Die Frage stand am Mittwoch, 7. Juni, direkt im Raum, als die Leipziger Gruppe im Neuen Rathaus ihre Bilanz für 2016 vorstellte. Wie schaffen die Stadtwerke Leipzig die Dekarbonisierung ihres Energiemixes? Am Ende war dann von Windrädern und Solaranlagen die Rede. Und die Journalisten wurden auf den 1. Oktober vertröstet. Da werde man neue Energielösungen vorstellen.
Kein Unternehmen in der Leipziger Stadtholding steckt derzeit so im Umbruch wie die Stadtwerke. Sie müssen sich für eine Energiezukunft fit machen, die es noch gar nicht gibt. Und die sich immer mehr verzögert. Und alles immer teurer macht. Auch den Strom für die Leipziger.
Im Grunde hält das Drama nun schon seit Jahren an. Die Strompreise an den Börsen rauschen immer weiter in den Keller, weil ein Überangebot an Strom in die Netze fließt. Gerade die sächsischen Kohlemeiler laufen immer weiter auf Hochlast und produzieren Strom, der dann dazu beiträgt, die Strompreise an der Börse zum Purzeln zu bringen. So billig, dass Gaskraftwerke damit nicht konkurrieren können. So billig, dass die Stadtwerke mit Stromgeschäften an der Börse kaum noch Geld machen und dieses Geschäft nun seit drei Jahren massiv zurückgefahren haben – von einstmals über 4 Milliarden Euro Umsatz auf gerade Mal 1,5 Milliarden. Tendenz: Weiter fallend. Das Geschäft ist viel zu volatil geworden – zu gut deutsch: risikobehaftet.
Deswegen heißt die Order für die SWL-Geschäftsführung schon lange: Raus da.
Womit verdienen die Leipziger Stadtwerke da also ihr Geld?
Denn die zweistelligen Millionengewinne der vergangenen Jahre resultierten ja vor allem aus diesen Handelsgeschäften. Teilweise konnten 60, 70 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet werden.
Da war die Prognose für 2016 mit 56 Millionen Euro schon mutig. Denn auch beim Netzgeschäft werden die Regularien strenger. Der Gesetzgeber engt die Spielräume der Netzbetreiber immer weiter ein.
Abgeliefert haben die Stadtwerke am Jahresende freilich 64 Millionen Euro. Was die LVV glücklich machte, denn damit war genug Geld für die Querfinanzierung der LVB da.
Aber, so LVV-Geschäftsführer Norbert Menke: Das war ein Einmaleffekt, ein gutes Verhandlungsergebnis der SWL-Geschäftsführung mit einem Gaslieferanten, so dass für eine Gasorder gleich mal ein paar Millionen Euro weniger bezahlt werden mussten.
Dafür gab es nicht nur ein Bienchen, sondern eine ordentliche Leistungsprämie für die beiden SWL-Geschäftsführer.
Verhandlungsdruck ausüben konnten die Stadtwerke aus einem Grund: dem Absturz der Gaspreise.
Auch das ein Stück Volatilität, in diesem Fall von den Amerikanern verursacht, die ja vor ein paar Jahren meinten, sie müssten sich von den internationalen Öl- und Gasmärkten wieder unabhängig machen und lieber wieder ihre eigenen Vorräte verfeuern. Seitdem werden lauter umweltzerstörerische Projekte wie der Abbau der Ölsande in Alaska oder das Hochtreiben der Erdgase durch Fracking vorangetrieben. Mit ganz uramerikanischem Irrsinn, der den Brennstoff so billig gemacht hat, dass die Fracking-Firmen reihenweise Pleite gehen, die Umweltschäden unbezahlt bleiben und Europa seit ein paar Jahren mit Flüssiggas, das die Amerikaner nicht mehr abnehmen, geradezu überschwemmt werden.
Dem großen Gas-Verkäufer VNG hat das ja bekanntlich einige Jahresbilanzen ordentlich verhagelt.
Die Stadtwerke Leipzig haben jetzt einmal profitiert. Aber das werde so nicht wieder passieren. Nicht in dieser Größenordnung.
Und auch Abwarten, bis sich die Lage wieder bessert, ist keine Option. Selbst wenn die Winter wieder etwas kälter werden und das GuD-Kraftwerk in der Eutritzscher Straße wieder angeworfen werden kann. Was sich tatsächlich nur lohnt, wenn die Temperaturen im Keller sind, die Gaspreise auch. So wie 2016 erlebt. Das „Aber“ steht im Geschäftsbericht und nennt sich „Spread“: „Strom/Gas/CO2-Spread“.
Denn die GuD-Anlage läuft erst rentabel, wenn der Strompreis an der Börse hoch genug ist (so dass sich eigene Stromerzeugung überhaupt wieder lohnt), der Gaspreis im Keller ist (damit das Befeuern der Anlage nicht zu teuer wird) und die CO2-Zertifikate teuer genug sind. Wer fossile Verbrennungsanlagen betreibt, muss ja die berühmten Zertifikate erwerben, die ihm das Entlassen von Kohlendioxid in die Atmosphäre erlauben.
Ursprünglich war das mal das klügste Instrument in der ganzen Energiewende – was mittlerweile selbst liberale und konservative Parteien begreifen. Denn es ist ein marktwirtschaftliches Instrument: Es versieht Kohlendioxidemissionen mit einem Preis und macht (in der Theorie) große CO2-Schleudern unrentabel, effiziente Anlagen mit geringerem CO2-Austoß dafür wettbewerbsfähiger.
Das Instrument hat die EU-Kommission damit zerschossen, dass sie viel zu viele Zertifikate ausgeschüttet hat und bis heute nicht bereit ist, die Zertifikatmenge deutlich zu verknappen. Ergebnis: Die größten CO2-Schleudern können so billig produzieren wie zuvor, tatsächlich noch viel billiger, denn sie sind in der Regel längst abgeschrieben.
Und aus allen drei Preisen ergibt sich dann der „Spread“ – die Spreizung zwischen den Kosten der Stromerzeugung und dem möglichen Plus, das man am Ende hat.
Das Stichwort Winter ist zwar gefallen. Aber der Blick in den Geschäftsbericht zeigt, dass der Winter eigentlich kaum Einfluss aufs Geschäftsergebnis hat. Im Grunde unterscheiden sich die Umsätze bei Strom und Gas kaum vom Vorjahr, spiegeln nicht mal das Leipziger Bevölkerungswachstum wider, was freilich nicht unbedingt mit der Abwanderung der Kunden zu anderen Anbietern zu tun haben muss. Es kann auch die direkte Folge dessen sein, dass immer mehr Haushaltsgeräte energiesparend sind und die Leipziger auch bewusst Strom sparen.
Und dazu kommt, dass augenscheinlich viele Gebäude mittlerweile auch zunehmend energieeffizient sind: Sie brauchen nicht mehr so viel Energie.
Für die Umwelt ist das gut. Für ein Stadtwerk eher ein schwindendes Geschäft. Sichtbar geworden genau da, wo die Stadtwerke tatsächlich ein Monopol haben: bei der Fernwärme. Die Erlöse im Fernwärme-Vertrieb sanken von 132 auf 125 Millionen Euro. Und das, obwohl die Stadtwerke immer neue Stadtquartiere an das Fernwärmenetz anschließen.
Was aber schon mit der Frage Dekarbonisierung zu tun hat. Denn auch im Leipziger Stadtrat wurde schon die berechtigte Frage gestellt: Wann steigen die Stadtwerke aus dem Fernwärmeliefervertrag mit dem Kraftwerk Lippendorf aus? Denn dort fällt die Fernwärme als Abprodukt bei der Kohleverstromung an, ist also ganz und gar nicht umweltfreundlich.
Dr. Johannes Kleinsorg, der Geschäftsführer der Leipziger Stadtwerke, deutete zumindest schon einmal an, wo die Reise hingeht. Denn die Stadtwerke arbeiten intensiv daran, die Leipziger Energieversorgung zu dezentralisieren. Grundlage dafür werden vor allem kleine Blockheizkraftwerke, die das Unternehmen gern dahin stellen möchte, wo frührer schon einmal kleinere Kraftwerke der Stadtwerke standen. Vor ein paar Jahren dachten die Stadtwerke intensiv darüber nach, diese Flächen abzugeben und für kommunale Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen. Aber eigentlich braucht man die Flächen jetzt selbst. Eben für lauter kleine, hocheffiziente Blockheizkraftwerke, die auch in der Lage sind, komplette Stadtviertel mit Wärme und Strom zu versorgen.
Was sowieso Thema der Zeit ist. Denn schon jetzt müssen die Stadtwerke ja den Strom aus zehntausenden kleiner Anlagen im Stadtgebiet aufnehmen. An der Infrastruktur für ein entsprechend gesteuertes dezentrales Netz arbeitet man schon längst.
Es gibt also die ersten großen Weichenstellungen hin zur Dekarbonisierung.
Und die hübsche Frage steht im Raum: Schaffen es die Stadtwerke, die Strukturen so auszubauen, dass sie den Liefervertrag mit Lippendorf tatsächlich 2023 auslaufen lassen können?
Nur so als kleine Schlussfolgerung: Dann steht nämlich auch die Frage, wie lange Lippendorf dann noch läuft und sich rechnet.
Der Geschäftsbericht der SWL jedenfalls wird deutlich: Dass die Stadtwerke so preislich in der Zwickmühle stecken, hat mit dem elend niedrigen Preis für Kohle und Kohlestrom zu tun.
Die Biomasse-Kraftwerke der SWL kommen so langsam ins Laufen und produzieren wohl keine negativen Zahlen mehr. Die Windparks, die die SWL zukaufen, kosten erst einmal, werden sich aber – so Kleinsorg – irgendwann rechnen. Deswegen werde man wohl 2017 noch mindestens einen weiteren Windpark dazukaufen und damit die eigenen Erzeugerkapazitäten etwas grüner machen.
Die polnische Tochter GPEC war am 7. Juni erst einmal kein Thema. Immerhin hat sie 12 Millionen Euro zum Betriebsergebnis beigetragen. An einen Verkauf der Tochter ist erst einmal nicht gedacht – immerhin hat man einige Jahre sehr viel Kraft hineingesteckt, um das Tochterunternehmen wettbewerbsfähig zu machen. Aber die Freibeuter-Fraktion im Stadtrat macht jetzt Druck und möchte das Auslandsgeschäft der Stadtwerke gern beendet sehen.
Und wohin geht die Reise?
Dass es den Einmaleffekt wie 2016 nicht wieder geben wird, hat Norbert Menke ja deutlich gesagt.
Im Geschäftsbericht steht jetzt die Zahl 40 Millionen als Ergebnisziel für 2017. Deutlich weniger also als in den vergangenen drei Jahren. Möglicherweise vorübergehend, deutet der Geschäftsbericht an. Danach könnten die Umbaumaßnahmen im Unternehmen Früchte tragen und die Gewinne wieder über 50 Millionen Euro steigen.
Jetzt warten wir auf den 1. Oktober und erfahren dann vielleicht, wie das funktioniert.
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