Am Mittwoch, 17. Mai, bekommt Burkhard Jung wieder einen Brief. Eigentlich einen Mahnbrief. Motto: „Nun komm mal aus den Puschen, OBM!“ Den Brief wird der Oberbürgermeister vom Bündnis „Leipzig kohlefrei“ überreicht bekommen. Auch die Stadträte werden diesen Offenen Brief bekommen. Im Rahmen der Veröffentlichung des Briefes wird er direkt vor der Ratsversammlung an Oberbürgermeister Burkhard Jung übergeben.
In dem offenen Brief will das Bündnis „Leipzig kohlefrei“ seine Vision für besseren Klimaschutz in Leipzig darlegen und konkrete Forderungen an die Stadt Leipzig formulieren. „Leipzig kohlefrei“ ist ein Bündnis aus dem BUND, Greenpeace und dem Ökolöwe – Umweltbund Leipzig e.V. und setzt sich seit Anfang 2016 für ambitionierten Klimaschutz in Leipzig ein.
Das Problem ist ja für alle sichtbar, die über die Stadtgrenzen hinausblicken: Leipzig liegt in einer Region, die stark vom Braunkohlebergbau geprägt ist. Und nicht nur beim Strom, auch bei der Fernwärmeversorgung spielt das Kohlekraftwerk Lippendorf im Leipziger Süden noch immer die dominierende Rolle. Bis 2023 laufen die aktuellen Fernwärmelieferverträge. Die Grünen haben schon eine echte Exit-Strategie bis 2023 gefordert.
Das Problem: Leipzig hat noch keinen Plan. Erst im November 2016 hat die Stadtholding LVV ein Impulspapier der Leipziger Gruppe zu einem Smart-City-Ansatz vorgelegt. Der Titel ist die übliche Leipziger Marketing-Blase „leipzig.leben.morgen.“ Die Broschüre umfasst 76 Seiten, die wieder aufgepustet sind wie alle anderen Leipziger Image-Broschüren zur wirtschaftlichen Entwicklung. Vor lauter Werbesprech und bunten Bildern findet man den eigentlichen Kern nicht. Meist ist von langfristigen Zielen die Rede, ohne dass deutlich wird, was die Leipziger Gruppe eigentlich bis wann umgesetzt haben will.
Weil man sich im Kern auf „Smart City“ fokussiert hat, dominiert eine Menge zeitgeistiger Werbesprech für die Digitalisierung der Stadt. Dass die modernen Städte künftig digital vernetzte und gesteuerte Städte sein werden, das steht fest.
Aber die konkreten Schritte fehlen.
So heißt das Ziel für die Mobilität zum Beispiel: „Die Mobilität der Zukunft ist elektrisch und sie wird zunehmend intelligenter und vernetzter – im MIV (Motorisierter Individualverkehr) und ÖPNV; eine intelligente Steuerung sowie vernetzte Mobilitätsangebote für die Bürgerinnen und Bürger unter Nutzung neuer Technologien, Produkte und Dienstleistungen schaffen intelligente Mobilitätslösungen für das urbane Leben und den Kunden von morgen. Diese zu entwickeln und sich zum Mobilitätsdienstleister und -manager weiterzuentwickeln ist eine wesentliche Herausforderung. Daneben besteht das Ziel, das Angebot des ÖPNV in den kommenden 10-15 Jahren komplett mit elektrischen Antrieben abzusichern und diese intelligent mit den anderen Verkehrsarten effizient zu vernetzen und zu managen.“
Und so geht das weiter. Man merkt schon beim Lesen, dass der (elektrische) ÖPNV immer nur „daneben“ mit betrachtet wird. Er ist nicht das zentrale Mobilitätsskelett der Stadtpolitik in Leipzig. Man merkt es allerorten. Und selbst in dieser Passage: Das Erste, was den Autoren der Broschüre in der Aufzählung einfällt, ist der „MIV (Motorisierter Individualverkehr)“.
Und genauso schwammig bleiben die Visionen für das „Handlungsfeld Energie (Energie 2.0 – effizient, erneuerbar, urban)“.
„Wir gestalten in und um Leipzig die Energiewende von morgen – effizient, erneuerbar und urban (dezentral). Dabei kommt der Vernetzung von Systemen, Quartieren und Sektoren über intelligente Steuerung, Speicherung und modernes Management eine besondere Rolle zu. Energiewende bedeutet für uns auch, konsequent die Energieeffizienz (sektorübergreifend) zu steigern und langfristig auf eine Energieversorgung umzusteigen, die zu hohen Anteilen erneuerbare Energien nutzt. Eine intelligente Kombination vorhandener und weiterhin nutzbarer Energieinfrastrukturen im Zusammenspiel mit innovativen, dezentralen, erneuerbaren Ansätzen für Energieversorgungslösungen bildet dabei eine wesentliche Basis.“
Nein: Die Botschaft lautet eindeutig, dass Leipzig kurzfristig einen Weg finden muss, „auf eine Energieversorgung umzusteigen, die zu hohen Anteilen Erneuerbare Energien nutzt“. Jetzt. Jetzt müssen die Pläne gemacht werden für den Kohleausstieg. Denn Greenpeace hat wohl Recht, dass der Kohleausstieg in Deutschland bis 2030 erfolgen wird.
Das sind keine 13 Jahre mehr. Leipzig muss also zwingend jetzt die Strukturen aufbauen, die die Energieversorgung schon mittelfristig ohne Kohle sichern.
Wer etwas anders behauptet, belügt Wähler und Kunden.
„Der Strommix unserer Stadtwerke Leipzig besteht zurzeit zu 39 % aus klimaschädlichem Kohlestrom“, stellt das Bündnis „Leipzig kohlefrei“ fest. „Um die Energiewende hier vor Ort aktiv zu gestalten, muss dieser Anteil so schnell wie möglich durch den Einkauf von Strom aus Erneuerbaren Energien, oder noch besser, durch den Bau neuer Windkraft- und Photovoltaikanlagen ersetzt werden. Es gibt mehrere Stadtwerke in Deutschland, die zeigen, dass ein Strommix ohne Kohle wirtschaftlich machbar ist, z. B. in Hamburg, Stuttgart, Berlin und Jena. Das kann Leipzig auch!“
Wobei die 39 % ein fiktionaler Wert sind: Sie spiegeln das Einkaufsverhalten der Leipziger Stadtwerke bei Strom, der zum großen Teil an der Börse eingekauft wird. Und dort werden enorme Mengen von „Kohlestrom“ verkauft. Ist ja billig, das Zeug. Deutschland ist zum großen Billig-Kohlestrom-Exporteur geworden.
Und Strom ist wirklich nur ein Teil des Problems. Was dann auch die regelmäßigen Erhebungen zum CO2-Aufkommen der Leipziger zeigen: Bei der Wärmeversorgung muss der Ausstieg aus den fossilen Energien genauso stringent angepackt werden wie im Verkehr. Und das bedeutet in allen Fällen auch einen Paradigmenwechsel: Der MIV in der jetzigen Form kann überhaupt nicht das Verkehrsmodell der Zukunft sein.
Wie wenig Leipzigs Planer überhaupt verinnerlicht haben, wie wenig Zeit sie tatsächlich zur Verfügung haben, zeigen dann die 15 Leuchtturm-Projekte, die man ins Smart-City-Programm geschrieben hat.
Auf den ersten Blick wirken sie alle smart, richtig und sinnvoll. So wie „,Grüne‘ Fernwärme”.
Aber im Text wird dann deutlich, dass die Autoren dieses Vorschlags sichtlich nicht wahrhaben wollen, dass der Kohleausstieg auch in Sachsen deutlich vor dem Jahr 2050 stattfinden wird: „Das Leuchtturm-Projekt ist schwerpunktmäßig dem Handlungsfeld Energie zugeordnet: Das Vorhaben grüne Fernwärme beschäftigt sich mit der zukünftigen Wärmeversorgung in Leipzig. Ausgehend von einer langfristigen Ablösung kohlebasierter Erzeugungsanlagen, geht es bei diesem Vorhaben insbesondere darum, wie eine intelligente Kombination vorhandener und weiterhin nutzbarer Wärmeinfrastruktur mit innovativen dezentralen Ansätzen gelingen kann. Hierfür soll im Zuge der Entwicklung und Umsetzung dieses Smart-City-Projekts eine technologieoffen ausgestaltete Untersuchung mit dem Schwerpunkt der CO2-Vermeidung und des Einsatzes erneuerbarer Energieträger angestoßen und ihre Umsetzung eingeleitet werden. Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit entsprechender Vorhaben soll ein Transformationspfad für die Stadt Leipzig bis 2050 (Paris-Abkommen) entwickelt und unter Implementierung von Modell- und Pilotvorhaben für eine grüne – überwiegend aus erneuerbaren Energien gespeiste – Wärmeversorgung erprobt und schrittweise begonnen werden.“
Der Abschnitt zeigt, dass Leipzigs Planern noch gar nicht bewusst ist, wie straff die Zeitschiene eigentlich sein muss, um die Stadt für ein Zeitalter ohne Kohleenergie vorzubereiten.
Direkt zum Vorstoß des Bündnisses „Leipzig kohlefrei“ gehört dann das Leuchtturmprojekt „Grüne Stromversorgung in der Leipziger Gruppe“.
Aber auch dort spielt man auf Zeit: „Das Smart-City-Projekt ist schwerpunktmäßig dem Handlungsfeld Energie zugeordnet: Als Leipziger Gruppe beabsichtigen wir, kurz- bis mittelfristig den gesamten Strombezug zur Versorgung sämtlicher Betriebseinheiten und Infrastrukturen des Konzerns auf die Nutzung erneuerbarer Energien umzustellen. Um die Qualität der regenerativen Stromversorgung nachhaltig zu sichern, ist vorgesehen, zertifizierte Grünstromprodukte für die Versorgung der Leipziger Gruppe einzukaufen.“ Da ist also von der Komplettversorgung Leipzigs mit „grünem“ Strom noch keine Rede.
Und genauso fehlt eine mit der Stadtpolitik gekoppelte Strategie zum Ausbau der Solardächer und der Stromspeicher. Das Papier hat noch keinen Biss. Und besonders leidet es darunter, dass es kein einziges konkret terminiertes Ausstiegsszenario enthält. Was es übrigens mit anderen Konzeptpapieren der Stadt gemein hat: Man vermeidet geflissentlich konkrete Zeithorizonte zu benennen, entwickelt lieber lächerliche Punktesysteme wie im Luftreinhalteplan oder der Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt.
Kein Unternehmen kann so planen. Und auch keine Stadt. Das Ergebnis ist allerenden sichtbar: Die Ziele, so weich sie formuliert wurden, werden flächendeckend nicht erreicht. Und die vagen Angaben zu mittel- bis langfristiger Umsetzung im Smart-City-Konzept lassen nichts Gutes erahnen für die Umsetzung. Das sieht alles sehr schön bunt aus, erzählt aber von planerischer Ratlosigkeit. Da ist niemand, der wirklich ambitionierte Ziele setzt. Aber ohne solche konkreten Ziele wird sich nichts ändern.
Und so etwas Ähnliches wird am 17. Mai auch in dem Offenen Brief stehen, den das Bündnis „Leipzig kohlefrei“ dem Leipziger Oberbürgermeister vor der Ratsversammlung überreicht.
Oder schon mal vorab mit den Worten des Bündnisses: „Durch einen konsequenten Klimaschutz kann Leipzig an seinen guten Ruf anknüpfen, in wichtigen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen eine Vorreiterrolle einzunehmen. Leipzig kann Energiewende!“
Und statt eines smarten Konzepts fordert man konkrete Pläne:
– Einen Plan der Stadtwerke Leipzig, wie der Kohleanteil in ihrem Strommix durch Erneuerbare Energien ersetzt werden kann.
– Einen bindenden Beschluss des Leipziger Stadtrats zum Kohleausstieg der Stadtwerke.
– Eine Strategie von Stadtwerken und Politik, um mittelfristig auch den Wärmebedarf von Leipzig ohne klimaschädliche Kohle zu decken.
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