Das ist mittlerweile auch Leipzig: Der Betreiber mehrerer Biomรคrkte in Leipzig plakatiert mal etwas vรถllig anders als andere an Leipziger Litfaรsรคulen, appelliert an die Klugheit der Leser und kritisiert dabei die Selbstgefรคlligkeit des Kapitalismus. Und dann werden ihm in Connewitz die Scheiben seines Marktes eingeschmissen.
Mรถglicherweise von sogenannten Linken. Das ist bislang nur eine Vermutung. Aber wo soll es sonst herkommen, fragt sich Biomare-Geschรคftsfรผhrer Malte Reupert, nachdem ihm in der Nacht vom 8. zum 9. August gezielt die Schaufensterscheiben des Connewitzer Biomare-Ladens in der Simildenstraรe zerschlagen worden sind.
โEs scheint offensichtlich: Das ist eine Reaktion auf die laufende Plakatkampagne von Biomareโ, sagt er. โMit dieser hinterfragen wir kritisch den antikapitalistischen Reflex besonders der linken Szene und fordern dazu auf, die Meckerecke zu verlassen und selbst mit eigenen Projekten auszuprobieren, wie Wirtschaft und Gesellschaft besser funktionieren kรถnnten. Die oft unter die Gรผrtellinie zielenden โAntwortenโ auf vielen der Plakate zeigen: Einige Leute fรผhlen sich dadurch in der Substanz ihrer Lebenseinstellung getroffen.โ
Dabei zielt die Kampagne โ auch wenn es Malte Reupert anders erzรคhlt โ gar nicht gegen das alternative Milieu (das gar nicht so alternativ ist, wie es gerne tut), sondern appelliert an den Leser, durch รnderung seiner eigenen Verhaltens- und Konsumweisen selbst etwas zu tun, damit sich in der eingefahrenen Selbstgefรคlligkeit der aktuellen Gesellschaft endlich etwas รคndert.
โKapitalismus ist das Resultat deiner Weigerung, es besser zu machenโ, steht groร auf dem Plakat, das auf den ersten Blick wie Teil einer Anti-Kapitalismus-Kampagne wirkt. Da hรคtte man eher Unwillen und Protest aus dem satten bรผrgerlichen Lager erwartet.
Tatsรคchlich aber appelliert es an alle Leipziger, sich einfach zu gewรคrtigen, dass jeder selbst mitbestimmt, wohin sich unsere Welt entwickelt โ ob sie in den Supermรคrkten billig verramscht wird und dafรผr die Ressourcen unserer Erde zerstรถrt werden. Oder ob man โ worum es ja bei Biomare eigentlich geht โ wieder ganz bewusst regional einkauft. Was eben nicht irgendwelchen gesichtslosen Konzernen in รbersee nรผtzt, sondern direkt den Produzenten vor Ort. Es geht um umweltvertrรคgliche Nahrungsmittelproduktion, auch um die in Sachsen nach wie vor kurz gehaltenen Bio-Bauerhรถfe. Es geht um eine natรผrlichere Ernรคhrung ohne Gentechnik, ohne Pestizide und all die kรผnstlichen Aromen, Geschmacksverstรคrker und Konservierungsmittel.
Es geht also um ein Ende der รผblichen Bequemlichkeit.
Darรผber aber ist dann auf der Facebook-Seite von Biomare eine Diskussion entbrannt, die regelrecht ausuferte und dann, als die รผblichen Parteinehmer mit ihren stahlgehรคrteten Argumenten eingriffen, eine vรถllig abstruse Wendung nahm und die Biomare-Plakate quasi zum Generalangriff auf das alternative Kiez-Milieu machte.
25 Stunden vor dem Anschlag auf den Markt in der Similidenstraรe hatte Biomare-Inhaber Malte Reupert in einer Facebook-Diskussion zur Plakatkampagne seine Sicht auf die psychologischen Ursachen dargelegt, wegen denen er bei vielen Leuten der Leipziger Linken Szene โ so schรคtzt er es ein โ seit Jahren verhasst sei.
โZufall?โ, fragt er sich.
Wenn das so ist, zeigt das zumindest, wie sehr diese Szene Teil des bequemen Systems ist, das sie scheinbar bekรคmpft. Denn wenn man eine andere, gerechtere Welt will, bekommt man sie nicht wirklich dadurch, dass man alles kaputt macht. Man muss irgendwann anfangen, darรผber nachzudenken, wie eine gerechte Gesellschaft mit einer nachhaltigen und solidarischen Wirtschaft funktionieren kann. Dass die รผblichen Apologeten der โfreien Marktwirtschaftโ darรผber nicht nachdenken, ist ja bekannt. Die Ideen und die Unterstรผtzung mรผssten also woanders herkommen โ und sie beginnen mit diesem Nachdenken vorm Supermarktregal: Wie wurde das alles eigentlich produziert? Wer macht den Reibach und mit welchem Preis bezahlen wir alle dieses โgroรe Fressenโ?
Und was kรถnnen wir tun, diesem Ausverkauf unserer Welt einen Riegel vorzuschieben?
So gesehen, ist das eine Kampagne, die eigentlich nachdenklich machen sollte.
Aber Manchen ist schon diese Nachdenklichkeit zu beschwerlich und zu anstrengend. Da schmeiรen sie lieber Steine.
Biomare hat Strafanzeige gestellt, teilt Malte Reupert mit. โWir werden uns nicht einschรผchtern lassen. Wer wirklich etwas zu sagen hat, hat Argumente. Hass und Zerstรถrungswut sind Ausdruck von undemokratischer Haltung und fehlender Reflexion der eigenen Gefรผhlswelt. Das politische Mรคntelchen darรผber ist austauschbar.โ
In eigner Sache โ Eine L-IZ.de fรผr alle: Wir suchen โFreikรคuferโ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 7 Kommentare
Ich weiร, mein erster Satz bezog sich darauf , der Rest auf die Sache an sich. ๐
In meinem Post auch nicht.
โApologetโ ist der L-IZ ntliehen ๐
Klar, um die gings in der Kampagne aber wahrscheinlich eher nicht.
@Sabine
Es gibt aber auch die, die selbst biologisch abbaubare Mรผlltรผten fรผr ihren Biomรผll verwenden und sich fรผr das Tun und Lassen anderer nicht interessieren.
Wenn das alles ist was stรถrt ๐
Ich find die Plakataktion eigentlich ganz gelungen. Es stimmt doch, kaum einer von uns lebt auch nur halbwegs โnachhaltigโ, achten aber genau drauf, was bei anderen falsch lรคuft. Ich nehm mich da nicht aus, obwohl ich an mir arbeite. Es ist natรผrlich leichter, die Aussage dahinter falsch zu deuten, als mal รผber die eigenen Verhaltensweisen nachzudenken. Sinn macht es trotzdem nicht.
Apologet โฆ hรค, was?
โEin Apologet (von griechisch ฮฑฯฮฟฮปฮฟฮณฮทฯฮฎฯ โVerteidigerโ, ฮฑฯฮฟฮปฮฟฮณฮฏฮฑ โVerteidigungsredeโ) ist ursprรผnglich der juristische Magistratsbeamte in der griechischen Polis, in der frรผhchristlichen Zeit Vertreter der christlichen Apologie, die das Christentum im Rรถmischen Reich als vernรผnftige Religion aufzeigt und gegen Angriffe anderer Religionen und Philosophien verteidigt.
Heute wird der Begriff auch im weiteren Sinn genutzt fรผr einen auf gehobener, intellektueller oder wissenschaftlicher Ebene argumentierenden Verteidiger einer Lehre oder Ideologie.โ
Warum wird diese aufgedunsene Wortwahl?
Banales Streben nach โgehobener, intellektuellerโ Identifikation?
Was fรผr eine dumme Aktion. Egal von wem.