Beängstigend findet Andreas Heilmann, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer zu Leipzig, das, was über den Sommer passiert ist: Binnen weniger Monate hat sich nicht nur die Stimmung der gesamtdeutschen Wirtschaft eingetrübt, auch in Leipzig sackte der Optimismus der Unternehmer in den Keller. Und das nicht ohne Grund: Die Handelsbeziehungen zu Russland haben früher etliche Auftragsbücher gefüllt, doch nun bleiben diese wegen der von der EU verhängten Sanktionen leer.

Oft hat man bei der heutigen politischen Elite das Gefühl, dass sie zwar viel über Wirtschaft redet und einigen wenigen Groß-Konzernen gern Wohltaten erweist, von heutigen wirtschaftlichen Zusammenhängen aber keine Ahnung hat. Man weiß zwar, dass man mit Wirtschaftssanktionen politischen Druck aufbauen kann und vielleicht ein ökonomisch schwächeres Land wie Russland zum Einlenken zwingen kann. Aber die moderne Welt ist längst so stark vernetzt, dass man einzelne Staaten nicht mehr wirklich absondern und quasi aushungern kann.

So sieht es auch Andreas Heilmann, der am Donnerstag, 23. Oktober, die neue Konjunkturerhebung der Leipziger Wirtschaft vorstellte. Und dabei auch auf die Sondererhebung zum Ukraine-Russland-Konflikt einging, mit der die IHK bei den Betrieben der Region Leipzig einmal abgefragt hat, wie sehr sie in ihren Geschäftsbeziehungen zu Russland und der Ukraine betroffen sind. Und da war man selbst in Leipzigs Wirtschaftskammer überrascht, konnte man doch im Sommer noch, als EU- und Bundespolitiker vollmundig die Sanktionen gegen Russland ankündigten, glauben, es wurde nur ein paar exportorientierte Branchen und einen Teil des Rohstoffhandels treffen und gar nicht so sehr die eher kleinteilige Leipziger Wirtschaft.

Doch die Sonderumfrage zeigt erstmals, wie stark selbst diese Leipziger Wirtschaft mit dem Wirtschaftsraum Ukraine/Russland vernetzt ist. Beim zweiten Nachdenken fällt einem dann auch ein, wie oft in den vergangen Jahren Leipziger und sächsische Delegationen in Kiew, Moskau und St. Petersburg waren, um neue Geschäfte anzubahnen, Messeauftritte zu vereinbaren oder auch neue Fluglinien. Immerhin ist das alles historisches Handelsgebiet für die ostdeutschen Unternehmen gewesen und manche Geschäftsbeziehungen wurden in der letzten Zeit mit viel Mühsal wieder belebt.

Und nun das.

In der Vielzahl an geopolitischen Spannungen ist der Ukraine-Russland-Konflikt aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen der heimischen Unternehmen von besonderer Bedeutung, stellt denn auch die IHK fest. Während über alle Wirtschaftsbereiche hinweg etwa 7 Prozent der befragten Unternehmen Geschäftsbeziehungen in die Ukraine und 10 Prozent nach Russland unterhalten, sind deren Anteile in der Industrie und im Verkehrsgewerbe deutlich höher, ergab nun die Umfrage. So pflegen von den Industrieunternehmen 13 Prozent Geschäftsbeziehungen in die Ukraine und 22 Prozent nach Russland. Im Verkehrsgewerbe sind es jeweils 13 Prozent in jedes der beiden Länder. Damit wird deutlich, dass auch die verhängten Handelssanktionen entscheidend zum schwächeren Geschäftsverlauf in den beiden Wirtschaftsbereichen beigetragen haben.Hatten die Leipziger Unternehmen noch im Frühjahr eine Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr von 15 Prozent gemeldet (was vor allem die meldepflichtigen Unternehmen ab 50 Beschäftigten betrifft, das eigentliche Rückgrat der Leipziger Wirtschaft), so sackte dieses Plus über den Sommer auf 5 Prozent ab. Was für eine Wirtschaftsregion schon ein heftiger Dämpfer ist.

Insgesamt sehen 19 Prozent aller befragten Unternehmen – und damit fast ein Fünftel – ihre Geschäftstätigkeit direkt oder indirekt durch den Handelskonflikt zwischen der EU und Russland beeinträchtigt. In der Industrie liegt dieser Anteil mit 34 Prozent deutlich und im Verkehrsgewerbe mit 22 Prozent leicht über dem Gesamtdurchschnitt. Die Auswirkungen äußern sich im Verkehrsgewerbe bei etwa 80 Prozent der Betroffenen sowohl in Umsatz- als auch Auftragsrückgängen. In der Industrie klagen über 60 Prozent der betroffenen Firmen vor allem über Auftragsrückgänge.

Heißt im Klartext: Die Auftragsbücher haben sich in vielen betroffenen Unternehmen über den Sommer drastisch geleert. Es sind ja keine einfachen Emotionen, die hinter den Zahlen stecken, die die IHK zur Konjunktur herausgibt, sondern belastbare Aussagen über angebahnte und vertraglich gesicherte Geschäfte. Und viele Unternehmen haben nicht nur Lieferbeziehungen zu Russland, sondern auch Serviceverträge – man denke nur an die von sächsischen Unternehmen aufgebauten Maschinen und Produktionsstrecken. Die Aufträge wandern dann ab. “Dann suchen sich die Russen andere Auftragnehmer. Und dann sind die Aufträge weg”, sagt Heilemann.

Und dramatisch wirkt dieser neu gewachsene Konfliktherd natürlich, weil die alten Konfliktherde weiter kochen, ohne dass eine Lösung in Sicht ist – im Nahen Osten, in Südeuropa, in den Ebola-Gebieten Westafrikas. Man merkt schon so langsam, wie in einigen Unternehmen die Unruhe einkehrt. Die offizielle Bundes- und EU-Politik passt nicht wirklich dazu. Heilemann befürchtet sogar, dass die Sanktionen gegen Russland längere Zeit anhalten, auch wenn Russland einlenken und die Forderungen der EU erfüllen sollte.

Eine Forderung der IHK zu Leipzig ist also recht folgerichtig: “Handelssanktionen so bald wie möglich zurücknehmen!”

“Die außenpolitischen Bestrebungen müssen mit unverminderter Intensität darauf gerichtet sein, die eingeleitete Deeskalation des Ukraine-Russland-Konfliktes weiter voranzubringen”, erklärt die IHK dazu. “Sobald Russland die auferlegten Bedingungen vollständig erfüllt, müssen die Handelssanktionen von der EU zurückgenommen werden, um Vertrauen wiederherzustellen und weiteren Schaden von der deutschen Wirtschaft, insbesondere von der Industrie, abzuwenden.”

Folgen sind schon jetzt zu sehen: Einige Unternehmen haben ihre Personalplanungen deutlich reduziert. Und insbesondere in der Industrie sind die Investitionsplanungen noch weiter zurückgegangen. “Und wir reden da nicht von den großen Leuchttürmen Porsche und BMW, sondern von den vielen kleinen Unternehmen, die vom Export abhängig sind”, sagt Heilemann. Die meisten hatten sowieso nur Ersatzbeschaffungen vor, jetzt stellt man die Pläne lieber zurück. Womit dann auch der Bauwirtschaft wieder Aufträge fehlen. Alles hängt mit allem zusammen.

Mehr zu den Konjunkturerwartungen der Leipziger Unternehmen gleich an dieser Stelle.

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