Zwischen ungezählten Buchmesse-Gästen schlenderten am Donnerstag auch Ex-Kinoweltchef Michael Kölmel und ein paar Spielerinnen des FCL umher. Soll mal noch einer sagen, das einzige Buch, was Fußballer(innen) lesen können, sei das Sparbuch. Obwohl: Lesen habe ich sie nicht gesehen.

Ihre Ziele bleiben unbekannt, meine sind bekannt: ein Verlag vom Stadtrand, der die DDR-Geschichte beleuchtet wie niemand anders und ein Leipziger Verlag, der nie ein Auge von der Stadt lässt.

Security auf der Buchmesse. So oft sieht man sie nicht, an manchen Ständen stehen sie aber und verrichten mit grimmigem Blick ihren Dienst. Während ich durch die Halle promeniere, sehe ich zwei Polizisten, die sich köstlichst darüber amüsieren, nur weil ihre Kollegin an einem Glücksrad dreht. Der Security-Mann am Stand des GNN und des Schkeuditzer Verlags hat sein Lachen berufsbedingt im Spind gelassen, obwohl es hier – zumindest als ich da bin – nicht viel anders zugeht als an anderen Ständen.

Die Gäste stecken ihre Nasen in diverse Bücher, schnarchen umher und ziehen mehr oder weniger schnell weiter. Bei Fragen wenden sie sich an Herbert Stascheit, der seinen Stand zusammen mit dem Mann mit dem besucherunfreundlichen Blick bewacht, ähm, betreut. Stascheit scheint zu wissen, warum der Stand besonderen Schutz benötigt.”Wir beleuchten die DDR-Geschichte so wie kein anderer Verlag”, erzählt er und das bedeute dann auch, dass es hier Bücher über Nischenthemen gebe wie “Die DDR und das Franco-Regime”, aber auch Abhandlungen über Bildung, Pädagogik und Gesellschaft gestern, heute und morgen. Die meisten Bücher werfen einen anderen Blick auf die DDR als den gewohnten.

“Ich nenne es DDR-Aufarbeitung aus der linken Ecke”, so Stascheit, der mir dazu erklärt: “Es gibt viele, die sagen, dass die DDR das Schlimmste war, was es jemals gab.” Ihnen will Stascheit mit seinem Verlagsprogramm entgegentreten. “So viele, die diese Nische bedienen, gibt es nicht. Alles was wirtschaftlich interessant ist, macht Eulenspiegel, den Rest machen wir.”

So zum Beispiel ein 436-Seiten-Konvulut über die “Lebendige DDR”, herausgegeben von Horst Jäkel, in dem 70 Autoren über ihr Leben in der DDR erzählen. Ihnen geht es dabei “weder um Verherrlichung noch um Verdammung, sondern um die geschichtliche Wahrheit”, heißt es im Infotext des Verlages. Doch auch wenn es immer so scheint, als würden alle die geschichtliche Wahrheit gepachtet haben, es kann sie nicht geben. Geschichte ist ein Konstrukt, das stets neu verhandelt wird. In unserer Zeit in allen Facetten zu Ungunsten der DDR und das regt Stascheit auf, der so leise redet, als wenn er Angst hätte, dass der Security-Mann doch noch aushelfen muss.Den Stand von Pro Leipzig muss niemand bewachen, auch wenn Dr. Thomas Nabert zu Spitzenzeiten Angst haben muss, dass bei dem Gedränge am kleinen Eckstand ein Buch Beine bekommt. Etwa das neueste Buch von Nabert und seiner Frau Andrea. “Zeugen des Schreckens” heißt es und wird erst am 18. März offiziell im Lazarettmuseum Seifertshain vorgestellt. Der Ort der Vorstellung entsprang keiner Laune der Naberts, sondern soll das passende Ambiente liefern. Die beschriebenen Zeugen haben nämlich die Schrecken der Völkerschlacht, bis zur Schlacht um Berlin im Zweiten Weltkrieg die größte Schlacht der Geschichte hautnah miterlebt.

“Nächstes Jahr soll das 200-jährige Jubiläum der Völkerschlacht gefeiert werden, wir wollen zeigen, dass es dabei eigentlich wenig zu feiern gibt”, so Nabert, der aus den Archiven vor allem Berichte von Zivilisten gefischt hat. “Viele von ihnen wurden durch das Leid traumatisiert. Leipzig hatte damals 30.000 Einwohner, allein bei der Schlacht starben 100.000 Menschen, die tagelang herumlagen.” Nicht wenige sind beim Anblick des Schreckens tot umgefallen, wie Zeitzeugen berichten.

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“Je weiter sich die Geschichte von der Völkerschlacht entfernt hat, desto stärker rückte das Leid in den Hintergrund. Die Sicht auf die Schlacht wurde gerade 1913 nationalistischer. In den Berichten von 1813 findet sich aber kein Hinweis auf etwaige Franzosenfeindlichkeit.” Übrigens soll der eine oder andere auch herzhaft in die Beine von gefallenen Soldaten gebissen haben…

Bloß gut, dass Nabert auch noch (ent-)spannende Zerstreuung parat hat. Im Buch “Zwischen Rüben und Güldengossa” erzählt ein ehemaliger Schlossgärtner über seine Erlebnisse im noch braunkohlereichen Leipziger Süden, garniert von einigen Intimitäten aus den Familien seiner Arbeitgeber. Eine versuchte krampfhaft, ihren hodenlosen Sohn zu verheiraten, der Schlosstratsch brachte einige schöne Geschichten unters Volk. Der Gärtner hatte seine Lauscher gespitzt. Eine hodenlose Frechheit und ein Leipziger Beitrag zur Alltagsgeschichte des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, der so nicht alltäglich zu finden ist.

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