In der Ratsversammlung am 22. Mai wurde noch einmal das heiß diskutierte Thema Mietspiegel diskutiert. Zum Thema wurde es durch einen Vorgang am Amtsgericht Leipzig, bei dem die zuständige Richterin den 2023 veröffentlichten Mietspiegel aus formalen Gründen nicht als qualifiziert ansah. Ein Mieter des Großvermieters BCRE hatte versucht, eine Mieterhöhung mit Verweis auf den Mietspiegel abzuwenden. Und postwendend kam natürlich die Frage auf: Wer hat da eigentlich geschlampt?

Oder auch: Wer ist schuld? Wer trägt die Verantwortung dafür, dass ein aufwendig erstellter Mietspiegel für Leipzig vor Gericht keine Anerkennung findet?

Dazu stellten sowohl die Linksfraktion als auch die CDU-Fraktion eigene Anfragen – jede mit durchaus eigenem Tenor. (Die Antworten der Stadt findet man hier und hier.) Aber hartnäckig nachgefragt hat am 22. Mai dann vor allem Linke-Stadtrat Mathias Weber. Denn jetzt haben augenscheinlich viele Leipziger Mieter ein Problem: Worauf können sie sich berufen, wenn eine Mieterhöhung auf sie zukommt?

Ein viel zu spätes Gesetz

Später stieg auch noch FDP-Stadtrat Sven Morlok in die Fragerunde ein und versuchte den Oberbürgermeister darauf festzunageln, dass es genug Warnungen gegeben hätte, dass die Datenerhebung für den Leipziger Mietspiegel 2023 unrechtmäßig gewesen wäre und damit Leipzig ganz bewusst darauf zusteuere, einen nicht-qualifizierten Mietspiegel zu bekommen.

Das war 2022. Damals war längst klar, dass die Hoheit über die Erstellung von Mietspiegeln vom Bund an die Länder abgegeben wurde. Das dazu gehörende Mietspiegelreformgesetz wurde am 17. August 2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und trat gemäß Artikel 5 am 1. Juli 2022 in Kraft treten.

Das heißt: Die Bundesländer hatten ein Jahr lang Zeit, dafür auch in ihrem Bereich das nötige Gesetz zu beschließen. Aber das Sächsische Mietspiegel-Zuständigkeitsgesetz wurde erst am 15. Dezember 2022 vom Landtag beschlossen. Vorgelegt hatte die Regierung es im Entwurf auch erst im Juli 2022.

Waren daran die Kommunen schuld, die mit dem Freistaat deshalb darüber diskutierten, dass der Freistaat ihnen dann die hohen Kosten für die Erstellung der Mietspiegel ersetzt? Das zumindest suggerierte Sven Morlok. Immerhin könnte das den Gesetzgebungsprozess verzögert haben, auch wenn der Freistaat sich dann eher nicht bereit zeigte, den Kommunen die Kosten zu erstatten.

Sven Morlok (Freibeuter/ FDP) im Leipziger Stadtrat am 22.05.24. Foto: Jan Kaefer

Leipzig zum Beispiel kostet die Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels 277.000 Euro. Plauen rechnete eher mit 160.000 Euro, Zwickau nur mit 50.000. Dresden macht die Datenauswertung nicht im eigenen Statistikamt, sondern gibt die Auswertung an einen externen Auftragnehmer und kommt so auf 164.000 Euro.

Aber auch das ist eher nur ein Gefecht an der Seitenlinie. Denn Leipziger Mietspiegel gelten in der Regel für zwei Jahre. Dann veraltet natürlich die Datengrundlage und es muss ein neuer Mietspiegel erstellt werden. Den letzten Mietspiegel vorher gab es 2020.

Es war also 2022 höchste Zeit, wieder neue Daten zu erheben. Der Stadtrat musste dazu wie gehabt eine Satzung beschließen und das Amt für Statistik und Wahlen konnte loslegen. Und legte auch los im Vertrauen darauf, dass der Freistaat Sachsen das Mietspiegel-Zuständigkeitsgesetz dann wenigstens rückwirkend gültig sein lässt.

Die Qualifizierung des Mietspiegels wurde nie in Zweifel gezogen

Doch genau das brachte die Staatsregierung nicht fertig. Oder wahrscheinlich genauer: Thomas Schmidt, der zuständige Regionalminister, in dessen Bericht die Mietprobleme der sächsischen Kommunen gehören. Das Gesetz trat erst am 15. Dezember 2022 in Kraft. Und damit hatte – so sah es jedenfalls die Amtsrichterin – die Datenerhebung in Leipzig keine Rechtsgrundlage.

Obwohl Leipzig auch in den Vorjahren sachlich korrekte und qualifizierte Mietspiegel erarbeitet hatte. Die Qualifizierung des Mietspiegels, so OBM Burkhard Jung, wurde auch vor Gericht nie in Zweifel gezogen. Nur nutzte BCRE die gesetzlich entstandene Lücke, die dann auch die Amtsrichterin so interpretierte, dass allein durch das verspätete Mietspiegel-Zuständigkeitsgesetz Leipzig keine rechtskonforme Datenerhebung vollzogen hätte.

Was übrigens auch die Haltung des Vemieterverbandes Haus & Grund ist, der, wie Sozialbürgermeisterin Dr. Martina Münch auf Nachfrage von Mathias Weber bestätigte, im Arbeitskreis Mietspiegel der Stadt noch nie einem der qualifizierten Mietspiegel zugestimmt hat.

Aber warum hat Leipzig dann trotzdem 2022 Daten erhoben?

Auch das wurde in der Fragerunde deutlicher. Denn ohne Datenerhebung hätte Leipzig aktuell überhaupt keinen Mietspiegel. Es wäre also genauso ein „Loch“ entstanden, in dem Leipzig über keinen aktuellen Mietspiegel verfügt hätte.

Die Stadt war also im Zugzwang und stand vor der Wahl, im Vertrauen auf das Zuständigkeitsgesetz der Landesregierung den aufwendigen Datenprozess einzuleiten oder von vornherein zwei Jahre lang auf einen Mietspiegel zu verzichten. Im Interesse der Mieterinnen und Mieter, so Burkhard Jung, habe man sich dafür entschieden, trotzdem mit der Datenerhebung für den Mietspiegel zu beginnen.

Der Mietspiegel ist eine anerkannte Verhandlungsgrundlage

Und – anders, als es in dieser oder jener Zeitung stand – steht Leipzig eben nicht ohne gültigen Mietspiegel da. Denn anders als BCRE erkennen die meisten Großvermieter (LVB, Wohnungsgenossenschaften, Vonovia) den Leipziger Mietspiegel als Verhandlungsgrundlage bei Mieterhöhungen an. Jung ermuntert also alle Mieter, sich auf den Mietspiegel zu berufen.

Denn nur formal ist er nicht gerichtsfest. Die Daten darin sind nach gesetzlichen Standards ermittelt und bieten deshalb eine sehr objektive Grundlage zur Ermittlung des am Wohnort gültigen Mietniveaus.

Und auch Morloks Fragen nach der möglichen Dauer von Gerichtsverhandlungen waren rein suggestiv. Denn gerade die Mieter, die sich eigentlich Mieterhöhungen nicht leisten können, können sich auch Gerichtsprozesse nicht leisten, bei denen sie am Ende als Verlierer dastehen oder gar noch 5.000 Euro teure Gutachten beibringen müssen, dass der Mietspiegel in ihrer Wohngegend trotzdem gilt.

Da es kein Gerichtsurteil gibt, ist auch diese Frage nicht zu beantworten. BCRE war so klug, den klagenden Mieterinnen und Mietern einen Vergleich anzubieten, auf den das Amtsgericht dann auch drängte. Wo ein Vergleich zustande kommt, gibt es kein Urteil.

Und die betroffenen Mieter haben natürlich lieber den Vergleich gewählt, als ein Gerichtsurteil zu riskieren, bei dem sie auf teuren Anwaltskosten sitzen bleiben.

Und wie kann die Stadt das Ganze nun heilen? Einfach durch nüchterne Arbeit. Noch im Frühjahr 2024 wurden die Weichen für die Erstellung des nächsten Mietspiegels gestellt, so teilte das Sozialdezernat mit, sodass Leipzig wohl im Sommer 2025 den nächsten Mietspiegel bekommt. Dann innerhalb der gesetzlich geregelten Zuständigkeiten. Einen formalen Grund, ihn nicht als gerichtsfest zu betrachten, sollte es dann eigentlich nicht mehr geben.

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