Welche Frage stellt man sich heute? Die nach den Wollsocken und der Thermoskanne? Oder die nach der richtigen Straßenbahn zum richtigen Leseort? Die Buchmesse beginnt. Nicht alle guten Bücher bekommen einen Preis. Und manchen Geheimtipp muss suchen, wer Leipzig nicht kennt. Thomas Fritz zum Beispiel, dem die L-IZ den Preis der Leipziger Buchmesse eigentlich gewünscht hat. Er gastiert in einer Buchhandlung, die kaum einer kennt.

Am heutigen Donnerstag, 14. März, um 20 Uhr stellt er sein Buch “Selbstporträt mit Schusswaffe” in der Louis-Miethe-Buchhandlung vor. Die findet man gleich hinterm Bayrischen Bahnhof in der Arthur-Hoffmann-Straße 30. Ein Geheimtipp für alle, die durchaus auch die Konfliktfelder im großen Thema DDR-Grenze kennen lernen wollen. Denn auch die Grenzsoldaten standen in der Regel nicht freiwillig da – und manche tragen das Trauma noch Jahre später mit sich. Von anderen seelischen Lasten ganz zu schweigen.

Vorher, um 17 Uhr, lohnt sich der Weg in die Galerie “terra rossa” am Rossplatz. Da stellt Autor Bernhard Streck im Gespräch mit Elmar Schenkel sein grandioses Buch “Sterbendes Heiligtum” vor, ein Buch, in dem der Leipziger Ethnologe einmal all das aufbereitet, was vor dem Aufkommen des Monotheismus das religiöse Verhältnis der Menschen zur Welt ausmachte, manchmal schulterzuckend als “Heidentum” abgetan. Das Buch wird in der L-IZ noch besprochen. Es ist nicht ganz dünn. Aber es bringt Licht in die komplexen Beziehungen der Menschen zu ihrer Welt, als es noch keine Kirchen, Religionsstifter und Heiligen Schriften gab. Und das war bis vor etwa 1.000 Jahren auch noch in unseren Gefilden der Fall.

Manche sind jetzt auch schon draußen auf der Messe. Um 10 Uhr haben die Türen geöffnet, haben die ersten Verleger Schampus, Waffeln und Salzstangen rausgeholt. Man muss ja den Leser herzlich empfangen. Der hat immerhin in der Regel ordentlich bezahlt dafür, dass er Verleger und Autoren leibhaftig sehen darf. 13,50 Euro für die Tageskarte. Mal ehrlich: Das ist schon mal ein dickes Taschenbuch. Die Dauerkarte gibt’s für den Preis eines Hardcover-Buches: 29 Euro. Im Familienticket wird’s ein wenig preiswerter.

Mancher war auch schon am Mittwochabend im Gewandhaus (auf persönliche Einladung hin) und hat dort die Eröffnungsfeier mitgemacht. Es ist immer der offizielle Beginn der Buchmesse, der in der Zeitung danach immer so schrecklich ehrwürdig aussieht. Als wären Bücher heutzutage immer noch in Leder gebunden.

Die Messe ist gut belegt

Einer ist dann immer schon zufrieden mit den Zahlen: Martin Buhl-Wagner, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Messe. Die Messe ist – auch wenn das Leser immer etwas anders sehen – zuerst ein Geschäft. 2.069 Aussteller aus 43 Ländern haben sich auf 69.000 Quadratmetern eingemietet. Die Hotelbranche meldete schon vor Tagen volle Häuser – die Hotelpreise in Leipzig sind entsprechend gestiegen. Geschäft ist Geschäft. Und mittlerweile hat Leipzig drei Festivals, bei denen die Hotels ausgebucht sind: neben der Buchmesse mit ihren erwartbaren 160.000 Besuchern, das Wave Gotic Treffen und den Weihnachtsmarkt.

Die Freunde des Leipziger Bücherfrühlings kommen auch, wenn draußen 1 Grad unter Null angezeigt wird und der Schnee herumliegt wie bestellt und nicht abgeholt. Die fünf Messehallen, die bespielt werden (2, 3, 4, 5 und Glashalle) und das Congress Center, wo die Bibliothekare schon seit Tagen tagen, sind beheizt. Die Straßenbahnen sind es auch. Und die 365 Orte, an denen das Lesefest “Leipzig liest” stattfindet, sind es auch. 70 davon sind Schulen. “Wir haben das Programm in den Schulen dieses Jahr deutlich erweitert”, sagt Oliver Zille, der auch die noch gar nicht gestellten Nachfragen abblockt: “Wir begleiten die Organisation intensiv.”“Leipzig liest” ist wie ein Pilz

Was nicht “Nein!” heißt. Jeder darf. Und Leipzig ist wie der Pilz in Wladimir Sutejews “Lustigen Geschichten”: Zuerst passt gerade so mal eine Ameise drunter. Am Ende finden auch Frosch und Igel locker Platz. Sutejews Kinderbuchklassiker wird übrigens vom Leipziger LeiV-Verlag weiter betreut. Wer will, kann also nachschauen.

Leipzig ist so ein Pilz. Erst fängt man ganz klein an. Das war 1992. Da wurde “Leipzig liest” als innerstädtisches Begleitprogramm zur Buchmesse aus der Taufe gehoben. Es lasen: 80 Autoren an knapp 160 Leipziger Orten. Das Projekt funktionierte. Die Buchmesse lebt seitdem von diesem Lesefest, das andernorts immer wieder gern kopiert wird. Es funktioniert ja nicht nur in Leipzig. Man braucht nur eine Menge Autoren, die neue Bücher mitbringen, ein paar heimelige Orte und ein vier Tage lang von Literatur geradezu besessenes Publikum. All das gibt es in Leipzig vom 14. bis 17. März.

Der Pilz ist gewachsen. Was passt 2013 drunter? – Ungefähr 2.900 Autoren – noch einmal 120 mehr als im letzten Jahr. Sie sind in 2.800 Veranstaltungen zu erleben – im letzten Jahr waren es 2.600. Deswegen ist das Programmheft mit den Lesungen von “Leipzig liest” dieses Jahr noch später fertig geworden. Irgendwann, wenn die 3.000 überschritten ist, gibt es das Heft wohl erst nach der Messe. Als Erinnerung.

Es gibt dieses Jahr auch einen Ausklinker als eigenes Heft: “Leipzig liest für Kids und Teens”. Das ist Denglisch. Man merkt: Die PR-Suppe läuft auch in die schöne Buchmesse hinein. Warum glauben die Leute, die so etwas machen, dass die Formulierung “Kinder und Jugendliche” nicht mehr verwendet werden darf? Warum lässt man solche Leute überhaupt Texte und Überschriften machen?

Einstiegsdrogen fürs Lesen

Zur Sprache gehört Sensibilität. Natürlich kann man die Stange tiefer legen. Martin Buhl-Wagner, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Messe: “Auch das ganze Thema Manga-Comics bindet die Leser an das Buch.” Einstiegsdrogen gibt es viele. Ein großer Teil der Leipziger Buchmesse beschäftigt sich mit den etwas barriereärmeren Einstiegen. Mal mit dem Veröffentlichen (autoren@leipzig), mal mit dem Lernen und den Schulmaterialien (Bildung & Wissen), mal auch mit diesen bunten Trends im Bereich “Kinder & Jugend” (so heißt der Bereich auf der Messe tatsächlich – es geht doch).

Mancher Besucher des Ganzen läuft gezielt die vielen Preisvergaben an. Der erste Preis wurde ja schon am Mittwochabend, 13. März, im Gewandhaus verliehen – der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, den in diesem Jahr Klaus-Michael Bogdal für sein Buch “Europa erfindet die Zigeuner” bekommt. Am heutigen 14. März werden dann die Nominierten zum “Preis der Leipziger Buchmesse” vorgestellt. Höhepunkt ist dann 16 Uhr die Preisverleihung selbst.

Interessant ist das auf jeden Fall für die Verlage, die ihre Bücher in dieses Finale bekommen haben.

Die berechtigte Frage nach dem eBookFür die Presse zum Buchmesseauftakt am 13. März eher nur beiläufig interessant: Wie wird denn das nun mit dem eBook? An allen Ecken trötet einem ein Verkäufer in die Ohren, dieser neuliche Zweig des Texteverbreitens sei gewaltig im Kommen. Gerade letzte Woche erst haben große deutsche Buchhändler gemeinsam mit der Telekom einen eigenen eReader auf den Markt gebracht, um dem einen großen Online-Händler endlich mal Paroli bieten zu können. Den “tolino”, den auch Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, richtig gut findet. Vor allem, weil er ein offenes System bietet und sich nicht (“wie das Gerät eines anderen Anbieters”), gegen Konkurrenzangebote abschottet.

Der Zeitpunkt scheint taktisch gewählt. Das eBook-Lesen kommt auch in Deutschland so langsam aus den Pötten. 100 Prozent Steigerung in einem Jahr. Da staunt der Mathe-Lehrer. Dahinter steht aber eine Steigerung des Marktanteils von 1 auf 2 Prozent. So ungefähr. Es sieht nicht wirklich so aus, als würde das digitale Buch dem gedruckten in Deutschland den Rang ablaufen. Anders als in den USA, wo mehr oder weniger seriöse Erhebungen von 30 Prozent Marktanteil sprechen.

“Der Unterschied”, so Skipis, “sind die Buchhändler. Und die fehlende Buchpreisbindung in den USA.” Die hat nämlich in den vergangenen Jahren zu einem Massensterben der Buchhandlungen in den USA geführt. Man findet fast nur noch Großbuchhandlungen – und das auch nur noch in größeren Städten. Wer im Lande einen neuen Titel möglichst schnell bekommen möchte, bestellt ihn per Versand – und muss ein paar Tage warten. Oder er lädt ihn gleich als eBook herunter. “In so einer Situation spielt das eBook natürlich seine Stärken aus”, sagt Skipis.

2013 sei auch in Deutschland mit weiteren Steigerungsraten zu rechnen. Die Branche sei längst dabei, sich umzustellen. Das gedruckte Lesewerk ist nicht mehr allein. Die Distributionsformen fächern sich ja schon seit Jahren auf. Das Hörbuch ist mittlerweile ein klassisches Beispiel für neue Wege der Literaturverbreitung. Skipis: “Wir sprechen zunehmend vom Prinzip Buch.”

Das Prinzip Buch im Jugendzimmer

Was auch ein neues Licht auf den Buchverkäufer richtet: Der ist nur noch in seltenen Fällen der gemütliche ältere Herr mit Nickelbrille, Weste und Kittel, der seine Bücherschätze noch persönlich aus den oberen Regalen holt. Es ist ein Multimedia-Beruf geworden. Nicht die Verpackung ist wichtig, sondern der Inhalt. Skipis: “In unserer Branche arbeiten Leute, die Inhalte zu den Menschen bringen wollen.” Und es auch mit immer neuen Ideen schaffen. Die Umsätze im Buchhandel steigen. Trotz alledem. 49,5 Prozent aller Bücher werden noch immer in Buchhandlungen verkauft, lediglich 17,8 Prozent online. Wer Bücher sucht, hat es in Deutschland nicht so weit wie in den USA bis zur nächsten Buchhandlung. Die Buchpreisbindung hat einen tieferen Sinn.

Und die Vermittlung an die nächste Generation klappt auch. Da staunte selbst der Börsenverein, als die jüngste Umfrage ergab, dass von den 6- bis 13-Jährigen sich 91 Prozent für das Buch interessieren – aber nur 80 Prozent für den Computer. “Mir beweist das, dass das Buch ein gesetzter Faktor ist”, sagt Skipis.

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Er hat dann ganz offiziell die dreijährige Werbe-Kampagne der Buchbranche “Vorsicht Buch!” eröffnet, über die die L-IZ schon berichtet hat.

Leipzig ist ab heute wieder der Rummelplatz der Bücher, der Leser, Schreiber, Händler und Verleger. Aller, die einfach nicht von der Überzeugung abzubringen sind, dass Lesen bildet. Und dass ganz viel Lesen ganz viel bildet.

Was – zum Ärger aller Bildungsfeinde – auch wissenschaftliche Untersuchungen untermauern: Kinder, die mit Vorlesen und Lesen groß werden, haben in der Schule um ein Drittel bessere Lernerfolge.

Dass sich ein paar Leute im Land bemühen, dieses gefährliche Lesen einzuschränken, darüber hat die L-IZ ja auch schon berichtet. Folgerichtig gab es zur Buchmesse-Pressekonferenz auch einen Protest der Leipziger Initiative gegen die verkürzten Öffnungszeiten der Deutschen Nationalbibliothek. Zugang zur Bildung braucht offene Türen. Aber wem erzählen wir das?

www.leipzig-liest.de

www.leipziger-buchmesse.de

Wladimir Sutejew im LeiV-Verlag: www.leiv-verlag.de/autoren/?show=authors&id=87

Die Leipziger Jugend-Literatur-Jury: www.leipzig.de/de/buerger/bildung/bib/sbib/lesen-und-lernen/Leipziger-Jugend-Literatur-Jury-22323.shtml

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