Irgendwie ahnen Leipzigs Ratsfraktionen ja, dass irgendetwas ganz schiefläuft in der bunten Szene, die man so lax die kreative nennt, die seit 25 Jahren dafür gesorgt hat, dass Leipzig einen Ruf als unangepasste, experimentierfreudige Stadt hat. Aber diese Szene verliert gerade massiv an Boden. Was natürlich am Geld liegt. Vor einem halben Jahr schrieben wir hier: „Peanuts für die kreativen Spaß-Branchen“.

Daran hat sich nichts geändert. Die Vorgänge im Westwerk zeigen nur, dass die Strukturen nach wie vor prekär sind. Und das hat nichts mit dem Thema Kreativwirtschaft zu tun, auch wenn das Cluster so heißt und das Wirtschaftsdezernat schwärmt: „Das Cluster verfügt gegenüber anderen Branchen über eine besondere Wirtschaftskraft und Zukunftsfähigkeit. So wuchs die Beschäftigung im Cluster seit 2010 um 19 % auf 30.013 sozialversicherungspflichtig Beschäftige und konnte 17 % mehr Unternehmen (2016 – 4.515) aufweisen.“

Gerade geschehen in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen.

Die Anfrage der Linken, die wir hier vor einem halben Jahr besprachen, hatte zumindest etwas deutlicher gemacht, dass es sich bei der Kreativwirtschaft nicht um dasselbe handelt wie bei dem Klientel, das wirklich als Kreativschaffende unterwegs ist in der Stadt. Mit Sack und Pack. Vertrieben am einen Ort, geduldet am nächsten.

Das Pech dieser komplett Freischaffenden ist: Sie kommen in den Vorstellungen, was Wirtschaft ist, eigentlich nicht vor. Eher nur im negativen Sinn, weil sie nicht in die gesetzlichen Kassen einzahlen, jedenfalls nicht so kontinuierlich wie die Angestellten, kaum Gewinne erwirtschaften, sich von einem prekären Auftrag zum nächsten hangeln und in der Förderpolitik eigentlich nicht vorkommen. Oder mit Summen, die für einen echten Start eines Unternehmens nicht reichen.

Denn sie bringen in der Regel jede Menge Talent mit, Ausdauer, Lust zum Durchbeißen – und dann werden sie mit Peanuts abgespeist. Nicht nur bei der Förderung. Auch bei der Auftragsvergabe. Vielleicht ist es typisch deutsch. Aber wer in die Szene hineinhorcht, der bekommt mit, mit welcher Marktmacht die potenziellen Auftraggeber alles herunterhandeln, was sie sich an Kreativleistungen in Leipzig bestellen.

Um wen geht es und wie ist der Stand?

Und da reden wir nicht von Schauspielern, Malern, Tänzern, Musikern, die in Leipzig eh schon gelernt haben, wie man mit einem Butterbrot über die Woche kommt. Sondern von Designern, Textern, Dienstleistern für die Wirtschaft. Von denen es jede Menge gibt. Mehr, als in Leipzig bezahlt werden. Das ist nicht nur ein Leipziger Problem. Und auch nicht nur eins der Freischaffenden in der Kreativbranche.

Das machte eine Meldung des Landesamtes für Statistik am Donnerstag, 16. Februar, wieder deutlich, eine Meldung zu den abgeschlossenen Insolvenzverfahren in Sachsen.

„Bis zum 31. Dezember 2014 wurden von den insgesamt 7.713 im Jahr 2010 eröffneten Insolvenzverfahren 6.687 Verfahren beendet. Das entspricht insgesamt einer Beendigungsquote von 86,7 Prozent. Die tatsächlichen quotenberechtigten Forderungen gegenüber den Schuldnern betrugen 410,9 Millionen €. Die Begleichung der Schulden war nur in geringem Umfang möglich, denn zur Verteilung an die Gläubiger standen lediglich 5,3 Millionen € zur Verfügung. Demzufolge wurden Verluste in Höhe von 405,7 Millionen € mit einer Deckungsquote von 1,3 Prozent festgestellt.“

Was diese Zahlen zeigen, ist natürlich, wie wenig Verteilmasse da ist, wenn die Insolvenzverwalter ihre Arbeit getan haben. Das ändert sich auch nicht, wenn man sich nur auf die Unternehmensinsolvenzen konzentriert: „Bei den im Jahr 2010 eröffneten Unternehmensinsolvenzen in Sachsen konnte bis Ende 2014 mehr als jedes zweite Verfahren (721; 53,3 Prozent) von 1.352 beendet werden. Gegenüber den insolventen Unternehmen stellten die Gläubiger Forderungen von 98,5 Millionen €. Zur Verteilung standen 2,7 Millionen € zur Verfügung. Die Deckungsquote lag somit bei 2,7 Prozent. Die Verluste beliefen sich auf 95,9 Millionen.“ Das ist kein Normalzustand, sondern ein spezifisch ostdeutscher: Es gibt nicht einmal nennenswerte Ausstattungen, Maschinenparks und Liegenschaften, die noch zu Geld gemacht werden können. Die Unternehmer sind oft genug ohne jedes finanzielle Polster gestartet, haben auch keins bekommen, haben alles in die Firma gesteckt und stehen am Ende so nackig da wie am Beginn.

Versucht haben sie es.

Die Meldung ist noch etwas umfassender, denn die Statistiker haben auch herausgerechnet, wer da eigentlich insolvent ging. Und das sollte zumindest diverse Wirtschaftsbürgermeister und -minister interessieren: Von den 410,9 Millionen Euro entfielen über 130 Millionen auf „ehemals selbstständig Tätige“. Das erzählt von einem Land, in dem Unternehmensgründungen Hochrisiko sind.

Und es erzählt von einem großen Scheitern und von einer Marktumgebung, in der mit dem Geld geknausert wird. Das Geld fließt nicht. Was so einiges über die Arbeitsbedingungen der Leipziger Kreativschaffenden aussagt. Denn sie leben genau in dieser Welt: Was sie hereinbekommen, wird stantepede wieder ausgegeben für diverse Kassen, Versicherungen, die Steuer ist auch immer dabei, denn Papa Staat verdient immer mit, egal, ob der Auftrag zum Leben reicht oder nicht. Und am Ende bleibt dann irgendwie noch etwas für die Ateliermiete übrig. Oder auch nicht.

Das ist die Landschaft der freien Schaffenden, der die steigenden Mieten in Leipzig derzeit am heftigsten zu schaffen machen. Denn die Auftragssummen in Leipzig steigen ja nicht. Jedenfalls hört man nichts davon. Wäre die Stadt eigentlich der richtige Ansprechpartner?

Eigentlich, was Zahlen anginge: Ja.

Man müsste sie erst einmal erheben und auseinanderklamüsern. Wer ist wirklich nur angestellt irgendwo in der riesigen Welt der IT- und Kommunikations-Branche. Und wer schlägt sich freischaffend durch? Versucht tatsächlich eine eigene Idee mit Leben zu erfüllen? Neues auszuprobieren? Wie viele Freischaffende gibt es überhaupt in Leipzig? Und wie sind ihre Einkommensverhältnisse?

Wenn das, was das Statistische Landesamt zu Insolvenzen mitgeteilt hat, auf den Großteil der Leipziger Kreativschaffenden zutrifft, dann sind die jetzigen Demonstrationen schon ein Abgesang. Dann verabschiedet sich das kreative Leipzig gerade und lässt uns mit den langweiligen Unkreativen aus den Ämtern und Behörden allein. Es geht eben nicht nur um bezahlbare Freiräume. Es geht um eine Menge Rahmenbedingungen, die augenscheinlich nicht mehr stimmen. Und die dafür sorgen, dass Leipzig einen Großteil seiner kreativen Vielfalt jetzt verliert.

Die Meldung zu Insolvenzen aus dem Statistischen Landesamt.

Die Antwort des Wirtschaftsdezernats aus dem Juli.

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