Die jungen, frisch ausgebildeten Meister des Jahrgangs 2012 feiert die Handwerkskammer zu Leipzig erst am 6. Oktober. Aber zur kleinen Pressekonferenz lud sie schon am Freitag, 21. September ein. Denn am selben Tag gab's noch eine Meisterfeier: Drei Handwerkerinnen und 29 Handwerker bekamen den "Goldenen Meisterbrief". Den gibt's in Leipzig zum 50. Meisterjubiläum.

Das wurde am gestrigen Freitag im Bildermuseum gefeiert, danach mit einer Kaffeetafel mit Handwerkskammerpräsident Ralf Scheler. Jüngste Jubilarin war die 70-jährige Goldschmiedemeisterin Erika Schäfter, die ihr “Goldenes” übrigens gemeinsam mit Wolfgang Schäfter feierte. Der Nestor unter den Jubilaren war der Maschinenbauermeister Werner Fichte aus Mockrehna. Fleischer, Tapezierer, Schornsteinfeger und Tischler gaben sich die Hand. Eine durchaus bemerkenswerte Versammlung. Denn vollständige Akten über den Abschlussjahrgang 1962 besitzt die Handwerkskammer nicht. Man muss das Jubiläum über die Innungen und die Presse bekannt machen, damit sich die Jubilare melden können.

“Und nicht alle wohnen mehr in Leipzig”, sagt Andrea Wolter. So wird das Treffen auch für Ralf Scheler, der heute ein Handwerksunternehmen für Sicherheitstechik führt, selbst zu einer besonderen Erfahrung. Immerhin galten 1962 fürs Leipziger Handwerk rigide Restriktionen, die auch verhinderten, dass mancher seinen Meister machen konnte.

Anders ist es heute. Wer will, der darf. Und er wird in den Unternehmen der Region schon sehnsüchtig erwartet. Sie übrigens auch. Zwar bevorzugen junge Frauen auch 2012 ein eher weibliches Gewerk für das Friseurhandwerk, wenn sie ihren Meisterbrief machen. Aber sie tauchen als Jungmeisterin im Tischlerhandwerk auf, im Fleischbetrieb, als Maler- und Lackiermeisterin oder als Kraftfahrzeugtechnikerin.

288 junge Leute erhalten am 6. Oktober ihren Meisterbrief. Gleichzeitig können 41 Handwerkerinnen und Handwerker ihren Abschluss als Betriebswirtin/Betriebswirt des Handwerks feiern. Denn Handwerk ist eben nicht nur Theorie und Praxis eines Berufsfeldes wie das des Dachdeckers oder Elektrotechnikers. Handwerker sind Unternehmer. Aus Sicht der großen Statistik natürlich vor allem Kleinunternehmer. In den rund 12.300 Handwerksbetrieben im Kammerbezirk Leipzig arbeiten durchschnittlich acht Personen in einem Betrieb. In der Summe ergibt das trotzdem einen wichtigen Teil der regionalen Wirtschaftsleistungen. Aktuell bilden sie 3.500 Lehrlinge aus. Und der Umsatz liegt hochgerechnet bei 4 Milliarden Euro.

So viele Betrieben bedeuten aber auch, dass in den nächsten zehn Jahren ungefähr 2.500 Handwerksbetriebe einen Nachfolger für den “Chef” suchen und brauchen. “Und unsere Erfahrung ist, das sich die Unternehmen schon ganz von allein den Kopf darüber zerbrechen”, sagt Handwerkskammerpräsident Ralf Scheler. “Da müssen wir gar nichts machen oder besondere Aufrufe starten.” Was übrigens auch auf die Alterung der Belegschaft zuträfe. Das Thema “demografische Entwicklung” ist im Handwerk längst angekommen. Möglicherweise auch befeuert durch die deutschlandweite Marketing-Aktion des Handwerks, die im Januar dann drei Jahre läuft. Sie soll zwar den Passanten mit großen blauen Plakaten klar machen, welche Leistungskraft das Handwerk hat.
Aber jeder Firmeninhaber denkt bei so viel Getrommel für den eigenen Ruhm zwangsläufig auch daran, dass der Ruhm verdient und bewahrt werden muss. Das betrifft die Arbeit mit dem Nachwuchs genauso. Früher noch als die Industrie startete das Handwerk im Kammerbezirk gezielte Werbeaktionen für junge Leute und organisierte ernsthafte Kooperationen mit den Schulen.

Denn eine Erfahrung macht sich bezahlt: Selbst junge Leute, die in der Schule keinerlei Motivation mehr finden, tauen meist auf, wenn sie – etwa im BTZ Borsdorf – selbst erleben können, was man mit den eigenen Händen schaffen kann. Arbeit ist eben nicht nur Broterwerb oder eine schamhafte Legitimation vor einer Gesellschaft, die Müßiggang verachtet. Sie kann auch Erfüllung sein, wenn man die Qualifikation findet, die zu einem passt. Und mancher taut beim Umgang mit Maurerkelle, Hobel oder Kneifzange erst richtig auf.

Mancher entdeckt so auch erst, was in ihm steckt. Unter den 288 Jungmeisterinnen und Jungmeistern haben 89 Prozent die Schule mit einem Realschulabschluss beendet, 3 Prozent sogar mit Abitur. Aber 8 Prozent haben zwar “nur” den Hauptschulabschluss, haben aber in sich trotzdem das Zeug dazu entdeckt, sich noch einmal richtig zu qualifizieren. Und Meisterausbildung ist eben mehr als Theorie und Praxis. Es gehört auch ein Prüfungsteil Betriebswirtschaft hinzu. “Es nutzt nichts, wenn man zwar sein Handwerk beherrscht, aber keine Ahnung von Unternehmensführung hat”, sagt Scheler. Und es gehört auch ein arbeitspädagogischer Prüfungsteil dazu. Denn wer Meister wird, erwirbt auch die Ausbildungsberechtigung.

Seit Kurzem freilich auch die Zugangsberechtigung zur Hochschule. Die EU hat den Meisterbrief mit einem Fachschulabschluss gleichgesetzt. Was fürs Leipziger Handwerk die nächste Kooperation fast zwangsläufig macht: die mit der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig. Am 6. Oktober wird deshalb nicht nur die Rektorin der HTWK, Dr. Renate Lieckfeld, die Festrede halten. Am gleichen Tag wird auch offiziell die Kooperationsvereinbarung zwischen der HTWK und der Handwerkskammer Leipzig unterschrieben.

Und zwei werden natürlich oben auf der Bühne stehen, schicke blaue T-Shirts und Meisterbrief und Abschlusszeugnis bekommen. Die eine ist Silvana Mosig, 26, die als Jahrgangsbeste ihren Abschluss als Betriebswirtin des Handwerks gemacht hat. Ursprünglich wollte sie nach dem Abitur einmal eine Karriere im Bankwesen machen. Aber dann wechselte sie – in Anbetracht all der dunklen Wolken überm Bankensektor – doch lieber in einen kleinen Leipziger Betrieb, der Gebrauchtwagen verkauft, machte eine Lehre als Automobilkauffrau und war – naja – Jahrgangsbeste. Die Ausbildung zur Betriebswirtin noch berufsbegleitend dranzuhängen, war fast logisch. Und am Ende holte sie in der Prüfung 95 von 100 Punkte. “Da wäre noch was drin gewesen”, sagt die Leipzigerin.

Da ist noch was drin, sagte sich Jens Leber, ausgebildeter Kfz-Schlosser und seit 14 Jahren in einem Hydraulik-Großbetrieb tätig. Eigentlich hätte er gern so eine Art Meisterbrief als Hydrauliker gemacht. Aber den bietet die Handwerkskammer zu Leipzig nicht an. Nutzte er also die Chance, seit 2008 berufsbegleitend für den Meister im Karosserie- und Fahrzeugbau zu lernen. “Da ist die Hydraulik mit drin”, sagt er. Dieses Jahr wurde er fertig und bekam – natürlich ganz zufällig – mit, dass man für einen Meisterbrief gar nicht die ganze Schule machen muss. Eigentlich braucht man dafür nur die Prüfung abzulegen. Wenn man’s drauf hat. Wie oben erwähnt: Praxis, Theorie, Betriebswirtschaft und Arbeitspädagogik. “Wenn das so ist, kann ich doch auch gleich noch die Prüfung als Kraftfahrzeugtechniker machen”, sagte sich Leber. Er las noch ein paar Bücher für die Prüfung, ließ sich prüfen – und ist in diesem Jahr das Unikum auf der Bühne: ein Jungmeister, der in einem Jahr gleich zwei Meisterbriefe erworben hat.

Die Handwerkskammer hat ihre Jungspunde auch befragt, was sie nun mit dem neuen Titel anfangen wollen. Viele der entsendenden Betriebe wird es beruhigen: 36 Prozent der Jungmeisterinnen und Jungmeister haben danach vor, leitende Tätigkeiten im Unternehmen zu übernehmen. 39 Prozent haben die Zukunft als selbstständiger Handwerker vor Augen. 6 Prozent wollen sogar noch was draufpacken und studieren.

Für manches Unternehmen wird damit die Zukunft gesichert. Über das Thema Unternehmensnachfolge, so Scheler, wird im Kammerbezirk schon sehr intensiv nachgedacht. “Drei bis fünf Jahre vor der Rente sollte man als Unternehmensinhaber schon über die Nachfolge nachdenken und anfangen, sie zu organisieren”, sagt Scheler. Und so weit er das einschätzen könne, täten das die meisten Unternehmen auch. Genauso, wie sie mittlerweile umgedacht haben bei der Beschäftigung älterer Mitarbeiter. “Das Thema altersgerecht Arbeiten ist in den Unternehmen angekommen”, sagt Scheler. “Heute lässt keiner mehr seine Gesellen gehen, bloß weil er nicht mehr der Jüngste ist.”

Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Im Leipziger Handwerk werden in guten konjunkturellen Zeiten keine Personalüberhänge aufgebaut. “Das Risiko geht keiner mehr ein”, sagt Scheler. Zu schnell kann das gute Konjunkturwetter ausbleiben. Und derzeit herrscht für Leipzigs Handwerk gutes Wetter. Die Auftragsbücher sind zu 90 Prozent gefüllt, damit sind auch die Preise recht hoch, die im Handwerk genommen werden können. Und Leipzigs OBM hat ja gerade die nächste Runde eingeleitet: das Schulinvestitionsprogramm im Umfang von 165 Millionen Euro. Ans Handwerk hat er schon dringend appelliert: “Nächstes Jahr brauchen wir euch.”

Schelers Antwort: “Das schaffen wir.”

www.hwk-leipzig.de

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