigentlich zum ersten Mal eine zukunftsfähige Kanalisation bekam. Denn bis dahin scheinen die Abwässer einfach so in den Stadtgraben geflossen zu sein. Das muss eigentlich ziemlich gestunken haben …

1865, als der Bau des östlichen Waldstraßenviertels begann, begann man deshalb auch den ersten großen Hauptwassersammler unterirdisch zu bauen – mit Bruchsteinen, robust und so hoch, dass ein Mann auch gebückt durchlaufen kann. Da passt auch eine Menge Wasser hindurch. Und damals dachten die Erbauer schon richtig groß. 5 bis 6 Kubikmeter Wasser pro Sekunden muss so ein Hauptsammelkanal schon bewältigen. Was er an normalen Tagen nicht muss. Da fließen auch hier nur 500 bis 600 Liter Richtung Rosental.

Die dicke Vakuumleitung ist der Ersatzabwasserableiter für den unterirdischen Kanal von 1880. Foto: Ralf Julke
Die dicke Vakuumleitung ist der Ersatzabwasserableiter für den unterirdischen Kanal von 1880. Foto: Ralf Julke

Dafür ist die dicke Vakuumleitung ausgelegt, die sich seit ein paar Tagen durchs Rosental schlängelt. Denn bevor unten im Hauptwassersammler irgendetwas getan werden kann, muss ja das Abwasser umgeleitetet werden. Das passiert mit diesem Rohr, in dem das Vakuum dafür sorgt, dass die Sache flutscht. Bis zu 1.000, vielleicht auch 1.500 Liter je Sekunde schafft das dicke Rohr. Also regnen darf es schon mal. Denn ein Großteil des Leipziger Abwassers ist ja Mischwasser: Das normale Regenwasser mischt sich hier mit den Abwasser der Wohnungen und des Gewerbes.

Das ist historisch so gewachsen. Nur bei Starkregen reicht das Rohr nicht mehr. Dann sorgt eine elektronische Warnanlage dafür, dass die Arbeiter unten im Abwasserkanal gewarnt sind und schleunigst samt Arbeitsgerät ans Tageslicht kommen. Denn dann geht es meist schnell und der Kanal ist geflutet.

1880 verlängerte man zwar den ersten Hauptwassersammler – und zwar nicht nur, weil auch das Waldstraßenviertel in den 1880er Jahren erweitert wurde – sondern weil das Abwasser möglichst weit aus dem damaligen Stadtgebiet herausgeführt werden sollte. Möglichst weit hieß damals aber immer noch: irgendwann in die Elster. Erst 1894 wurde die erste Ausbaustufe des Klärwerks im Rosental in Betrieb genommen. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Leipziger Wasserwerke tatsächlich begannen, sich in einen Umweltbetrieb zu verwandeln und sich auch für die Reinigung der Leipziger Abwässer verantwortlich zu fühlen.

Das Klärwerk im Rosental ist ja bekanntlich auch schon wieder an seiner Belastungsgrenze angekommen. Aber dazu schreiben wir gleich was Eigenes.

Einstieg in den sanierungsreifen Abwasserkanal im Rosental. Foto: Ralf Julke
Einstieg in den sanierungsreifen Abwasserkanal im Rosental. Foto: Ralf Julke

Im 1. nördlichen Hauptsammler, wie die KWL den Kanal an der Emil-Fuchs-Straße intern nennen, sollen die Arbeiten noch im Frühjahr beendet werden. Das Projekt hat einige Jahre Vorlauf, betont Mathias Wiemann, Leiter des Unternehmensbereichs Netze bei den KWL. Denn Kummer hatte man zwar mit dem Kanal schon länger. Aber er liegt mitten im Auengebiet, ist also stark schwankenden Grundwasserhöhen ausgesetzt. Das wirkt sich nicht nur auf die Mauern des Kanals aus, sondern auch auf dessen Sohle. „Das mussten wir extra untersuchen“, so Wiemann. Nämlich bei niedrigem Grundwasserstand. Erst wenn der Zustand der Kanalsohle klar ist, weiß man, was man alles reparieren muss. Dazu kamen auch etliche eingewachsene Wurzeln, die entfernt werden müssen. Die Fugen werden erneuert, die Wände extra mineralisch beschichtet. Denn eine Art Wasser soll möglichst nicht in den Kanal eindringen: das Grundwasser.

Repariert wird von Hand. Meyer ist mittlerweile richtig stolz darauf, dass die Wasserwerke in den letzten Jahren eine eigene Truppe mit Maurern aufbauen konnte, die ihr Handwerk beherrschen und das unterirdische Kanalsystem in Ordnung bringen können.

Von den Kanälen unter Leipzig haben rund 90 Kilometer eine Mindesthöhe von 130 Zentimeter. Das heißt: Diese Kanäle können händisch saniert werden. Die ausgebildeten Fachleute ziehen sich weiße Overalls an, Stiefel, Handschuhe und Helm – und dann wird der Kanal Stück für Stück wieder in Ordnung gebracht.

„Und zwar so, dass wir davon ausgehen können, dass er noch einmal so lange hält, wie er bis jetzt gehalten hat“, sagt Wiemann.

Also mindestens 100 Jahre.

Weil aber 90 Kilometer solcher Kanäle anstehen, bedeutet das, dass in den nächsten 15 Jahren jedes Jahr 5 bis 6 Kilometer geschafft werden müssen. „Letztes Jahr haben wir fast 5 Kilometer geschafft“, sagt Wiemann.

Der doppelte Vorteil dabei: Es ist deutlich preiswerter, als den Kanal neu zu bauen. Und man kann auch bei fahrendem Verkehr arbeiten. Denn eingestiegen wird über einen extra angelegten Schacht, die Materialversorgung kann dann über die Kanalschächte in der Straße erfolgen.

Insgesamt wollen die Wasserwerke pro Jahr rund 10 bis 15 Kilometer Kanalbestand sanieren.

„Voraussetzungen sind die richtige Priorisierung, ein effektiver Mitteleinsatz sowie entsprechende Mitarbeiterressourcen“, betont Technik-Geschäftsführer Meyer. Sowohl bei den Wasserwerken als auch bei der Tochter Bau und Service Leipzig GmbH konnten zur Bewältigung dieser Aufgaben in den vergangenen Jahren entsprechende Ingenieurkapazitäten gewonnen werden.

Insgesamt setzen die KWL in diesem Jahr 38,7 Millionen Euro im Bereich Abwasser ein.

Dazu gehört auch ein Projekt aus dem vergangenen Jahr, das sich wegen dreier Starkregenereignisse deutlich verzögert hat.

Dieses seit September 2016 laufende Großprojekt steht in diesem Frühjahr vor dem Abschluss: An der B2 nehmen dann der für rund 7,2 Millionen Euro sanierte Pleißemühlgrabendüker sowie ein neu gebauter Mischwasserstaukanal und ein neues Entlastungsbauwerk ihre Arbeit auf. Künftig kann speziell bei Starkregen das Mischwasser aus der Südvorstadt besser unterirdisch zwischengeparkt werden, ehe es über den Hauptsammler in der Fockestraße gezielt zum Klärwerk Rosental geführt wird. Ableitungen in die sensiblen Gewässer sollen vermindert werden. „Damit leisten wir einen deutlichen Beitrag zum Gewässerschutz in der Stadt“, sagt Netze-Chef Wiemann.

Falsch entsorgte Feuchttücher legen die Abwasserpumpen der Wasserwerke lahm

Falsch entsorgte Feuchttücher legen die Abwasserpumpen der Wasserwerke lahm

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