Die Leipziger Wirtschaftsförderung führte im Frühjahr 2014 eine Unternehmensbefragung bei rund 3.500 Betrieben der Stadt durch. Wollte sie zumindest. Aber von den versandten 3.500 Fragebögen bekam sie nur 605 zurück. Das entspricht zwar einer Rücklaufquote von 17,5 Prozent. Aber in Leipzig gibt es über 40.000 registrierte Unternehmen. Und so ist auch diese Befragung mit Vorsicht zu genießen. Auch aus einem anderen Grund.

Denn befragt wurden die Unternehmen ganz und gar aus der Sicht des Dezernats Wirtschaft und Arbeit und der ihm angegliederten Wirtschaftsförderung. Die hat seit Jahren ihr Handlungsmuster, sie hat auch ihre Handlungsgrenzen. Auch was die elementaren Bedürfnisse der Unternehmen betrifft. Etwa bei der Fachkräftefrage: Sie kann keine Fachkräfte backen und sie hat auch keinen Einfluss auf die Bildungspolitik des Freistaats.

Im Vordergrund dieser Befragung standen die Anforderungen und Entwicklungsperspektiven Leipziger Bestandsunternehmen, betont das Dezernat in seiner Auswertung der Umfrage. Die Umfrage umfasste die Komplexe Standortzufriedenheit, Fachkräftesicherung, Regionale Entwicklungsperspektiven, Clusterförderung, Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sowie Kooperationspotenziale. Alles recht allgemein. Entsprechend grob gerastert sind auch die Ergebnisse.

“Die Wirtschaftsförderung der Stadt Leipzig verfolgt das Ziel, die zahlreichen kleinen und mittelständischen Betriebe der Stadt noch intensiver zu betreuen und zu unterstützen. Dieser hohe Dienstleistungsanspruch setzt voraus, dass eine sehr gute Kenntnis der von den Betrieben gewünschten Dienstleistungen und Angebote der Wirtschaftsförderung besteht. Die nun vorgelegte Studie gibt uns Daten in die Hand, die uns ermöglichen, diesem Anspruch noch besser gerecht zu werden. Besonders freut es mich, dass die Entwicklungsperspektiven am Standort Leipzig durch die Unternehmen sehr positiv bewertet wurden. Für mich ist dies Bestätigung, den bisher eingeschlagenen Weg kontinuierlich fortzusetzen”, kommentiert Uwe Albrecht, Bürgermeister für Wirtschaft und Arbeit der Stadt Leipzig, den Versuch, die Bedürfnislage zu erkunden.

Die Wirtschaftsförderung fungiert als Dienstleister für die Unternehmen über eine Vielzahl von Aufgabenfeldern hinweg. Die mittelständische Bestandspflege reicht von der Standortentwicklung bis zur Fachkräftegewinnung.

“Die Befragung ist durch eine sehr hohe Standortzufriedenheit der antwortenden Betriebe gekennzeichnet. Mit einer gesamten Durchschnittsnote von besser als 2,5 wurde ein bisher im Vergleich zu unseren anderen Befragungen kaum erreichter Wert erzielt”, erläuterte Dr. Jürgen Bunde, Geschäftsführer der Gesellschaft für angewandte Kommunalforschung (GEFAK), welche die Befragung im Auftrag der Wirtschaftsförderung durchführte.

Man muss sich schon ein wenig durch die 49 Seiten wühlen, um etwas genauere Angaben zu finden zur durchaus unterschiedlichen Standortzufriedenheit der einzelnen Branchen. Denn jede hat andere Bedürfnisse. Der Industrie sind Parkmöglichkeiten in Leipzig so ziemlich schnuppe. Sie hat ihre Werkhallen mit großen Parkflächen für die Belegschaft meist draußen vor der Stadt. Dagegen finden Leipzigs Gastronomen und Dienstleister die Parksituation eher schlecht. Sie sind es, die den Wert fürs Parken deutlich ins Negative drücken.

Wobei hier das nächste Problem auftaucht: Der Bereich Dienstleistung (Informations- und Kommunikationstechnologie, Finanzen, Versicherung, Gesundheit, Kultur) ist mit 288 Unternehmen zwar stark vertreten in der Befragung – aber er wird nicht differenziert, etwa nach Pflegediensten, Reinigungsdiensten, Medien … Auf Seite 10 findet man dann zumindest eine Auflistung, die aber auch eher diffus ist, weil Unternehmen mehrere Clusterzuordnungen nennen konnten. Wieviele von den 104 Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie haben gleichzeitig Architektur und Design (69) angegeben oder Druck- und Verlagsgewerbe (59) oder Werbung und Öffentlichkeitsarbeit (52)?

Das sind Angaben, die eher davon erzählen, wie unscharf einige Cluster in Leipzig sind.

Entsprechend sind auch die Umfrageergebnisse.
Auch wenn das Wirtschaftsdezernat erst einmal alles im positiven Bereich sieht: “Die Entwicklungsperspektiven der antwortenden Leipziger Betriebe fallen überwiegend sehr positiv aus. Mehr als 60 Prozent der auf diese Frage antwortenden Unternehmen planen Neueinstellungen, jeweils mehr als die Hälfte die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen sowie die Erweiterung der Kapazitäten. – Mit den Wachstumsperspektiven geht auch ein erhöhter Arbeitskräftebedarf einher. Mehr als 80 Prozent der Betriebe beispielsweise haben mit ‘Ja’ bzw. ‘eventuell’ auf die Frage geantwortet, ob sie zukünftige Schwierigkeiten bei der Gewinnung von ‘Gelernten Arbeitskräften gewerblich/technisch’ erwarten.”

Und dann wirft das Wirtschaftsdezernat ein Versprechen in den Ring, das sich so aus der Unternehmensbefragung nicht ableitet: “Dieser Arbeitskräftebedarf der Betriebe kann sich in vollem Umfang realisieren lassen, wenn neue Wege der Fachkräftesicherung beschritten werden. Aus diesem Grunde sind alle Akteure aufgerufen, z.B. das große Interesse der Betriebe an Schulkooperationen auszunutzen.”

Dass die Schulkooperationen gut und wichtig sind, wissen auch die Unternehmen. Und gehen entsprechend positiv auf die Angebote ein. “Insbesondere die Maßnahmen ‘Vorstellung von Berufsbildern’, ‘Anbieten Betriebsbesichtigung, Praxistag im Unternehmen’ und ‘Unterstützung schulinterner Veranstaltungen wie Berufsmessen oder Projektwoche’ stellen sich für die Betriebe zukünftig interessant dar”, stellt das Wirtschaftsdezernat fest.

Tatsächlich sind all diese Angebote, an denen sich auch die Kammern intensiv beteiligen, nur Tropfen auf den heißen Stein. Sie ändern nichts an der Tatsache, dass nach wie vor in jedem Jahrgang von Schulabgängern in Leipzig 10 bis 15 Prozent der jungen Leute keinen Abschluss haben und meist auch nicht ausbildbar sind. Leipzigs Unternehmen aber suchen vorrangig Hochschulabsolventen und qualifizierte Facharbeiter. Und dabei hat nicht einmal die Industrie die größten Probleme – sie hat mit besseren Lohnkonditionen augenscheinlich den besten Zugriff auf den guten Nachwuchs. Dafür zeigen Unternehmen aus Verkehr, Handwerk und Handel mittlerweile Probleme, geeignete Hochschulabsolventen zu bekommen. Wobei Verkehr zum Beispiel eben auch Logistik bedeutet – und das ist weit mehr als Lkw-Fahren.

Ein weiteres herausragendes Ergebnis sei das sehr hohe Kooperationsinteresse der antwortenden Leipziger Betriebe, meint das Wirtschaftsdezernat. Knapp 90 Prozent der Betriebe geben an, dass sie in mindestens einem Kooperationsbereich mit anderen Betrieben, mit Verbänden/Netzwerken oder Hochschulen/Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten. Nicht nur der Anteil an bereits bestehenden Kooperationen, sondern darüber hinaus auch die hohe Zahl an vorstellbaren Kooperationen – beispielsweise im Bereich der Forschung und Entwicklung und bei der Auftragsforschung – seien ein sehr erfreuliches Resultat dieser Unternehmensbefragung.

Die pauschale Aussage kaschiert natürlich das eigentliche Ergebnis: Dass einige Branchen in Wirklichkeit eher Probleme sehen, mit den Hochschulen und Forschungseinrichtungen irgendeine Art Kooperation hinzubekommen. Denn was auch hier für die Industrie kein Problem ist, weil sie über ganz andere Ressourcen verfügt, sehen Handwerk, Handel und Verkehr eher mit großer Unzufriedenheit. Im Grunde zeigt selbst dieser kleine Ausschnitt aus dem Leipziger Wirtschaftsleben, wie stark Wirtschaftsförderung bislang vor allem auf die Bedürfnisse der Industrie zugeschnitten war – und auch, wie schwer man sich tut, Dienstleistung in ihrer ganzen Breite zu differenzieren.

Das betrifft auch die Frage nach Forschung und Entwicklung (F&E), zu der nur 141 Unternehmen überhaupt Angaben machten. Im Grunde ein Alarmzeichen, denn wieviel Innovation passiert eigentlich in einer Stadt, in der 75 Prozent der Betriebe ihre Innovation nicht vorantreiben?

Wo das Problem liegen könnte, deutet sich in der Auswertung der Umfrage zumindest an: “Die offene Freitextfrage nach Bedarfen der Betriebe an Wissen und Technologien, um neue bzw. verbesserte Produkte oder Dienstleistungen zu realisieren, ergibt ein schwer zu fassendes Bild. 175 Betriebe haben hier qualitativ und inhaltlich sehr unterschiedliche Texteinträge vorgenommen, die leider in den meisten Fällen keine konkreten Ansatzpunkte für eine Hilfestellung durch die Wirtschaftsförderung bieten.”

Was ja wohl heißt: Deutlich mehr Betriebe haben eigentlich Bedarf an Innovation, wissen aber nicht, wie ihnen dabei geholfen werden kann.

Das wird auch in der Frage nach der “Deckung des Bedarfs an Wissen und Technologien” deutlich: Nur 16 Prozent der 250 Unternehmen, die dazu Angaben machten, können den Bedarf in Leipzig decken. 37 Prozent müssen sich das Knowhow andernorts einkaufen. 47 Prozent bekommen den Bedarf nicht gedeckt.

Das wäre ein Ansatzpunkt für echte Wirtschaftsförderung: Hier herauszubekommen, woran es liegt – oder ob es schlicht die mangelnde Kapitaldecke der Unternehmen ist, die ihnen bei jeder Finanzierungsnachfrage nur ein gelangweiltes Schulterzucken einträgt.

Es gibt auch eine etwas detailliertere Aufschlüsselung zum Fachkräftebedarf. Danach werden zuallererst qualifizierte Fachkräfte im gewerblich-technischen Bereich gesucht, gefolgt von Hochschulabsolventen. Ganz am Ende der Liste stehen ungelernte Arbeitskräfte und gelernte Arbeitskräfte im medizinisch-pflegerischen Bereich. Was das Wirtschaftsdezernat zu der Aussage verleitet: “Etwas weniger problematisch wird die zukünftige Stellenbesetzungsproblematik für die Berufsgruppe der Gelernten Arbeitskräfte medizinisch/ pflegerisch und für die Ungelernten Arbeitskräfte eingeschätzt.”

Das mit dem Einstellungsstopp im medizinischen Bereich hat ja auch die jüngste Statistik des Statistischen Landesamtes gezeigt. Hier wird auf Kosten des qualifizierten Personals in den Kliniken gespart auf Teufel komm raus. Hingegen wächst ja der Bereich der ambulanten Pflege – aber dort wird eben auch eher kein qualifiziertes medizinisches Personal gesucht, das Lohngefüge ist entsprechend niedrig. Trotzdem wächst dieser Bereich – wohl eher mit ungelernten Seiteneinsteigern. Dass sie immer mehr Aufgaben, die in Sachsens Kliniken nicht mehr erledigt werden, übernehmen (müssen), ist ein Dilemma, das politisch noch nicht einmal begriffen ist.

Die Studie ist zu finden unter:
www.leipzig.de/wirtschaft-und-wissenschaft

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