Man kann den Wecker danach stellen: Wenn die Glastüren der Leipziger Buchmesse das erste Mal das Publikum einlassen, steht die Sonne am Himmel. Für die Besucher ist das folgenschwer, die Glashalle, die zum Gewächshaus mutiert, sollten sie meiden, lieber in die Hallen gehen. Da warten auch genügend Verlage auf sie.

Ein Verleger vertreibt Leipziger “Adelsgeschichten”, ein anderer kämpft leidenschaftlich um den Ruf eines Geburtstagskinds.

Bloß raus aus der Glashalle, weg in die klimatisierten Hallen. Die ersten Gedanken auf der Leipziger Buchmesse 2012 sind pragmatischer Natur. Die Jacke liegt schon im Auto, doch selbst im luftigen Pullover ist es fast schon unerträglich unter dem Glashallendach. Eine unübersehbare Zahl an Schülern döst links und rechts der Wege, die, die noch stehen können/wollen tauschen sich über die neusten Errungenschaften aus oder geben geheime Tipps weiter, wo es noch etwas abzustauben gibt. Viele von ihnen tragen eine giftgrüne Tasche der Online-Bibliothek Skoobe.
Bei der Connewitzer Verlagsbuchhandlung lässt man sich von der Hektik der Messe nicht anstecken, auch wenn vor dem Stand die Leseratten hin und her sausen, man bleibt ruhig. Was gibt’s Neues? Das neueste Produkt des Verlags ist ein Werksband mit den Gedichten des Leipziger Lyrikers Andreas Reimann, Titel: “Die Weisheit des Fleisches”. “Andreas ist der Enkel von Hans Reimann, der in den Zwanzigern die Zeitschrift ?Der Drachen’ herausgegeben und auch an der Feuerzangenbowle mitgeschrieben hat. Reimann gehört quasi dem Leipziger Schriftsteller-Adel an”, erklärt mir Jörg Zimmermann aus der Conewitzer Verlagsbuchhandlung. Unter noch ungeklärten Umständen kam der Vater von Andreas Reimann, ebenfalls Autor, 1955 ums Leben, die Stasi hatte ihn zuvor am Schlafittchen gepackt.

Was für ein altes Wort, dem man auf seine alten Tage noch mal die Ehre geben sollte. Wer weiß, ob es nicht schon bald ausgestorben ist? Mittlerweile gibt es so einige Wörter, die nicht mehr durch den normalen Redefluss hinausgespült werden, sondern auf das Gutdünken der Menschen angewiesen sind. Irgendwann wird ihnen so aber auch der Garaus gemacht werden. So gesehen, ist Thomas Böhmes Buch für die deutsche Sprache ein wahres Angebinde. 101 Asservate, also Verwahrstücke, will er aus ihrem Siechtum in der deutschen Sprache befreien und kramte sie deshalb noch einmal hervor, baute ein wenig Prosa um sie. Jeder Leser sollte zukünftig beim Reden und Schreiben genauso viel Obacht wie Böhme geben, damit er der Firlefanzerei mit der Sprache ein Ende setzt. Kleiner Tipp für alle Eltern: Um die Kinder zur Räson zu bringen, einfach mal mit Maulschellen drohen. Klingt so unbekannt und wer es nicht kennt, findet es vielleicht noch “cool”.
Bei Joachim Jahns vom Dingsda Verlag geht es friedlich zu, auch wenn sich Jahns die Gebärden der Stadt Spremberg als Aberwitz empfindet. “So richtig sagen die am Ende auch nichts”, poltert er. Es geht um den 100. Geburtstag des Schriftstellers Erwin Strittmatter, den seine Heimatregion in diesem Jahr nicht feiern will. Angeblich soll Strittmatter in der SS Dienst verrichtet haben. In seinem neuesten Buch widerspricht dem Jahns. “Ich habe alle Kritik an Strittmatter diesbezüglich auseinander genommen. Ich weise in dem Buch nach, dass er nicht bei der SS war.” Nur: In Spremberg wird Jahns Buch bisher von den Entscheidungsträgern nicht wahrgenommen. “Bei Diskussionsrunden haben die Bürger mein Buch sogar hochgehalten, weil sie denken, dass die Entscheidungsträger es nicht gelesen haben.”

Für Jahns ist die Diskussion über Strittmatters Zeit bei der SS eine Farce. “Er wollte gar nicht in den Krieg, er musste aber per Gesetz. Um das zu umgehen, hat er sich freiwillig bei der Schutzpolizei gemeldet, weil er so nicht in die SS musste. Was er bei der SchuPo machen sollte, wusste er allerdings nicht.” Jahns argumentiert leidenschaftlich für Strittmatter, eine ältere Frau mischt sich ein. “Denken Sie, dass jemand dieses Buch kaufen wird?”, “Natürlich denke ich das!”, “Wissen Sie, ich habe 21 Bücher von Strittmatter zu Hause, für seine Werke interessiert sich keiner mehr.” Böhme hätte für dieses Problem das richtige Wort parat, am besten es steht hier noch einmal, bevor es ausstirbt: Fisimatenten.

Fortsetzung folgt sogleich.

www.cvb.de

www.dingsda-verlag.de

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