Die Geschäftsleitung lenkt, der Mensch aber denkt sich seins und handelt nicht wie geplant. Das haben die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) nun drei Jahre hintereinander erlebt. Die Fahrgastzahlen schwächelten. Möglicherweise wegen des neuen City-Tunnels. Die Fahrgeldeinnahmen schwächelten auch, blieben zwei Jahre hinter den Erwartungen zurück. 2016 war es zum ersten Mal ein bisschen anders.

Geplant waren 2014 immerhin 85 Millionen Euro Einnahmen aus dem Linienverkehr. Geworden sind es am Ende nur 83 Millionen. 2 Millionen Euro weniger. Ein Jahr später dasselbe Spiel: 88,7 Millionen Euro Ticketeinnahmen hatten die LVB geplant, 85 Millionen Euro wurden es. Trotz gestiegener Ticketpreise.

Oder doch wegen der gestiegenen Ticketpreise?

Die Diskussion ist völlig offen, denn es gibt keine fundierte Fahrgastumfrage, die die Gründe untersucht hätte. Viele Leipziger sind aufs Fahrrad umgestiegen. Das verraten zumindest die Befragungen zum „Modal Split“, dem Verkehrsverhalten der Leipziger. Und am Stadtrand sind viele Fahrgäste aufs Auto umgestiegen, weil die Anschlüsse nicht passen. „Wir arbeiten dran“, sagte uns jüngst Steffen Lehmann, Geschäftsführer des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes (MDV), in dem die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) Mitglied und größter Geldgeber sind. Nur spiegelt sich das nicht in der Arbeitsstruktur des MDV. Jenseits der LVB-Tarifgrenzen macht jeder Seins, wird ÖPNV organisiert wie eine Dorfpolka. Markkleeberg hat das ja gerade vorgemacht.

Da funktioniert dann Vieles nicht mehr. Potenziale werden nicht erschlossen. Die Menschen fahren lieber Auto, weil selbst so eine Strecke wie nach Taucha von der ganzen Lieblosigkeit der Beziehungen zwischen Leipzig und Taucha erzählt.

Der Dorfgeist ist allenthalben unübersehbar. So wird das nichts.

Deswegen war nicht nur Ulf Middelberg, Geschäftsführer der LVB, regelrecht überrascht, dass die LVB 2016 ihre Fahrgastzahlen erstmals seit Jahren um stolze 10 Millionen Fahrgäste auf 148 Millionen steigern konnte. Vielleicht lag’s ja am schon neuen Design der Leipziger Gruppe, vermutete am Mittwoch, 7. Juni, bei der Vorstellung der Jahresergebnisse, Norbert Menke, Vorstandssprecher der L-Gruppe. Oder am neuen Mobilitätskonzept und den emsigen Internetaktivitäten der LVB, die auch bundesweit gewürdigt werden. Fragezeichen. Der Geschäftsbericht erzählt etwas anderes.

Denn eine andere Vermutung liegt wohl näher, denn mit zwei kleinen Reformen haben die LVB tatsächlich etwas für die Erschließung neuer Fahrgastpotenziale getan. Das erste war die Einführung des 10-Minuten-Taktes am Samstag auf fast allen Linien, das andere die Beendigung der völlig sinnfreien Sammelfahrten in den Abend- und Morgenstunden am Leipziger Hauptbahnhof, die Fahrgäste zwangen, eine halbe Stunde auf die nächste Bahn zu warten, obwohl in Leipzig das Leben brodelte und eine Straßenbahn eigentlich dazu da ist, schnell von A nach B zu kommen oder nach Hause, weil es noch Leute gibt in dieser Stadt, die früh wieder aufstehen müssen.

Man hat nun Sammelzeiten draus gemacht, mit denen sich der Takt auf eine Viertelstunde – auch am Sonntagmorgen – reduzierte. Und wer leerere Bahnen erwartet hatte, sah sich eines Besseren belehrt: Das Angebot wurde dankend angenommen. Von vielen Fahrgästen auch mit dem Stoßseufzer: „Na endlich!“

Sollte man das im Hause LVV so schnell schon vergessen haben?

Das zweite Ergebnis war folgerichtig: Mit den Fahrgastzahlen stiegen nun auch die Linieneinnahmen. Geplant hatte man mit 89 Millionen, geworden sind es nun erstmals über 90 Millionen. Wenn man bedenkt, dass die LVB mal bei 45 Millionen waren und lange Zeit 66 Millionen als Standard galten, dann merkt man schon, welche Auswirkungen die jährlichen Fahrpreissteigerungen haben.

Steigende Fahrgastzahlen, steigende Linieneinnahmen. Grafik: LVB, Geschäftsbericht 2016
Steigende Fahrgastzahlen, steigende Linieneinnahmen. Grafik: LVB, Geschäftsbericht 2016

Sie haben übrigens noch eine andere Auswirkung: Sie bringen die Vielfahrer zum Rechnen. Deswegen legen sich immer mehr Leipziger ein Abo zu. Wer jeden Tag mit der Bahn unterwegs ist, weiß, dass man mit Einzelfahrten sehr schnell die 50 Euro und mehr beisammen hat. Kürzlich feierten die LVB denn auch den Abschluss des 100.000. Abo-Vertrags. Was auch heißt: Die meisten ihrer Fahrgäste sind Dauerkunden. Die fahren täglich zu Arbeit, Sport und Spiel.

Man hat also mit einiger Verspätung dann doch die lange geplanten 5 Millionen Euro Einnahmesteigerung bei den Ticketpreisen hinbekommen.

Und das zentrale Element war sichtlich die Steigerung der Zahl der Abonnenten, im Sprachgebrauch der LVB: Stammkunden. Allein von Dezember 2015 bis Dezember 2016 wurde die Zahl der Abo-Kunden von 90.000 auf 98.000 gesteigert. Die Studenten-Abos sind da noch nicht dabei.

Die schönen neuen „innovativen Mobilitätsprodukte“ aber, die zur Bilanzpressekonferenz so überschwänglich gelobt wurden, haben eher enttäuscht, heißt es im Geschäftsbericht. Was eigentlich ein klares Fazit bedeutet: Die Kunden honorieren vor allem echte, belastbare Angebotsverbesserungen im normalen Fahrbetrieb. Alles andere ist reiner Federschmuck.

Und honoriert werden eben auch echte Investitionen. Und die fielen 2017 mit 63 Millionen Euro um 9 Millionen Euro deutlich höher aus als geplant. Davon wurden auch etliche Langsamfahrstellen im Netz beseitigt. Hier kam den LVB zugute, dass vor allem das augenblickliche Verkehrsministerium in Dresden den Förderanträgen der ÖPNV-Betriebe aufgeschlossen gegenübersteht. Was einige Sachen einfach deutlich beschleunigt. Die Unternehmen werden nicht vertröstet, sondern das Ministerium gibt die Fördermittel nach Anmeldung frei.

Der Spaß taucht dann später im Geschäftsbericht auf, wenn man für 2017 nur mit 148 Millionen Fahrgästen wie 2016 rechnet.

Schon die ersten drei Monate im Jahr 2017 haben mit 40 Millionen Fahrgästen überrascht. Heißt: Zum Jahresende werden die LVB irgendwo bei 160 Millionen Fahrgästen herauskommen und mit Linieneinnahmen irgendwo um die 95 Millionen Euro.

Sie schwimmen sich langsam frei, weil ihnen jetzt das Bevölkerungswachstum im Innenstadtbereich direkt zugute kommt.

Jahresüberschüsse produzieren die LVB ja nicht. Sie sind von Natur her ein Zuschussbetrieb.

Aber auch diese kleine Zahl dürfte Nahverkehrsfreunde interessieren: Durch die gestiegenen Fahrgasteinnahmen ist der sowieso schon hohe Kostendeckungsgrad der LVB weiter gestiegen: von 72,4 auf 73,5 Prozent.

Die Fahrgäste zahlen also ein immer größeres Stück vom Kuchen (und dürften bei jedem Einstieg in eine der Straßenbahnen zu Recht sagen: Das haben wir bezahlt!), der Zuschussanteil der Stadt sinkt weiter (obwohl es 2016 erstmals 2 Millionen Investitionszuschuss auf die 45 Millionen LVV-Zuschuss obendrauf gab). Die Fragen der Stadtratsfraktionen, ob die Umschichtung der Kosten auf die Fahrgäste jetzt immer so weitergehen soll, sind nur zu berechtigt.

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