Wie aus Folge zwei ersichtlich war, bin ich als unterbezahlter, mehrsprachiger Bankexperte freiwillig gescheitert, weil ich den mir angebotenen Job erst gar nicht angetreten habe. Schließlich verdirbt Geld den Charakter. Das gilt für viel Geld als auch in diesem Falle für zu wenig Geld. Also begebe ich mich auf die Suche nach Job Nummer drei. Das Angebot ist dank der schon viel zitierten mehr oder weniger dubiosen Stellenanzeigen im Bereich Billigjobs so vielfältig wie die Botanik im südamerikanischen Dschungel.
So dauert es auch nicht lange, bis mir eine kleine Anzeige ins Auge fällt, bei der ausnahmsweise der Bruttolohn fett gedruckt erscheint. Unternehmen sucht sprachgewandte Mitarbeiter mit Verhandlungsgeschick. Verdienst: 1.500 brutto. Immerhin, locker einige “Hunnis” mehr, als mir bei meinen bisherigen Traumjobs angeboten wurden. Diesmal ist es noch einfacher, weil ich nur eine Telefonnummer wählen muss, anstatt eine Bewerbung abzuschicken.
Erlaubt sei hier mal die Bemerkung, dass solche Umstände die ganze Angelegenheit nicht wirklich seriöser machen. Auch wenn man sich eine unkomplizierte Kontaktaufnahme ohne monatelanges Warten auf eine Rückmeldung unbedingt wünscht, strahlt diese Art der Suche nach Arbeitskräften nicht unbedingt uneingeschränktes Vertrauen aus. Dennoch, im Dienste der Recherche wähle ich die Nummer. Ein Räuspern, um die Stimme geschmeidig zu machen, und schon treffe ich akustisch auf einen angenehm jung klingenden Herren. Nachdem ich, bezugnehmend auf die Anzeige mein feinstes Hochdeutsch in angenehmer Tenorstimme ausgepackt habe, werde ich kurzerhand zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Dafür solle ich doch, so mein telefonisches Gegenüber, bitte mindestens zwei Stunden einplanen.
“Wow”, dachte ich, “die müssen es aber nötig haben…”, und sagte zu. Wie üblich war aus der Anzeige nicht wirklich herauszufiltern, um welche Art Unternehmen es sich handelte. Auch am Telefon konnte ich meinem Gesprächspartner nicht wirklich Erhellendes entlocken. Vielmehr versuchte er mich mit nebulösen Formulierungen zu locken, wie etwa: “Sie werden sehen, es lohnt sich … Herausforderung, interessante Tätigkeit, Verdienstmöglichkeiten …”.
Gut, wirklich seriös machte es das alles nicht, aber um so interessanter für den wirklich an Recherche interessierten Journalisten schon. Der Ort des Vorstellungsgespräches befand sich laut Angabe in unmittelbarer Nachbarschaft zu Leipzigs angestammter Lokalzeitung, was dem Ganzen den scheinbaren Anstrich von Seriosität gab. Also machte ich mich am vereinbarten Tag zum entsprechenden Treffpunkt auf. Und zu meiner großen Freude traf ich diesmal nicht auf eine illustre Herde von Bewerbern vor den Pforten des bewussten Unternehmens. Schon mal ein Pluspunkt, dachte ich.
Ich straffte mich also und drückte den Knopf zu besagter GmbH, denn das war sie laut Klingelschild. Ich erhielt also Zugang und fuhr bis ins Dachgeschoss. Hier darf ich anmerken, dass Büros im Dachgeschoss nicht wirklich meine Zustimmung finden, was mir bestätigt wurde, als sich der Aufzug öffnete und ich in eine Art Gewächshausatmosphäre eintreten durfte. Doch von der wirklichen dampfenden Dschungelwärme trennte mich noch eine gläserne Tür, die mir von einem Herren in fliederfarbenem Anzug mit passender Krawatte geöffnet wurde. Vor der gläsernen Tür stand eine korpulente Frau in anthrazitfarbenem Kostüm, die heftig an einer fast abgebrannten Zigarette sog, diese hastig in einem Ascher ausdrückte und mir eine kleine, schlaffe, schweißfeuchte Hand Marke lauwarmes Schnitzel reichte. Sie stellte sich als Geschäftsführerin vor und wies auf den Herren im Fliederanzug hin, der mir soeben die Tür geöffnet hatte und mit dem ich mein Vorstellungsgespräch führen sollte.
Immerhin, dachte ich, während ich förmlich spürte, wie sich dunkle Flecken unter meinen Achseln zu bilden begannen, immerhin ein tatsächliches, persönliches Vorstellungsgespräch von Mensch zu Mensch. Auch er quetschte mir eine schweißfeuchte Hand in die meine (es war Hochsommer) und fragte mich, ob ich einen Kaffee wünschte. Ich tat es aus Höflichkeitsgründen und auch deshalb, weil ich somit ein paar Sekunden Zeit fand, mich umzuschauen. Es war so etwas wie eine Büromansarde mit schönem Blick über die Leipziger Skyline. Der Blick entschädigte allerdings nicht für die niedrige Dachschräge und die unerträgliche Hitze.
Der Mann im fliederfarbenen Anzug führte mich in eine weitere Mansardenkammer, wo das Vorstellungsgespräch stattfinden sollte und holte mir den Kaffee. Wieder stellte sich mir die spannende Frage: Was, um Gottes Willen, wird hier von mir erwartet, außer der Kommunikationsstärke und den üblichen Anforderungen? Doch schon ist der Fliederfarbene wieder zurück, stellt eine winzige Tasse Kaffee vor mich hin und breitet meine Bewerbungsunterlagen vor sich aus. Daneben legt er einen Stapel Papier. Nachdem ich mich noch einmal kurz vorgestellt habe, versucht er schließlich, mir den Sinn und Zweck seines Unternehmens vorzustellen.
Dabei stellte sich mir im Übrigen einmal mehr die Frage, warum es ein Unternehmen überhaupt nötig hat, für seinen Sinn und Zweck zu werben. Im Internet hatte ich nichts über diese Firma finden können. Nun, vielleicht war das der Grund dafür. Wie immer war auch diesmal “lange Rede, kurzer Sinn” gefragt. Hier handelte es sich offenbar darum, Überredungskunst per Telefon zu demonstrieren. “Unser Unternehmen ist schon seit langem erfolgreich auf dem Markt und hat sich vorgenommen, auch in der Region Leipzig Erfolge zu erzielen. Darauf können wir aufgrund des bisherigen Erfolgsrezeptes durchaus berechtigte Hoffnung haben. Deshalb haben wir uns entschlossen, hier ein schlagkräftiges Team aufzubauen.”
Sehr viel Erfolg in einem einzigen Satz, dachte ich. Um dem geneigten Leser meine Qualen zu ersparen, fasse ich es hier so kurz wie möglich zusammen. Alles, was man zu tun hatte, war nach strikten Textvorgaben, Termine von Geschäftsführer zu Geschäftsführer klar zu machen. Dabei galt es, die Chefs von großen Unternehmen persönlich ans Telefon zu bekommen. Mit denen sollte dann wiederum ein Termin vereinbart werden mit dem Chef eines Unternehmensberatungsunternehmens (sorry für das Wortungetüm), der bewussten Geschäftsführer dann davon überzeugen musste, wie man das angesprochene Unternehmen noch effektiver machen könnte, um Kosten einzusparen. Dabei kam es vor allem darauf an, die vielfältigen Cerberusse der Geschäftsführer, an erster Stelle seien hier Chefsekretärinnen genannt, davon zu überzeugen, dass man unbedingt und unter allen Umständen mit dem Firmenboss sprechen müsse. Und dies noch in höflich blumiger und überzeugender Art und Weise.
Das also war die vordergründige Aufgabe: Die Durchdringung der analogen Firewalls, die ein großer Firmenboss um sich herum aufgebaut hatte. Das alles hatte in einer 40-Stunden-Woche zu geschehen. Dabei war eine halbstündige Mittagspause vorgesehen, in welcher Bestandsaufnahmen der geführten Gespräche erörtert werden sollten. “Selbstverständlich,” so der Fliederfarbene, “können bei entsprechender erfolgreicher Vermittlung auch Provisionen nach Vereinbarung gezahlt werden.”Er führte mich anschließend durch das beengend niedrige Dachgeschoss, um mir meinen potentiellen Arbeitsplatz vorzustellen, der sich als spartanisch herausstellte, um es euphemistisch zu sagen. Auf engstem Raum waren hier acht Telefonplätze ohne Abtrennung voneinander eingerichtet. Ganz normale Telefone ohne Headset. Kein PC, sondern nur ein Notizblock mit Kugelschreiber. Dabei beschlich mich ein unheimliches Gefühl. “Was ist das für ein moderner Arbeitsplatz,” so dachte ich, “der völlig auf Computer verzichtet?”
Die Antwort kam prompt, als hätte er meine Gedanken erraten: “Mehr werden Sie nicht brauchen, glauben Sie mir,” versicherte mir der Fliederfarbene mit sonorer Stimme. “Es geht hier nur ums Telefonieren, darum, hartnäckig am Ball, sprich, am Kunden zu bleiben. Glauben Sie mir, wenn Sie den Tag hinter sich haben, wissen Sie, was sie geschafft haben.” An einer Wand befand sich eine Tafel, wo die Ergebnisse der Gespräche eingetragen werden sollten. Klar war hier zu ersehen, welcher Mitarbeiter am besten bei den Vermittlungsgesprächen abschnitt.
“Das,” so der Fliederfarbene, “trägt zur Motivation bei, besser als die anderen zu sein. Klappt wirklich und trägt zum Teamspirit bei.” Er klopfte mir dabei auf die Schulter, was meine Stimmung nicht wirklich besserte. Doch war das alles nur die Ouvertüre zu einem recht skurrilen Test, wie selbst ich ihn noch nicht erlebt hatte.
Ich wurde wieder in die etwas engere Mansardenstube geführt. Inzwischen hatte hier jemand mehrere Blätter auf dem Tisch sortiert. Ich wurde wieder auf meinen Stuhl gelotst und zum Sitzen aufgefordert. “Wir werden jetzt ein kleines Rollenspiel inszenieren, in dem Sie mit dem konfrontiert werden, was Sie an Ihrem zukünftigen Arbeitsplatz erwartet,” meinte mein Gegenüber und reichte mir einige Blätter. “Stellen Sie sich vor, ich wäre die Chefsekretärin und Sie müssten mit meinem Chef einen Termin mit Ihrem Chef vereinbaren.”
Es kostete mich tatsächlich einige Mühe, mir den Fliederfarbenen als Chefsekretärin vorzustellen, ich konzentrierte mich aber auf den Text. “Also, das Telefon klingelt,” meinte er. Ich war froh, dass er nicht “Rrrring, rrrring” sagte, sondern stumm auf meinen Einsatz wartete. Ich las also mit meiner besten Theaterstimme vor. “Guten Tag, mein Name ist … und ich rufe für meinen Herrn X … an (das mit “meinen Herrn” stimmt wirklich!), der würde gerne mit Ihrem Herrn X … über eine weitere Optimierung Ihres Unternehmens” … und so weiter und so weiter.
“Hm, schon ganz gut für den Anfang,” meinte der Fliederfarbene, “aber ich darf Ihnen jetzt mal vorführen, wie ich es mir vorgestellt habe. Sie spielen jetzt die Chefsekretärin.” Ich sah ein wenig zweifelnd an mir herunter, nickte dann aber zuversichtlich. “Das Telefon klingelt …” Ich starrte ihn einige Sekunden lang etwas ratlos an. “Sie sind jetzt die Chefsekretärin, Sie müssen ran gehen. “Ach so ja, Entschuldigung.”
Ich griff mir meinen vorgetexteten Zettel und leierte meinen Spruch herunter, damit mein Gegenüber anfangen konnte. Er machte es wirklich professionell, setzte die Betonungen genau an den richtigen Stellen und versprühte den Optimismus und die gute Laune eines strahlenden Frühlingstages. “Haben Sie den Unterschied bemerkt?” Ich nickte anerkennend. “Schön, dann sprechen Sie mir jetzt bitte laut und deutlich nach, das wird Ihnen dann in Fleisch und Blut übergehen, Sie werden sehen.”
Das ganze Brimborium zog sich dann tatsächlich noch eine Stunde hin und ich wurde immer besser. Fragen waren überflüssig, versicherte er mir: “Bleiben Sie bei dem Text. Das werden Sie auch, wenn Sie hier im Team arbeiten. Der Text ist oft erprobt worden und hat sich als erfolgreich herausgestellt. Experten haben ihn entworfen. Daran müssen Sie sich strikt halten. Klar darf man ein wenig variieren, aber grundsätzlich ist der Text Gesetz.”
Wenn man vollmundig behauptet …
Die erste der zahlreichen Hürden …
Jobanzeigen sind eine wahre Fundgrube …
Vor meinem inneren Auge sah ich mich acht Stunden am Tag immer den gleichen Text herunter leiern, um Chefsekretärinnen davon zu überzeugen, dass ich ihren Chef sprechen müsse. Und sollte ich diese Hürde genommen haben, galt es dann den Chef mittels des patentierten Textes davon zu überzeugen, sich mit einem anderen Chef zu treffen, der ihn wiederum davon überzeugen musste, dass er dessen Unternehmen entscheidend optimieren könne. Das, so dachte ich, könnte in der modernen Welt zu einem der Kreise von Dantes Hölle gehören. Man war noch nicht tot, befand sich aber dennoch schon im Purgatorium.
Ich tauchte aus meinen Gedanken auf, als der Fliederfarbene mich offenbar lobte: “Also, das haben Sie bis jetzt wirklich toll gemacht. Ich denke mal, dass wir zusammenkommen werden.” Er drückte mir mit einem breiten Lächeln wieder seine schwitzige Hand in meine. “Sie haben ja jetzt das Wochenende Zeit, darüber zu schlafen. Ich würde mich freuen, nächste Woche von Ihnen zu hören. Dann können wir alle Formalitäten abwickeln. Ach ja, Urlaub gibt es natürlich auch, immerhin 21 Tage. Wie gesagt, ich denke, Sie passen gut ins Team.”
Ich wünschte ein schönes Wochenende und beschloss dabei in Gedanken, erst mal Einzelgänger zu bleiben. Schließlich war am folgenden Tag Samstag und die nächsten Stellenanzeigen warteten schon darauf, durchforstet zu werden. Als sich die Glastür hinter mir schloss, bemerkte ich, dass ich von oben bis unten durchgeschwitzt war. Die Chefin des Unternehmens stand wieder (oder immer noch?) an einer Zigarette saugend neben der Tür an einem völlig überfüllten Ascher. Ich vermied eine weitere feucht-schlaffe Hand und nickte höflich zum Abschied.
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