Wenn man wirklich wissen will, wie es der Wirtschaft einer Region geht, dann fragt man die Handwerker. Sie arbeiten fast alle direkt für den regionalen Markt. Und in ihren Auftragsbüchern können sie direkt ablesen, ob die Leute Geld in der Tasche haben und die Kommunen Luft zum Atmen. Im Frühjahr 2014 lautet die Botschaft zumindest: Jetzt geht's. Der Geschäftsklimaindex liegt auf Spitzenniveau.
Nicht für alle Branchen. Das ist normal. Und auch nicht ohne Warnlicht. Denn wenn in Europa und der Bundesrepublik Deutschland Wirtschaftspolitik gemacht wird, dann meistens nur für die großen Konzerne, die genug Geld im Portemonnaie haben, um auch kräftig Lobbyarbeit zu machen. Die Lobbyarbeit fürs Handwerk machen zwar die Handwerkskammern. Aber die reichen den großen Industrieverbänden – bildlich betrachtet – nicht mal bis zum Hosensaum. Außerdem sprechen sie für viele, oft auch völlig verschiedene Interessen. Das überfordert die hohe Politik zumeist. Erst recht, wenn ihr am anderen Ohr die Befürworter von Privatisierung, Entbürokratisierung und Gewerbefreiheit hängen.
Aktuell eine der größten Ängste, die nicht nur Leipzigs Handwerkskammerpräsident Ralf Scheler umtreiben: die Bestrebungen der EU, den Meisterbrief als Zulassungsvoraussetzung für die Selbstständigkeit in Frage zu stellen. “Vor zehn Jahren hat die Bundesregierung den Meisterzwang schon für 54 Gewerbe aufgehoben”, sagt er. “Das Ergebnis ist, dass in diesen Handwerken fast nicht mehr ausgebildet wird.” Denn um ausbilden zu können, braucht man den Meisterbrief.
Und Berufsausbildung ist derzeit ein Zukunftsthema, um das auch europäische Politik sich nicht herummogeln kann. Deutsche schon gar nicht. Denn der drohende Fachkräftemangel in etlichen Branchen ist hausgemacht. Daran sind nicht nur die geringen Geburtenraten der 1990er Jahre schuld. 2010 bekamen es Sachsens Handwerksbetriebe zu spüren. Da kamen diese quasi halbierten Geburtenjahrgänge in der Berufsausbildung an.
Aber damit wurde auch ein bisher scheinbar nebensächliches Problem zu einem ganz großen: Wenn 10 bis 15 Prozent eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss verlassen, stehen sie für eine qualifizierte Berufsausbildung praktisch nicht zur Verfügung. Sie haben schlicht die Ausbildungsvoraussetzungen nicht. “Geändert hat sich da in den letzten Jahren nichts”, sagt Scheler. Und er klingt ziemlich enttäuscht von einer sächsischen Bildungspolitik, die nicht einmal die Mindeststandards organisiert bekommt. Man hat die Mittelschule zwar zur Oberschule umetikettiert. Aber die Probleme wurden nicht gelöst. Aber Bildungspolitik ist Wirtschaftspolitik.
Im Handwerk weiß man das. “Unsere Handwerksbetriebe haben einen favorisierten Weg der Fachkräftegewinnung, und das ist die eigene Ausbildung”, sagt Ralf Scheler. Deswegen ist die Handwerkskammer schon vor Jahren in die Mittel- alias Oberschulen gegangen, hat Kooperationsverträge geschlossen und ganze Klassen frühzeitig eingeladen zum Praktikum im BTZ Borsdorf. Eine Strategie, die aufgeht. Genauso wie die andere, die direkt aus den Betrieben kommt: Sie bieten Praktika für Oberschüler an, die noch vor der Entscheidung für einen Ausbildungsplatz wissen wollen, welcher Beruf ihnen besonders gefallen könnte.
“Aktuell bieten die Betriebe auf unserer Website wieder 300 Praktika an”, erzählt Kerstin Schultz, die Amtierende Geschäftsführerin der Handwerkskammer zu Leipzig. Außerdem offerieren 120 Betriebe aktuell 152 freie Ausbildungsplätze in der Lehrstellenbörse. 251 Lehrverträge fürs neue Lehrjahr sind schon abgeschlossen. Alles Zahlen, die seit Jahren steigen. “Die Betriebe haben schon richtig erkannt, dass man sich um den Nachwuchs immer früher bemühen muss”, sagt Scheler. Denn sonst ist er weg. Der “Krieg um die besten Köpfe” ist voll entbrannt, denn nicht nur das Handwerk, auch die IHK-Betriebe und vor allem nun langsam auch der öffentliche Dienst beginnen, sich um die besten Schulabgänger zu prügeln. Da und dort rächen sich die Fehler der Vergangenheit.
Leipzigs Handwerkskammer geht jetzt noch einen Schritt weiter. “So wie wir mit den Oberschulen kooperieren, wollen wir das jetzt auch mit den Gymnasien tun”, kündigt Kerstin Schultz an. Denn auch dort ist längst dieselbe Orientierungslosigkeit an der Tagesordnung, die auch Oberschüler verunsichert. Nur dass es an Gymnasien keine Berufsorientierung gibt wie an den Oberschulen. “Das wollen wir ändern”, sagt Schultz. Ideal wäre die 9. Klasse, bevor die Gymnasiasten ins Kurssystem gehen. Und optimal wäre, wenn man gemeinsam mit der Bildungsagentur Leipzig und einem Pilot-Gymnasium schon zum Beginn des Schuljahres 2014/2015 einen Start hinbekäme.Das Problem dahinter ist seit langem bekannt: Bis zu 20 Prozent der Schüler eines Abiturientenjahrgangs entscheiden sich nicht für ein Studium, sondern gehen lieber in die Berufsausbildung – wo Abiturienten wieder mit Freuden empfangen werden, weil sie beste Voraussetzungen für hochqualifizierte Fachberufe mitbringen. Nur Politiker stimmen alle Jahre wieder ein Jammerlied darüber an, wenn nicht alle Abiturienten auch studieren. Dass viele Jugendliche in der vierten Klasse lieber aufs Gymnasium wechseln, hat auch damit zu tun, dass hier noch Bildungsstandards eingehalten werden, die die hübsch angemalten Oberschulen im Land nicht mehr bieten. Wenn der Freistaat Sachsen die Oberschulen nicht auch inhaltlich und personell besser ausstattet, wird das auch künftig so bleiben.
Manche jungen Leute merken sogar erst im Studium, dass sie auf einem Gleis gelandet sind, auf das sie gar nicht wollten. “Auch da wollen wir jetzt vermehrt Kooperationsangebote machen”, sagt Schultz. Ein erstes Projekt startet mit der HTWK Leipzig und wendet sich direkt an jene Studierenden, die ihr Studium abbrechen wollen oder müssen. Auch das ja von Politikern mit Scheuklappen gern als Drama verkauft, ohne dass sich die zuständigen Minister mit den Problemen jeweils beschäftigt haben. Die jungen Leute jedenfalls verschwinden ja nicht im Nirwana. Und manche nehmen dann auch den – scheinbaren – Umweg über einen Meisterbrief, um dann noch ein Studium anzuschließen, das wirklich zu ihren Interessen und Lebensentwürfen passt.
Die deutschen Handwerker bezeichnen sich zwar gern als der “Motor, der Deutschland antreibt”. Aber ein gewisses Stück Realität steckt schon in diesem Spruch. Wenn die Konjunktur brummt, sind die Auftragsbücher voll. Derzeit besonders im Bau- und Ausbaugewerbe der Region. Im Winter sahen die befragten Handwerksbetriebe im Kammerbezirk Leipzig zwar noch eine gewisse Eintrübung ihrer Auftragslage. Aber irgendwie ist der von Vielen befürchtete Konjunktureinbruch erst einmal ausgeblieben. Die Auftragsbücher füllen sich wieder. Sogar das Kfz-Gewebe, das Jahre der Krise hinter sich hat, verzeichnet im Frühjahr 2014 wieder mehr verkaufte Autos und Nachfrage in den Werkstätten. Die Zulieferer der Industrie haben eh eine gute Auftragslage. Noch kauft die Welt ja Automobile und Werkzeugmaschinen aus Sachsen. Noch haben weder die Unkenrufe zu China noch zu Russland die Lage verdüstert. Und Personal eingestellt wird auch – mittlerweile am stärksten im Bereich der Gesundheits- und Pflegeberufe.
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Und dass die Leipziger Handwerksbetriebe mit Lohn knausern würden, sieht Ralf Scheler auch nicht. Im Gegenteil: “Wer seine Leute halten will, der tut alles dafür, um sie auch finanziell bei der Stange zu halten”, sagt er. Denn Fachkräfte, die jetzt verloren gehen, sind für immer weg.
Das beeinflusst selbst den Bereich der Unternehmensgründungen. 2013 ging die Zahl der im Kammerbezirk registrierten Handwerksunternehmen um 84 zurück. Das hat demografische Gründe. Viele Unternehmensinhaber geben das Geschäft aus Altersgründen auf, finden aber auch keinen Unternehmensnachfolger. Und die jungen Gesellen und Meister heuern lieber in Betrieben mit guter Auftragslage an als selbst eine Firma zu gründen.
Ein Problem aber ist eine Schere, die sich derzeit auftut: Die Einkaufspreise für Materialien und Rohstoffe steigen seit Jahren – aber die meisten Unternehmen tun sich schwer, den Preisanstieg auch auf die Verkaufspreise umzulegen. “Doch das wird sich in den nächsten Jahren ändern”, sagt Scheler. Heißt für den Kunden: Immer mehr Handwerkerleistungen werden teurer.
Zur Konjunkturanalyse der Handwerkskammer zu Leipzig: www.hwk-leipzig.de/3,0,6297.html
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