Es gibt wenige Stรคdte, die sich so intensiv mit der Lรถsung ihrer Verkehrsprobleme beschรคftigen, wie Leipzig. รber sechs mรถgliche Mobilitรคtsszenarien beraten die Stadtratsfraktionen jetzt bis zum Frรผhjahr, sechs Szenarien, die Wege beschreiben, wie der anstehende Verkehrskollaps vermieden werden kann. Nur einer spielt nicht mehr mit: Klaus Grรถhn, der Prรคsident der Leipziger Handwerkskammer. Und in der LVZ fand er sein williges Sprachrohr. โDubrau muss wegโ, durfte der Handwerksmeister dort am Freitag, 17. November, lautstark fordern. โWir brauchen eine 180-Grad-Wendung in dieser Stadt. Nicht morgen, sondern sofort.โ
Die Baubรผrgermeisterin ist dem Handwerkskammerprรคsidenten schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Insbesondere die seit 2012 endlich spรผrbar verbesserte Politik fรผr Radfahrer gefรคllt ihm nicht. Er glaubt, dass Radwege auf den Straรen den Stau verursachen, die auch dem Wirtschaftsverkehr zu schaffen machen. Seit kurzem hat auch die Dresdner Straรe im Abschnitt vor dem Sitz der Handwerkskammer zumindest auf einer Seite (die zweite folgt noch) richtige Radfahrstreifen. Seit Jahren hatten der ADFC und die umweltfreundlicheren Ratsfraktionen dafรผr gekรคmpft.
Die LVZ kรคmpfte eifrig dagegen und schrieb nach Schaffung der Radfahrsteifen groรe Staugeschichten, ohne sich nach den Ursachen des Rรผckstaus auf der Dresdner Straรe wirklich zu erkundigen. Denn der Stau war bereits vorher da, Aufmerksamkeit findet nun jedoch der Ersatz parkender Autos durch einen Radfahrstreifen. Auf der Gegenspur fehlt dieser ganz aktuell nur noch, weil da ganztรคgig Pkws parken und die Streifenbemalung noch nicht erfolgen konnte.
Fakt ist
Es kommt immer hรคufiger zu Stauerscheinungen in Leipzig. Und Grund dafรผr ist vor allem das massiv erhรถhte Aufkommen von privaten Pkw in der Stadt. Und wo vor allem BILD und LVZ so frรถhlich auf die Baubรผrgermeisterin eindreschen und damit auch die Sichtweise in den Wirtschaftskammern beeinflussen, hat die Stadt ihre Mobilitรคtsszenarien ganz und gar nicht der Bรผrgermeisterin zuliebe gestrickt. Leipzigs Verkehrsplaner haben sich vorher das gesamte Mobilitรคtsgefรผge angeschaut. Und vor allem รberlegungen darรผber angestellt, wie der Straรenraum entlastet werden kann, damit der Wirtschaftsverkehr mรถglichst ungehindert fahren kann.
Schnelle Liefermรถglichkeiten und ungehinderte Zugรคnge also sind die Fragen, die ein Handwerkskammerprรคsident fรผr seine angeschlossenen Unternehmen fordern kรถnnte. Oder er macht einfach nur Lobbyarbeit fรผr Autobauer, die selbst lรคngst verstanden haben, dass die Zukunft in CarSharing und vernetzter Mobilitรคt liegen.
Die einzig logischen Antworten fรผr Leipzig lauten derzeit: Es braucht mehr รPNV, es braucht mehr und sicherere Radwege, mehr schlaue Bewirtschaftung der Verkehre, statt parkende Blechlawinen. Nur so animiert man mehr Leipziger dazu, auf den privaten Pkw zu verzichten. Eine Sichtweise, die auch Rechtsanwalt Renรฉ Hobusch einleuchtet, FDP-Stadtrat und als ziemlich hartnรคckiger Verfechter von Wirtschaftsinteressen in der Stadtpolitik bekannt.
Denn viele Wirtschaftsunternehmen in Leipzig fรผhlen sich durch die Kammerpolitik nicht mehr wirklich vertreten. Die Kammerpolitik รคhnelt immer mehr Konzepten aus dem vergangenen Jahrhundert und spiegelt die Entwicklungen der modernen Mobilitรคt nicht mehr wider.
Personaldebatten statt Lรถsungsideen?
Anlรคsslich der schon aus der CDU Leipzig heraus bekannten, wenig sachorientierten Rรผcktrittsforderungen nun von Handwerkskammerprรคsident Claus Grรถhn an Baubรผrgermeisterin Dubrau ruft deshalb Renรฉ Hobusch, der auch Vorsitzender der Fraktion Freibeuter im Leipziger Stadtrat ist, zur Mรครigung auf: โMit pauschalen Vorwรผrfen werden wir Leipzigs Verkehrsprobleme der Zukunft nicht lรถsen. Weder mit einem Fokus auf Radwege, noch mit einem Fokus auf den Motorisierten Individualverkehr bekommen wir die verkehrlichen Herausforderungen in den Griff. Hier mรผssen wir weiterdenken und schon heute รผberlegen, wie die Mobilitรคt der Zukunft in Leipzig aussehen kann.โ
Ihm drรคnge sich der Verdacht auf, dass auf Seiten der Kammern der Anschluss an die gesellschaftliche Wirklichkeit verschlafen werde, sagt Hobusch. โBeide Kammern mรผssen aufpassen, dass sie sich als Zwangsgemeinschaften nicht einseitig auf eine Mobilitรคtsart festlegen, stattdessen die Interessen aller Mitglieder und der Stadt Leipzig im Blick halten.โ
Welche Mobilitรคtsszenarien Leipzig kรผnftig wรคhlt, wird im Diskussionsprozess am Ende der Stadtrat entscheiden. Und die meisten Fraktionen werden sehr genau fragen, welche Lรถsungswege die besten Ergebnisse bringen und was davon finanzierbar ist. Apropos finanzieren: Bundes- und Landesmittel gibt es bei vielen Infrastrukturmaรnahmen โ wie zum Beispiel wilde Tunnelbauideen โ nur gegen den Nachweis einer echten Wirkung. Umschrieben ist das also das Kosten-Nutzenverhรคltnis bei diesen gefรถrderten Millionenprojekten mit mehr als 1 plus X, neue Tunnel in Leipzig liegen derzeit regelmรครig unter diesem Wert.
Und weil ja auch die Leipziger mitdiskutieren sollen, ja mรผssen, ist der kommende Beteiligungsprozess รถffentlich.
Auch die Fraktion Freibeuter beschรคftigt sich intensiv mit einer zukunftsfรคhigen Verkehrsinfrastruktur in Leipzig und hat โ so Hobusch โ dazu bisher auch verschiedene Vorschlรคge unterbreitet.
Tipp: Im Rahmen eines Stadtgesprรคchs Verkehr diskutieren jetzt auf Einladung der Freibeuter am Dienstag, 21. November, ab 19 Uhr im Neuen Rathaus im Ratsplenarsaal Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik die Mobilitรคt der Zukunft in Leipzig.
Gesprรคchspartner sind dann: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Gerd-Axel Ahrens, Seniorprofessor Verkehrswissenschaftliche Fakultรคt, Technische Universitรคt Dresden, Dipl.-Ing. Peter Alexander Bloi, Abteilungsleiter Verkehrsanlagen OBERMEYER Planen + Beraten GmbH, Dr. Gert Ziener, Abteilungsleiter Wirtschafts- und Bildungspolitik, IHK zu Leipzig, Carsten Schulze, Sprecher des Vorstandes Fahrgastverband Pro Bahn e.V., Landesverband Mitteldeutschland, Region Leipzig โ Halle und Sven Morlok, FDP-Stadtrat in der Fraktion Freibeuter, Staatsminister fรผr Wirtschaft, Arbeit und Verkehr a.D..
Die Veranstaltung ist fรผr jeden offen. Die L-IZ.de wird diese auf Video dokumentieren und anschlieรend ausstrahlen.
Alle sechs vorgeschlagenen Mobilitรคtsszenarien im รberblick auf L-IZ.de
Mobilitรคtsszenarien ohne Ehrgeiz: Mit mehr รPNV kรถnnte Leipzig auch die privaten Mobilitรคtskosten deutlich senken
Mit mehr รPNV kรถnnte Leipzig auch die privaten Mobilitรคtskosten deutlich senken
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 2 Kommentare
Leipziger Verkehrskonzept: Ist es denn so klar, dass Verkehrsdurchmischung so gรผnstig ist, wie oft vorgetragen?
Zwischen Wilhelm-Leuschner-Platz und Nationalbibliothek ist man โ ich habe es hรคufig selbst erlebt โ mit dem Fahrrad, der Tram und dem Auto durch arrhythmische Ampelschaltungen ziemlich genau gleich schnell unterwegs. Dasselbe gilt von Semmelweisstraรe bis Schleuรiger Weg. Als Fuรgรคnger und Radfahrer ertrage ich die Wartezeiten von oft zwei Minuten โ vier Minuten fรผr links abbiegende Fuรgรคnger โ nur um Kindern kein schlechtes Vorbild zu geben. In Tram, Bus und Auto wartet man warm und trocken.
Die Durchmischung in Fahrradstraรen soll zugleich anscheinend Verkehrsberuhigung durch Hyperstress bewirken.
Die Vermischung von Auto- und Tram-Fahrbahn zugunsten von Radlern sรคmtlicher Geschlechter behindert den รPNV. Das ist doch kritikwรผrdig โ oder was stimmt daran nicht?
Jenseits der Fahrradbuckelei scheint mir das erste wirklich bedenkenswerte Konzept zum Leipziger Straรenverkehr das zum Ausschluss von motorisiertem privatem Individualverkehr aus der Innenstadt zu sein.
Nicht die Zergliederung der KarLi als Vorbild zu nehmen und ja, den notwendigen Wirtschaftsverkehr zu ermรถglichen, damit die Radler ihr Radler in ihrem Pub bekommen, darauf kommt es mรถglicherweise auch einem Kammerprรคsidenten an.
Nicht der verkehrsgefรคhrdende Ampel- und Verkehrsdurchmischungskleinmut โ der Ausschluss motorisierten Privatverkehrs aus der Innenstadt lohnt m.E., ausgearbeitet und implementiert zu werden!
Das scheint mir ein lupenreiner Fall von Backfire-Effekt zu sein, wie letztens hier beschrieben: https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/11/Wie-heisst-denn-der-objektive-Oberschlaukopf-in-unserer-Redaktion-197284
Obwohl sogar die eigene, durchaus fragwรผrdige Studie (gehรถrt sowas zu den Aufgaben einer Kammer?) zu anderen Ergebnissen kommt, bleibt man in seiner รberzeugung gefangen. Wenn die Argumente dann ausgehen, versucht man es eben mit persรถnlichen Angriffen.