Eigentlich hat die Sächsische Agentur für regionale Lebensmittel (AgiL) schon im Januar ihre Arbeit aufgenommen. Corona-bedingt konnte das nicht öffentlich zelebriert werden. Aber Team-Leiterin Heike Delling ist sogar froh, dass ihre kleine Mannschaft erst einmal ein paar Monate Zeit hatte, überhaupt die ersten Netze zu knüpfen. Denn darum geht es. Aus drei Netzwerker/-innen sind inzwischen sechs geworden. Und ein Krieg fing ja dazwischen auch noch an.
Ein Krieg, der erst recht zeigte, wie schnell internationale Lieferketten zerstört werden können und wie abhängig auch die deutsche Nahrungsversorgung vom Weltmarkt ist. Der eigentlich kein richtiger Markt ist, denn die Bauern selbst – egal, wo sie ihren Hof betreiben – haben praktisch keinen Einfluss auf die dort zu erzielenden Preise. Darüber bestimmen andere. Mit verheerenden Folgen – auch in Deutschland längst zu beobachten. Denn das Höfesterben hält seit Jahren an. Bauer um Bauer gibt seinen Betrieb auf, weil die Preise, die er für seine Produkte bekommt, nicht mal die Herstellungskosten decken.
Fehlgelenkte Subventionen
Und das trotz massiver Subventionen, die die EU jedes Jahr verteilt. Doch der schlimmste Effekt dieser Subventionen ist, dass riesige Agrarbetriebe noch billiger produzieren und mit ihren Exporten auch noch die Existenz von Bauern auf anderen Kontinenten gefährden – und letztlich auch vernichten.
Während heimische Konsumenten beim besten Willen nicht mehr sagen können, woher eigentlich all die Produkte im Markt kommen, wie sie hergestellt wurden, wie gut oder erbärmlich die Produzenten bezahlt wurden und wie viel Natur und Boden dafür kaputt gemacht wurden.
Das Unbehagen ist längst überall spürbar. Die Bauern sind sauer und mürbe zugleich. Kaum ein Jahr vergeht mehr, in dem sie nicht protestierend mit ihren Traktoren nach Berlin fahren, weil sie von den miesen Erlösen für ihre Produkte nicht überleben können. Und die Käufer weichen, wo sie können, auf Bio und regional erzeugte Lebensmittel aus. Wenn sie noch welche finden. Denn beides wird in Deutschland gar nicht in genügender Menge hergestellt.
Und es ist auch für viele Konsumenten gar nicht der Weg, ihren Bedarf in den Biomärkten zu decken. Die Produkte aus der heimischen Landwirtschaft müssten eigentlich barrierefrei in jedem Supermarkt stehen.
Und Fakt ist auch, dass immer mehr Einzelhandelsketten diese Produkte auch listen wollen. Doch wie?
Genau das soll AgiL nun organisieren: Die Agentur soll regionale Marken stärken und die Verarbeitung sächsischer Rohprodukte durch regionale Handwerks- oder andere Verarbeitungsbetriebe ausweiten helfen. Das war dann am Donnerstag, 16. Juni, eigentlich das wichtigste Thema, als am Sitz der Agentur in Liebertwolkwitz, von wo aus sie ganz Sachsen betreut, tatsächlich die Eröffnungsveranstaltung nachgeholt wurde. Jetzt schon mit einer gewissen Euphorie, denn die fünf Monate Arbeit haben auch gezeigt, dass Sachsen – was die eigene Ernährungswirtschaft betrifft – nicht bei null anfangen muss
Es fehlt an regionalen Verarbeitungsbetrieben
Was selbst Umweltminister Wolfram Günther verblüfft: dass eben doch nicht alles, was bis 1990 in der Region an Erzeugern und Verarbeitungsbetrieben existierte, verschwunden ist, vom viel gepriesenen „Markt“ hinweggefegt. Denn die größte Sorge in dem Projekt bereiteten ja die Verarbeitungsbetriebe. Landwirtschaftsbetriebe, die alle nötigen Produkte herstellen (können), gibt es genug. Einzelhändler, die die verarbeiteten Produkte abnehmen, gibt es auch. Denn sie alle wissen, dass sie regionale Marken gut verkaufen können.
Nur das Zwischenstück schien komplett zu fehlen: die verarbeitenden Betriebe. Also genau das, wo in der Ernährungswirtschaft tatsächlich Wertschöpfung passiert.
„Indem wir die regionale Wertschöpfung stärken, stärken wir die ländlichen Räume“, sagt Wolfram Günther. „Landwirtschaft, Handwerk und Mittelstand profitieren von mehr Wertschöpfung vor Ort und damit die Menschen in den Regionen. Wenn wir auch Bioprodukte in den Blick nehmen, leisten wir einen Beitrag zum marktgerechten Wachstum des Ökolandbaus. Kurze Wege vom Acker auf den Teller und mehr Bio: Das ist praktischer Klima- und Umweltschutz und verbessert die wirtschaftlichen Perspektiven entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Die Agentur unterstützt jetzt genau diese Anliegen und verbindet alle Akteur/-innen von Hof bis Handel. Ich ermutige die Unternehmen der Land- und Ernährungswirtschaft ausdrücklich, bei diesem Anliegen mitzutun und mit AgiL zusammenzuarbeiten. Die deutlich gestiegene Nachfrage nach Regio- und Bio-Regio-Produkten zeigt: Hier liegen unglaublich viele Potenziale.“
Im Video erzählt er noch viel lebendiger, wie das alles zusammenhängt und warum die Wertschöpfung vor Ort nicht nur die Betriebe stärkt, sondern auch Arbeitsplätze schafft. Denn die auf Effizienz getrimmten, industriell arbeitenden Großbetriebe beschäftigen kaum noch Personal. Mit modernster Technik produzieren sie auf riesigen Flächen und in riesigen Stallanlagen zu niedrigsten Preisen und bedienen damit genau die „Billig“-Mentalität, die nicht nur tausende Bauern zum Aufgeben zwingt, sondern auch die Landschaften, die Böden, die Artenvielfalt zerstört. Denn ohne künstliche Düngung und Pestizide und Medikamenteneinsatz funktioniert dieses System nicht.
Das alte System zerstört die Böden
Und Günther selbst weiß aus den Gesprächen mit den Bauern, dass die Meisten damit überhaupt nicht glücklich sind. Denn sie wissen auch, dass sie mit diesen Methoden die Böden zerstören, die ganze Bodenfauna kaputt machen und in 30 Jahren wohl nur noch Staub beackern werden, der nichts mehr hervorbringen kann.
Aber sie wissen auch nicht, wie sie aus dieser Klemme herauskommen sollen. Denn natürlich hört man nicht einfach auf, konventionell zu ackern, wenn man weiß, dass das eigentlich nur einen katastrophalen Ausgang nehmen kann. Man steuert erst dann um, wenn man weiß, dass man auch andere Abnehmer findet, also an völlig andere Erzeugerketten andocken kann.
Und die können nur regional sein. Das ist der Grundgedanke von AgiL. Manche Agrarbetriebe machen schon längst Direktvermarktung vor Ort. Und machen damit beste Erfahrungen. Andere betreiben auch eigene Hofläden oder betreiben gar Großküchen, die Abnehmer in direkter Nachbarschaft versorgen – so wie die Agrargenossenschaft „Wesenitztal“, die sich am 16. Juni vorstellte und zeigte, wie so ein Umbau und die Diversifizierung eines Agrarbetriebes aussehen können.
Geschäftsbeziehungen auf Augenhöhe
Auch in dieser Hinsicht fängt Sachsen also nicht bei null an. Oft wirtschaften Erzeuger, Verarbeiter und mögliche Verkäufer nebeneinander her und wissen gar nichts voneinander. So gesehen schienen die letzten Corona-Monate sogar eine Art Glücksfall zu sein: Die Mitarbeiter/-innen von AgiL konnten sich ganz und gar auf die Netzwerkarbeit konzentrieren, konnten Kontakte knüpfen und die Adressen sammeln und auch gleich zu Online-Beratungen einladen, bei denen dann auch schon mal überraschende Kontakte zustande kamen, wie Heike Delling berichtet.
Denn wenn die Landwirte erfahren, wer in ihrer Region eigentlich nur darauf wartet, ihre Produkte abzunehmen, entstehen schnell völlig andere Geschäftsbeziehungen. Nicht mehr vertikal – wie das jetzt noch die Norm ist, wo die Erzeuger völlig abhängig sind von den Großverarbeitern, die die Mengen und Preise bestimmen und die oft gar nicht in Sachsen sitzen. Auf einmal entstehen klassische Geschäftsbeziehungen auf Augenhöhe. Denn Erzeuger und Verarbeiter sitzen in der Region.
Oder gründen sich auch erst. Denn natürlich ist man sich auch im Sächsischen Landesamt für Umwelt und Geologie (LfULG) bewusst, dass es zwar noch eine gewisse Zahl von Verarbeitungsbetrieben gibt in Sachsen. Aber nicht genug und nicht überall. Es braucht also auch auf diesem Gebiet Start-ups, die sich überall gründen, wo der Bedarf an in Sachsen verarbeiteten Produkten längst sichtbar ist. Es braucht also auch Gründungsberatung und Starthilfe für genau solche Betriebe.
Es geht um Versorgungssicherheit
Denn natürlich geht es – wie Günther betont – um Versorgungssicherheit und Resilienz. Ein Land wie Sachsen ist den ganzen Kapriolen am „Weltmarkt“ hilflos ausgeliefert, wenn seine Nahrungsversorgung von all den Schwankungen beeinflusst wird, die nicht nur durch Kriege und Bürgerkriege immer heftiger werden. Lieferketten können reißen, Länder geraten in all die Katastrophen, die mit der Klimaerhitzung zusammenhängen und zu kompletten Ernteausfällen führen können – Dürren, Stürmen, Überschwemmungen. Das wird alles immer häufiger und heftiger passieren.
Also muss auch Sachsen schnellstmöglich größere Teile seiner Nahrungserzeugung wieder regionalisieren und Strukturen schaffen, die auch für die Käufer wieder transparent werden. Denn natürlich wollen die immer öfter wissen, woher eigentlich Wurst und Käse, Mehl und Öl, Fisch und Nudeln kommen. Also unsere Lebensmittel, die ja genau deshalb so heißen.
Am 16. Juni jedenfalls war eine Menge Euphorie zu spüren, dass Sachsen mit AgiL tatsächlich schon in kürzerer Zeit erste Erfolge vorzeigen kann. Jedenfalls im Bereich Vernetzung und Beratung. Andocken kann die Arbeit von AgiL an die schon existierenden Bio-Regio-Modellregionen. Eine davon ist ja die Bio-Regio-Modellregion „Leipzig – Westsachsen“.
Und vorerst ist AgiL deshalb auch als ein zeitlich begrenztes Projekt angelegt, das sich vor allem als Netzwerker einbringen soll. Denn wenn die Netzwerke erst einmal geknüpft sind, arbeiten sie natürlich ganz von allein. Dann sollten tragfähige Geschäftsbeziehungen entstanden sein und jeder in seiner Region wissen, mit wem er kooperieren kann, um die landwirtschaftliche Wertschöpfung in der Region zu schaffen.
Die Agentur wurde vom LfULG nach Ausschreibung an eine Bietergemeinschaft vergeben. Die Vertragslaufzeit endet am 30. November 2025. Die Agentur AgiL hat ihren Sitz in Liebertwolkwitz. Insgesamt werden für die Agenturarbeit Landesmittel in Höhe von 2,44 Millionen Euro aufgewendet. Die Arbeiten werden durch das LfULG koordiniert und von ihm fachlich begleitet.
Keine Kommentare bisher