Die Leipziger Buchmesse ist auch jedes Mal ein Heimspiel der Verlage aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Ein großer Teil von ihnen ist Mitglied im Börsenverein. Genauer: im Regionalverband Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen. Und der lädt seit elf Jahren immer kurz vor der Buchmesse zum Stelldichein mit Journalisten ein. Auch wenn nicht alle Verleger Zeit haben und die meisten Frühjahrsbücher noch nicht fertig sind.

Denn es sind ja die Buchmessen, die den Rhythmus angeben im Verlagsgeschäft. Auf den Messen werden die Lieferkontingente verhandelt – schwerpunktmäßig in Frankfurt, weil dort das Weihnachtsgeschäft organisiert wird. Aber da werden auch Lizenzen gekauft und verkauft, werden Autoren und Themen promotet und Verleger und Buchhändler kommen sich einmal näher als sonst. Die Interessen überlagern sich. Deswegen hat sich ja das Leipziger Lesefest “Leipzig liest” auch zum großen Teil von der Messe abgekoppelt und findet schwerpunktmäßig in der Leipziger Innenstadt statt. Wo der Rahmen nicht ganz so stressig und überlaufen ist.

Wozu dann aber noch Messe?

Auch dort geht es um Aufmerksamkeit. Für eine ganze Reihe von Lese-Welten hat die Leipziger Messe in den letzten Jahren nach und nach eigene Plattformen installiert, wo sich Autoren, Verleger, Händler und Publikum mitten in ihrem Interessengebiet begegnen – die Comic-Macher genauso wie die Krimi-Macher, die Hörbuch-Akteure genauso wie die Lehrmaterial-Interessenten. Da ist ein Leipziger Verlag zum Beispiel ganz groß aktiv: der Ernst Klett Verlag, der in seiner Leipziger Niederlassung auch Lehrmaterial für die sächsischen Schulen produziert.

Die meisten Verlage sind Spezialisten. Und im Hause Klett gibt es mehrere solcher Spezialisten. Während der Schulbuchverlag in der Braunstraße 12 sitzt, sitzt der Klett Kinderbuch Verlag in der Richard-Lehmann-Straße 14. Und produziert: Kinderbücher. Schräge, verrückte und auffallende Kinderbücher, die das Leben als Knirps aus der Perspektive der Knirpse erleben lassen. Sehr zum Erschrecken mancher Eltern. Neu im Frühjahr wieder ein Monster-Buch von Moni Port: “Es gibt keine Kinder”. Denn wer sollte sich eigentlich mehr vor Kindern fürchten als die Monster unterm Bett?

Oder welcher Erwachsene traut sich solche Fragen zu stellen, wie sie Kinder haufenweise haben, etwa wenn Nachwuchs im Anmarsch ist? – Antworten gibt’s in “Wer wohnt in Mamas Bauch?” von Lars Daneskow.
Schul- und Kinderbücher sind nicht die einzige Spezialität aus Leipzig. Leipzig kann auch Kunst. Kunst und Kinder. Was der E. A. Seemann Verlag durchexerziert mit einem ganzen Stapel neuer Kunstbücher von Gauguin bis Pankok. Und als Hingucker für Kinder und ihre Eltern: ein “Kunst Wimmel-Buch” mit Affen, Giraffen und noch mehr Getier. Im Unterschied zu anderen Wimmel-Büchern haben es die Kleinen hier mit echter Kunst zu tun, denn viele Meisterwerke der Kunstgeschichte – man denke nur an Hieronymus Bosch – sind echte Bilder zum Entdecken, auf denen es wimmelt von allerlei Gekreuch, Getier und seltsamen Gestalten. Da können auch Erwachsene wieder sehen, was man sonst nicht sieht, weil man nicht mehr wie ein Kind hinschaut auf solche Bilder.

Gewimmel wird’s zur Buchmesse auch im Leipziger Opernhaus geben. Da präsentiert der im selben Verlagshaus heimische Henschel Verlag gleich zwei Bücher: die Autobiografie des Countertenors Jochen Kowalski und die Biografie des Sängers Walter Jurmann, der mit dem Evergreen “Veronika, der Lenz ist da” die sehnsüchtigen Seelen der romantischen Deutschen eroberte.

Gewimmel produziert auch der Buchfunk Hörbuchverlag, der gerade dabei ist, das “Hörbuch” aus dem Namen zu verlieren, weil er jetzt auch E-Books produziert. “Das ist noch nicht so besonders zugkräftig”, sagt Johannes M. Ackner. Aber es soll mehr werden. Erfolge feiert man derweil mit in Hörbücher verwandeltem literarischen Stoff. Mit “Iranian Voices” steht der Verlag wieder auf der Nominierungsliste des Deutschen Hörbuchpreises. im letzten Jahr hat Buchfunk mit dem Fabre-Titel “Der heilige Pillendreher” den Hörbuch-Preis sogar gewonnen. “Der heilige Pillendreher” war der erste Teil des Vierteilers “Erinnerungen eines Insektenforschers” nach den Erinnerungen Jean-Henri Fabres. Der ist jetzt komplett. Deswegen gibt es alle vier Teile nun im Album.Und – das war schon erstaunlich bei diesem Presse-Termin am Dienstag, 25. Februar – der Buchfunk Verlag ist bislang einer der wenigen in Leipzig, die sich überhaupt mit dem Thema 1. Weltkrieg beschäftigt haben. Als wäre der 100 Jahre zurückliegende Kriegsausbruch kein Thema für Leipzig. Bislang haben sich nur der Universitätsverlag und der Engelsdorfer Verlag mit Büchern dazu zu Wort gemeldet. Dabei hat der Buchfunk Verlag etwas ganz Einfaches gemacht: Wichtige Texte von Zeitgenossen – von Richard Dehmel bis Rosa Luxemburg – auf CD einlesen zu lassen. Zum Reinhören für alle, wie die Stimmung kippte von der Kriegseuphorie 1914 bis zur Ernüchterung im zweiten Kriegsjahr und der frostigen Rückschau eines Erich Maria Remarque.

Das ist nicht wirklich weit entfernt von unserer Gegenwart, in der auch in den großen Demokratien noch immer maßgebliche Leute von großen Armeen, modernen Waffen und flotten Kriegsoperationen träumen.

Kein Wunder, dass sich Leser reihenweise in ein Genre flüchten, in dem das Böse wenigstens greifbar wird: in den Krimi. Neben dem fhl Verlag, der einige Krimis – wie Fliegers “Vierfachmord von Stötteritz” – schon auf dem Markt hat und die nächsten in der Druckerei, profiliert sich jetzt auch der Lychatz Verlag als Leipziger Krimi-Verlag. Heinrich Peuckmann legt dort zur Frühjahrsmesse seinen vierten Krimi “Angonoka” vor. Und Krimi-Flair gibt’s auch aus dem Plöttner-Verlag. Der stellt zur Buchmesse die Autobiografie des schwedischen Schauspielers Michael Nyqvist vor, der den Krimi-Freunden als Mikael Blomkvist aus den dänisch-schwedischen Verfilmungen der Bücher von Stieg Larsson bekannt sein sollte.

Hilft natürlich nichts. Auch wenn es im Krimi meistens irgendwie gut ausgeht. Die Realität ist eine andere. Das merken auch Forscher spätestens, wenn sie sich mal intensiver mit einem Thema beschäftigen. Das hat Ralf C. Müller im letzten Jahr schon gezeigt, als er in seinem Eudora Verlag das Buch zu 150 Jahre Galopprennbahn in Leipzig vorlegte. In diesem Jahr will er ein anderes Leipziger Jubiläum bedienen: den 175. Geburtstag der ersten deutschen Ferneisenbahn von Leipzig nach Dresden. Und zwei Musiker werden in seinem Verlagsprogramm auftauchen: Robert Schumann und Felix Mendelssohn Bartholdy – von Letzterem übrigens sein “besserer Teil”: die Frauen um ihn herum.

Noch mehr Geschichte wird natürlich im Leipziger Universitätsverlag aufgewühlt, der im Herbst den ersten Band der auf drei Teile konzipierten Leipziger Stadtgeschichte vorlegen will. “Das schaffen wir”, ist Verlagsleiter Dr. Gerald Diesener zuversichtlich. Immerhin scheint es der einfachste Teil zu sein: Von der Stadtgründung bis zur Reformation, schlappe 500 Jahre. Man wird sehen und eine Subskription für die drei Bände ist auch noch möglich.

Natürlich ist das nur eine kleine Auswahl. 13 von über 70 Leipziger Verlagen haben am Dienstag den Weg zum Termin im Haus des Buches gefunden. Insgesamt kamen etwas über 20 Verlage aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Der Börsenverein hat in seinem Regionalverband immerhin 105 Verlage als Mitglieder. Dazu kommen noch Dutzende Verlage, die nicht Mitglied sind und genauso um Aufmerksamkeit ringen.

Da kann auch das hier Gezeigte nur ein kleiner Ausschnitt sein. Wer die Stände der mitteldeutschen Verlage auf der Buchmesse besucht, wird noch manche erstaunliche Entdeckung machen. Denn eigentlich produzieren sie alles, was das Leserherz begehrt – Romane, Gedichtbände, Wanderführer, Biografien, Bilderbücher, Kochbücher und Bildbände … Und auch wenn der ein oder andere Verleger aufgibt, tauchen doch auch immer wieder neue Mutige auf – wie Elysion Books und der Open House Verlag, beide jung in Leipzig, das noch immer ein spannendes Pflaster zu sein scheint für den Versuch, gute Bücher für Leute zu machen, die das Lesen noch nicht verlernt haben.

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