Jede Umfrage ist subjektiv. Sie zeigt einen bestimmten Blickwinkel, den die Befrager einnehmen. Am 6. Mai veröffentlichte die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) die Ergebnisse ihrer Umfrage bei ausländischen Touristen, die die beliebtesten Sehenswürdigkeiten in Deutschland benennen durften. Jene Ziele, die sie reizen, Deutschland zu besuchen. Leipzig kommt auch drin vor. Etwas weiter hinten.
Denn natürlich verschiebt sich die Perspektive, wenn Reiselustige in aller Welt benennen sollen, was sie dazu animiert, eine Reise nun ausgerechnet nach Deutschland zu buchen. Aus dieser Perspektive konkurriert auch Leipzig mit den Großen in der deutschen Tourismuslandschaft.
Vom 1. Juli 2012 bis Ende März 2013 konnten ausländische Touristen unter www.germany.travel/top100 auf der DZT-Seite ihre “TOP Sehenswürdigkeiten” angeben. Knapp 700 konkrete touristische Ziele konnten somit ermittelt und “gerankt” werden, wie es die DZT ausdrückt. Aber ob “ranken” nun eine geglückte Eindeutschung des englische “to rank” ist, darf bezweifelt werden. Es ist nur wieder mal ein Zeichen dafür, dass die heutigen Pressestellenmitarbeiter nicht mehr aus der journalistischen Schule kommen, sondern aus der PR-Schule: Ihr Denglisch verrät sie.
Einordnen, einreihen, in eine Reihenfolge bringen – das wären die deutschen Entsprechungen. Die auch nicht verheißen, hier würde irgendeine Wertigkeit mitgegeben. Denn ein “Ranking” soll so eine Wertigkeit ja suggerieren. Aber augenscheinlich hat auch die recht große Zahl von über 46.000 verzeichneten Klicks bei der in 26 Sprachen verfügbaren Umfrage nicht dazu geführt, dass wirklich ein differenziertes Bild entstand.
Wirklich mitgemacht haben 15.000 ausländische Gäste. Welche Reiseziele aber wie viele Stimmen bekamen, hat die DZT nicht verraten. Wenn aber bei einer solchen Zahl von Teilnehmern schon ab Rang 30 Doppel- und Mehrfachbelegungen der Plätze auftauchen, spricht das dafür, dass sich die hier ermittelten Zahlen eher im marginalen Bereich bewegen.
Der Rest erzählt eigentlich, was im internationalen Raum an deutschen Attraktionen sehr präsent ist. “Schloss Neuschwanstein kommt bei den ausländischen Gästen des Reiselandes Deutschland am besten an”, meint die DZT. “Auf Platz zwei ihrer Hitliste steht der Europa-Park Rust, das UNESCO-Welterbe Kölner Dom belegt den dritten Platz.” Man merkt schon an dieser Stelle, dass hier augenscheinlich ein paar Spieler bei ihren Besuchern besonders stark dafür geworben haben, sich an der Umfrage zu beteiligen. Der Europa-Park Rust liegt im Drei-Länder-Eck Schweiz, Frankreich, Deutschland.
Dass die DZT plant, die Ergebnisse der Umfrage “mit dem Update in die DZT-App ‘Deutschlands TOP 100′” einfließen zu lassen, zeigt nur, wie wenig man sich im Hause DZT Gedanken über die Belastbarkeit der Umfrage macht. Wenn besonders viele Berlin-Besucher fleißig die Sehenswürdigkeiten Berlins anklicken, tauchen diese natürlich auch überproportional oft auf. Was Berlin natürlich verdient hat.
Aber es liegt auch nahe, dass Besucher, die “Brandenburger Tor, Berlin” (Rang 4) und “Berliner Mauer (East Side Gallery, Mauerpark, Mauerweg etc.)” (Rang 5) angeklickt haben, auch “UNESCO-Welterbe Museumsinsel Berlin” (Rang 10) angeklickt haben. Die alten Berühmtheiten “Loreley im UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal, Rheinland-Pfalz” (Rang 6), “Naturparks im Schwarzwald, Baden-Württemberg” (Rang 7), “Schloss Heidelberg, Baden-Württemberg” (Rang 8) und “Bodensee mit Insel Mainau, UNESCO-Welterbe Klosterinsel Reichenau, Lindau, Prähistorische Pfahlbauten, Burg Meersburg, Bodensee, Baden-Württemberg” (Rang 9) mischen sich darunter.
Was die Befragung verrät, ist natürlich, wie stark sich Berlin mittlerweile in die Aufmerksamkeit der Reisenden aus aller Welt zurückgekämpft hat. Es kommt noch mehrfach vor in der Liste, die die DZT als “Top 100” anpreist: Rang 15 “Reichstag Berlin”, “Fernsehturm am Alexanderplatz Berlin” (22), “Berlin Zoologischer Garten” (32) usw.
Aber auch ein paar andere ostdeutsche Attraktionen schaffen es über die Wahrnehmungsschwelle. Unter die 100 meistgenannten Reiseziele schafften es wohl mit einem ähnlichen Einsatz wie der Europa-Park die “Tropical Islands” in Halbe in Brandenburg auf Rang 11. Es darf bezweifelt werden, das das wirklich die internationale Wahrnehmung widerspiegelt.
Diese Nennungen hier aber schon:
13 UNESCO-Welterbe Schloss Sanssouci Potsdam
17 Frauenkirche Dresden
18 Insel Rügen mit Kreidefelsen
25 Nationalpark Sächsische Schweiz mit Bastei und Festung Königstein
32 Zwinger Dresden mit Gemäldegalerie Alte Meister
44 UNESCO-Welterbe Wartburg
71 Semperoper Dresden
81 UNESCO-Welterbe Das Bauhaus und seine Stätten in Weimar und Dessau
85 Schloss und Park Schwerin
97 Dresden Grünes Gewölbe Dresden, UNESCO-Welterbe Klassisches Weimar, UNESCO-Welterbe Stiftskirche, Schloss und Altstadt von Quedlinburg
Aber wie gesagt: Ab Nummer 30 drängeln sich oft mehrere Stätten auf einem Platz. Und da keine Zahlen zu den Teilnehmern der Umfrage mitgeliefert werden, kann auch nicht eingeschätzt werden, welche Besucher aus welchen Ländern nun welche Region “geklickt” haben. Und wie oft. Die große Zahl kann nicht täuschen. Es ist nichts anderes als eine Ad-hoc-Umfrage unter zufällig angesprochenen Leuten.
Auch Leipzig kommt vor. Aber nicht mit den üblichen Attraktionen, die man erwartet hätte – etwa dem Völkerschlachtdenkmal. Dafür taucht auf Rang 88 die “Altstadt Leipzig” auf. Was schon verwirrend genug ist. Aber wahrscheinlich ist damit die Innenstadt gemeint. Und damit ein Kleinod von Stadt, wie es andere Großstädte augenscheinlich nicht zu bieten haben. Ein bewahrenswertes Kleinod, was dann natürlich die derzeit zu beobachtenden Hotel-Investitionen nach sich zieht. Mit allen negativen Begleiterscheinungen – um nur das Thema der ausufernden Parkhaus-Bauten zu nennen. Aber irgendwie ticken Menschen so: Wenn sie etwas Schönes finden, sorgen sie dafür, dass es mit ihren Zivilisationsauswüchsen zugewuchert wird. Was eigentlich eine Mahnung wäre an die Planer vor Ort: Jetzt ist Sensibilität gefragt. Mal ganz davon abgesehen, dass internationale Besucher selten bis nie mit dem Pkw anreisen.
Die Zahl der ausländischen Besucher in Leipzig betrug 2012 übrigens 193.674, 15.000 mehr als im Vorjahr. Die meisten – 107.222 – kamen aus dem EU-Raum. Und obwohl diese Zahl stieg, nahm der prozentuale Anteil ausländischer Besucher an den Leipzig-Touristen ab – von 14,9 auf 14,4 Prozent. Was damit zu tun hat, dass Leipzig besonders bei den Tagesreisenden aus dem Bundesgebiet noch stärker zulegte.
Die von der DZT zusammengestellte “Top 100”-Liste:
www.germany.travel/media/content/presse/de/pressemitteilungen2013/mai/2013_TOP_100_fuer_Presse.pdf
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