Leipzig hat nicht wirklich viel Mittelstand. Aber seit 20 Jahren beglückt die Stadtverwaltung die Öffentlichkeit mit immer neuen Aktionen und Programmen, die sich irgendwie an Unternehmen richten, die gern mal mittel werden wollen oder sich dafür halten. Geboren wird dabei in der Regel eine Maus. Und eine Plakataktion der potjemkinschen Dimension. Seit Dienstag, 8. April, gibt es wieder eine zu sehen.

Schnell initiiert, nachdem eine trockene Anfrage der SPD-Fraktion in der Ratsversammlung im Februar ergeben hatte, dass das so vollmundig aufgelegte jüngste “Mittelstandsförderprogramm” so gut wie keine Nachfrage findet. Es operiert mit Summen, die für eine wirkliche Mittelstandsförderung einfach keine Rolle spielen. Aber im Wirtschaftsdezernat wundert man sich lieber nicht über die eigene Weltfremdheit.

Irgendwie müssen nur all die cleveren Unternehmer in Leipzig doch erst mal aufmerksam werden auf das tolle Programm. Also muss eine schöne Plakataktion her. Plakate haben in Leipzig immer schon die Welt verbessert.

Und so lautet denn auch die offizielle Verkündung: “Um dem städtischen Mittelstandsförderprogramm in der Leipziger Unternehmerschaft mehr Bekanntheit zu verschaffen, hat das Amt für Wirtschaftsförderung eine Imagekampagne gestartet. Ziel des Förderprogramms ist es, kleine und mittlere Unternehmen durch innovations- und technologieorientierte Projektförderung zu befähigen, ihre eigenen Potenziale besser zu nutzen und ihre überregionale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.”

Das ist – gänzlich ohne Pointe – ein Witz. Wer von Technologieförderung redet, der winkt nicht mit lächerlichen 5.000 Euro, sondern schafft eine Institution, die die verfügbaren Technologieförderfonds von EU, Bund und Land für Leipziger Unternehmen zugänglich macht. Die Fonds gibt es. Nur Leipzig schafft es nicht, dafür städtische Programmstrukturen zu entwickeln.

Wo man aber nicht wirklich ans Eingemachte will, schafft man zumindest das Bild eines “Als ob”. Man suggeriert mit altbekannten Motiven im Straßenraum das Bild einer fiktiven Wirklichkeit.

Am Dienstagmorgen, 9 Uhr, machte sich Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht (CDU) höchstselbst auf den Weg auf die Fußgängerinsel vorm Neuen Rathaus, um die neue Plakataktion mit seiner Anwesenheit zu begleiten.

Ohne zu vergessen zu erwähnen, dass es für Leipzigs Wirtschaftsförderung jüngst erst wieder einen Schwarm von Bienchen gab von einem Wirtschaftsmagazin, das in Leipzig kaum einer kennt noch liest: vom “fDi Magazine”, einem in 15.000 Exemplaren verteilten Magazin für Auslandsinvestiments, das im Haus der britischen “Financial Times” hergestellt wird. Auch die anderen neuerlichen Platzierungen Leipzigs in den diversen fDi-Rankings sagen im Grunde nur: In Leipzig kann man gut investieren, hier ist noch Platz – und im Rathaus gibt es weit offene Türen für Leute mit Geld.Das Neue Rathaus spielt ja bekanntlich immer die Hauptrolle, wenn Leipzig sich für seine enorme Zukunftsfähigkeit selbst plakatiert – ob im Tourismus oder in der Wirtschaft. Der Turm steht quasi als mahnendes Symbol des fortwährenden Aufwärtsstrebens zentral im Bild. So auch diesmal.

Oder mit den Worten der Stadtverwaltung: “Das erste Plakatmotiv weist mit dem Neuen Rathaus auf die Stadt Leipzig als Urheber der Initiative hin. Bei den nachfolgenden Motiven stehen die Unternehmer selbst im Vordergrund. Die 120 Plakate sind im Leipziger Stadtbild in den Aufstellern (SIA) eine Woche lang zu sehen.”

“Das Leipziger Mittelstandsförderprogramm soll den Mut und die Initiative kleinerer Firmen belohnen. Die Förderung hilft Hürden zu überwinden, motiviert zur Unternehmensentwicklung und honoriert, wenn sich Unternehmen in Leipzig gründen und ansässig werden. Von der Plakatierung erhoffe ich mir eine Erhöhung des Bekanntheitsgrades dieses Programms und in der Folge eine verstärkte Antragstellung”, benennt Uwe Albrecht, Bürgermeister für Wirtschaft und Arbeit der Stadt Leipzig, so ganz nebenbei das Problem, das er mit seinem Förderprogramm hat: Es findet nicht die Abnehmer, die es finden soll.

Das Förderprogramm für Wachstum und Kompetenz im Leipziger Mittelstand 2013 bis 2015 (Mittelstandsförderprogramm) soll sich an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Leipzig richten, betont die Verwaltung noch einmal. Das Programm beruht auf dem Stadtratsbeschluss vom 19. Juni 2013, es umfasst die drei Programmlinien Bestandsförderung, Gründungsförderung und Ansiedlungsförderung.

Und dann wird’s ganz blumig:

“Die Bestandsförderung unterstützt bestehende Unternehmen in Leipzig bei ihren Wachstums- und Kompetenzgewinnungsprozessen. Dabei konzentriert sich die Förderung auf folgende sechs Kernthemen: Entwicklung- und Markteinführung innovativer und kreativer Produkte und Prozesse, Transfer von kreativen Ideen in kleine Unternehmen, Ressourcen für Management in KMU, Hilfen bei Nachfolge, Betriebsübergang, Neustrukturierung und Krisen, Entwicklung des Fachkräftepotenzials in Unternehmen, Erschließung neuer Märkte.” Das sind alles Dinge, da denken Unternehmer in Leipzig zwingend in mindestens fünfstelligen Bereichen. Selbst die Kleinstunternehmer, die in Leipzig mit 90 Prozent die Mehrheit sind und in diesem Programm nicht einmal erwähnt werden.

In Zahlen: 21.484 von 24.380 Betrieben in Leipzig hatten 2012 nur 1 bis 9 Beschäftigte. Mittelstand fängt erst da an, wo in Leipzig die höchste Größenklasse beginnt: bei 250 Beschäftigten. 92 Unternehmen gibt es davon. Aber für die ist das Programm eindeutig nicht gestrickt.

“Die Gründungsförderung zielt auf die Unterstützung von wachstumsorientierten, qualifizierten Neugründungen und soll den Bestand an mittelständischen Unternehmen in Leipzig erhöhen. Hierzu werden zwei Kernthemen gefördert: Meistergründungsprämie, Räume für innovative Existenzgründer.” – Da nennt man dann für eine “Gründerstadt” einen schlaffen Luftballon. Alle Ansätze der Vorjahre zu diesem Thema sind mittlerweile seligst entschlafen. Das “Unternehmensgründerbüro” ist genauso als Förderinstrument entschlafen.

Die einzigen, die mit dem bereitgestellten Fördergeld wohl etwas anfangen können, weil sie damit einfach mal den Umzug bezahlen, sind Unternehmen, die von außen nach Leipzig umsiedeln wollen: “Die Ansiedlungsförderung unterstützt die Standortentscheidung von Unternehmen, die sich neu in Leipzig ansiedeln oder erweitern möchten.”

Aber schon der Stadtratsbeschluss von 2013 klang merkwürdig. “Zur Finanzierung des Förderprogramms für Wachstum und Kompetenz im Leipziger Mittelstand 2013 bis 2015 werden jährlich 500.000 Euro bereitgestellt. Von diesem Betrag werden in den Jahren 2013 bis 2015 jährlich 400.000 Euro für Aufwendungen aus dem Programm und 100.000 Euro für die Finanzierung der Personalkosten zweier Stellen für Fachkräfteentwicklung und -sicherung (RBV-1273/12) eingesetzt.” Es wurden also zwei Bearbeiterstellen zu je 50.000 Euro geschaffen. Und das, was dann als eigentliche Fördersumme übrig bleibt, wird in 17 Einzelmaßnahmen zersplittert, die jede für sich nichts bringen. Von den 400.000 Euro “Sachaufwendungen” geht auch nicht alles in die Förderung.

20.000 Euro gehen jedes Jahr in “Vermarktung, Publikationen und Öffentlichkeitsarbeit”. Dazu gehört nun diese euphorische Plakataktion mit der sich optimistisch in den Himmel windenden Treppe und dem nächtlich lauernden Neuen Rathaus im Hintergrund.

www.leipzig.de/mittelstandsprogramm

Der Stadtratsbeschluss von 2013 als PDF zum Download.

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