Für FreikäuferWas da in den vergangenen drei Jahren im Stadtrat stattfand, war ein Trauerspiel. Anträge, die Zuschüsse für die LVB endlich wieder zu erhöhen, wurden genauso abgeschmettert wie jeder Versuch, die längst automatischen saftigen Preiserhöhungen zu stoppen. Und wenn es nach den LVB ginge, soll das auch die nächsten zehn Jahre so weitergehen.
So liest es Heiko Oßwald, in der SPD-Fraktion für Beteiligungspolitik und Finanzen zuständig, aus der strategischen Unternehmensplanung der LVB heraus. „Für uns Sozialdemokraten ist diese Preispolitik zukünftig nicht mehr länger hinnehmbar, auch weil diese die ÖPNV-Nutzung auf Dauer unattraktiv macht“, sagt er.
Nicht nur er hat das Gefühl, dass sich die LVB zu einem Unternehmen entwickelt haben, das für Bürger und gewählte Ratsmitglieder zur Black Box geworden ist.
Dass man Fahrpreiserhöhungen in dieser Höhe einfach automatisiert, hält er für unzumutbar.
Aber wie kommt es dazu? – Anfangs sind es immer die LVB, die ihren Kostenbedarf kalkulieren. Niemand erfährt, wie das vonstatten geht. Sie melden ihren Bedarf einfach an den Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV), wo die Zahlen bestätigt und verkündet werden. Erst dann gehen sie in die Gemeindeversammlung – also den Stadtrat, der sie dann bestätigen soll. Doch immer, wenn sich dort die Zeichen mehren, dass die Ratsmehrheit die saftigen Preissteigerungen ablehnen könnte, gibt es von der Verwaltung die sanfte Drohung: Wenn der Stadtrat nicht zustimmt, muss Leipzig die Kostenausfälle auch für die anderen Mitglieder im MDV übernehmen.
Das versteht kein Mensch.
Und die Logik ist auch nicht nachvollziehbar. Denn so ist die Entscheidungsbefugnis der gewählten Ratsversammlung völlig ausgehebelt.
Die SPD-Fraktion hat in der Regel geschlossen gegen die diversen Vorlagen zum Tarifmoratorium gestimmt, bestätigt Fraktionsvorsitzender Christopher Zenker. „Da war vieles einfach aus der Hüfte geschossen. Das hätte so nicht funktioniert.“
Aber nicht nur bei Linken und Grünen wird seit Monaten intensiv über die Schieflage diskutiert. Auch die CDU-Fraktion diskutiere mittlerweile, weiß Zenker.
Und die SPD-Fraktion sieht eine Möglichkeit, den Einfluss zurückzugewinnen, in einem Instrument, das man bei der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) schon erfolgreich angewendet hat: Die LVB als Unternehmen, über das die Leipziger diskutieren wie über kein anderes, sollen Eigentümerziele bekommen.
Die SPD-Fraktion hat dazu einen Antrag ins Ratsverfahren gebracht, mit dem der Oberbürgermeister beauftragt werden soll, Eigentümerziele für die Leipziger Verkehrsbetriebe zu erarbeiten.
Eigentümerziele sind grundsätzlich eine Vorgabe der Gesellschafterin Stadt Leipzig an das jeweilige Unternehmen. Die Umsetzung der Eigentümerziele liegt in der Verantwortung der jeweiligen Geschäftsführung des Unternehmens.
Aus Sicht der SPD-Fraktion lässt sich beispielsweise auch eine deutliche Begrenzung von Fahrpreiserhöhungen nur mittels Vorgabe über Eigentümerziele erreichen. Die Einbringung eines Tarifmoratoriums im MDV hätte alleine die Stadt Leipzig finanziell belastet, eine pauschale Erhöhung der Zuschüsse über den Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag (der die Betriebszuschüsse an die LVB regelt) hätte nicht zwangsläufig zu konstanten Fahrpreisen geführt und wäre ohnehin beihilferechtlich bedenklich gewesen.
„Daher stellen diese von anderen Fraktionen eingebrachten Vorschläge für uns keinen zielführenden Lösungsansatz dar“, sagt Oßwald.
„Mit der Beschlussfassung des neuen Nahverkehrsplans und der Anpassung des Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrages im nächsten Jahr, ist es aus unserer Sicht zweckmäßig, auch gleich konkrete Eigentümerziele für die LVB vorzugeben. Ziel ist es, den Einfluss des Stadtrates auf die Unternehmensentwicklung sowie strategische Entscheidungen der LVB sicherzustellen“, ergänzt SPD-Fraktionschef Christopher Zenker und hebt hervor: „Uns geht es darum, dass die Angebote der LVB für die Bürgerinnen und Bürger so attraktiv wie möglich gestaltet werden, denn sie müssen im Mittelpunkt stehen.“
Der Hauptgrund für die regelmäßigen Tarifsteigerungen sind natürlich die steigenden Kosten bei den LVB: Die Kostensteigerungen entstehen vor allem durch die Lohnentwicklung bei den Beschäftigten, aber auch durch höhere Beschaffungskosten für Diesel und Fahrstrom.
Aber diese Kostensteigerungen im Umfang von rund 5 Millionen Euro jährlich wurden in den vergangenen Jahren ausschließlich auf die Kunden umgelegt. Die Stadt selbst hat sich, indem sie die Zuschüsse bei 45 Millionen Euro eingefroren hat, regelrecht aus der Verantwortung gestohlen. Und sie hat das fatale Gefühl erzeugt, dass für die Finanzierung der LVB am Ende ganz allein die Kunden verantwortlich sind.
Was auch bei der SPD-Fraktion Unbehagen erzeugt. Denn ÖPNV heißt das Ganze ja, weil sich normalerweise Bund, Land und Kommune als Vertreter der Öffentlichkeit dafür verantwortlich fühlen, dass ein attraktiver ÖPNV vorgehalten wird. Aber alle drei haben sich seit Jahren die Sache zurechtgespart.
„Wir sehen es allerdings nicht als alternativlos an, dass deshalb regelmäßig die Fahrpreise angehoben werden. Wir sind der Auffassung, dass es auch bei den Verkehrsbetrieben Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung gibt und die sollten im Sinne der Bürgerinnen und Bürger genutzt werden“, sagt Heiko Oßwald. „Die LVB sind nicht für sich selbst da sondern sind elementarer Teil der Daseinsvorsorge unserer Stadt. Sicher werden wir auch darüber reden müssen, wie sich die Zuschüsse an die Verkehrsbetriebe in den nächsten Jahren entwickeln müssen, um die Angebote so zu verbessern, dass mehr Menschen auf Bus und Bahn umsteigen. Wir verstehen unseren Vorstoß als Teil eines Gesamtpakets, das aus dem Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag, der Nahverkehrsentwicklungsplanung und konkreten Eigentümerzielen besteht.“
Denn mit der Beauftragung der LVB mit der Erbringung von Fahrleistungen hat die Stadt auch definiert, was sie dafür bekommen soll. Auch Heiko Oßwald bestätigt, dass der Umfang der bestellten Leistung deutlich höher ist als die 45 Millionen Euro, die derzeit über die LVV finanziert werden.
Alle verfügbaren Zahlen deuten darauf hin, dass es über 60 Millionen Euro Auftragsleistung sind. Da die LVB auf über 15 Millionen Euro jährlich quasi „verzichten“, entlastet das logischerweise die Stadtholding LVV. Die – so OBM Burkhard Jung – gerade mal die 45 Millionen Euro stabil aufbringen kann, vielleicht auch 50 oder 55 Millionen Euro. Aber dann ist die Leistungsfähigkeit des Querverbundes erschöpft.
„Dann müssen wir sowieso darüber diskutieren, wie die Stadt selbst in die Verantwortung geht“, sagt Oßwald.
Schon heute erhöht die Stadt durch Zuschüsse von rund 6 Millionen Euro tatsächlich den Betrag, den die LVB bekommen.
Und deren Einnahmen steigen auch, weil seit Jahren die Fahrgastzahlen steigen. Und Heiko Oßwald bezweifelt stark, dass weiter drastisch steigende Preise dazu beitragen, die Attraktivität der LVB zu erhöhen. Möglicherweise können die mit deutlich niedrigeren Tarifen sogar die Fahrgastzahlen noch besser steigern – und damit die Einnahmen.
Aber wirklich steuern kann der Stadtrat nur, wenn er den LVB klare Eigentümerziele gibt. Bis zum 30. Juni 2018 ist OBM Burkhard Jung aufgefordert, diese Eigentümerziele für die LVB GmbH zu erarbeiten. Zumindest, wenn die Stadtratsmehrheit jetzt dem SPD-Vorschlag folgt.
Was drinstehen könnte, hat die SPD-Faktion schon einmal skizziert.
– Das sind zum Beispiel Finanzziele, wie beispielsweise der Kostendeckungsgrad. Schon heute gehören die LVB mit einem Kostendeckungsgrad von über 75 Prozent allein durch die Fahrentgelte zu den auf diesem Gebiet erfolgreichsten Unternehmen in Deutschland. Bevor das Sparprogramm bei den LVB begann, lag der Kostendeckungsgrad deutlich unter 50 Prozent.
– Dazu kämen Sachziele, etwa zur Sicherheit in Bussen und Bahnen sowie an Haltestellen. Ein ganz heikles Thema, das auch in der Bürgerbefragung zum Sicherheitsempfinden der Leipziger sichtbar wurde. Gerade in den Nachtstunden fühlen sich viele LeipzigerInnen in Bahnen, Bussen und an Haltestellen nicht mehr sicher. Das betrifft nicht nur Menschen, die mit laut grölenden Heimkehrern von Partys und Fußballspielen zusammentreffen, sondern auch für viele Nacht- und SchichtarbeiterInnen.
– Ein Thema, das Christopher Zenker benennt, ist das oft undurchschaubare Ticketing der LVB. Nicht nur Touristen verzweifeln oft am Leipziger Tarifwirrwarr. Dazu kommt die zunehmende Unattraktivität etwa des Einzeltickets für vier Stationen. „Unattraktiver geht gar nicht mehr“, sagt Zenker.
– Aber auch die Finanzkraft der Gesellschaft und die Attraktivität des ÖPNV-Angebots in Leipzig sollte stärker in den Fokus rücken. Denn es ist die Stadt, die die Standards vorgibt, die ihre Verkehrsgesellschaft erfüllen soll. Was dann zum Beispiel Taktzeiten und Netzdichte betrifft.
– Die Verschuldungsquote wäre ein Thema.
– Aber auch Investitionsquote und Fahrgastaufkommen müssten thematisiert werden.
– Und nicht zuletzt soll eine deutliche Begrenzung der jährlichen Fahrpreiserhöhungen durch den Eigentümer Stadt Leipzig festgeschrieben werden. Die LVB wollen in den nächsten zehn Jahren einfach weiter mit saftigen Preiserhöhungen von 3,5 Prozent arbeiten. Was Heiko Oßwald unmöglich findet. Er ist überzeugt, dass sich das Finanzkonstrukt der LVB auch rechnet, wenn die Tarifanpassungen nicht über der jährlichen Inflationsrate liegen, also in der Regel unter 2 Prozent. Was übrigens auch kein Unding ist: Die anderen Mitglieder im MDV kommen mit 2-prozentigen Tarifsteigerungen in der Regel aus. Nur die LVB machen Jahr für Jahr eine deftige Ausnahme, als wenn Leipzig nicht wachsen würde und die Fahrgastzahlen würden in den Keller rauschen. Was ja sichtlich nicht stimmt.
Der Effekt bei beschlossenen Eigentümerzielen: Die LVB hätten dann auf einmal einen Qualitätskatalog, den sie für ihren Auftraggeber zu erfüllen haben, klar definiert und jedes Jahr abrechenbar. Und der Stadtrat, der jetzt so ohnmächtig ist bei jeder Fahrpreiserhöhung, hätte endlich ein Kontrollinstrument, um die Einhaltung der Ziele zu kontrollieren. Außerdem wüsste er endlich auch, was seine Wünsche tatsächlich kosten und wie das im städtischen Haushalt abzubilden wäre.
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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Welch Wunder – ein guter Ansatz!
Etwas verwunderlich ist, dass man erst jetzt darauf kommt.
Nicht verwunderlich wäre es, wenn der Antrag mit Hinweis auf die laufenden Diskussion ‘Mobilitätsstrategie 2030″ abgewienert wird. Da hat man dann wieder 2 Jahre Zeit gewonnen.