In den letzten Jahren wurde es immer öfter Thema in der Ratsversammlung: Wie schafft es Leipzig, weniger Abfall zu produzieren, Stoffkreisläufe zu schließen, Dinge wieder in Nutzung zu bringen, bevor sie tatsächlich in Containern entsorgt werden? Wie wird also aus einer Abfallwirtschaft tatsächlich eine Wertstoffwirtschaft, wie es Linke-Stadtrat Michael Neuhaus am 15. Juni der Ratsversammlung ansprach?
Die Ressourcen werden knapper
Denn in einer Welt, in der sich nicht nur das Klima aufheizt und das Artensterben in vollem Gange ist, sondern auch die Ressourcen immer knapper werden, kann es sich keine Kommune mehr leisten, dass Unmengen von Produkten einfach nur gekauft und dann oft noch voll funktionsfähig weggeschmissen werden. Eigentlich ist die Herstellung einer Kreislaufwirtschaft seit über 20 Jahren Thema.
Erst im Mai beschloss der Stadtrat deshalb eine Zero-Waste-Strategie für Leipzig.
Aber dahinein gehört natürlich auch ein Baustein, den die Linksfraktion in einen Antrag packte: „Wertstoffe sind kein Abfall – Für Wertstoffhöfe der Zukunft und ein kommunales Secondhand-Warenhaus“.
Kein wirklich neuer Einfall. Denn etliche Initiativen in Leipzig kommen sich ja in Tauschbörsen, Reparaturcafé und Second-Hand-Warenhäusern schon um das Thema.
Aber der Linke-Antrag zielte auch ganz direkt auf die Wertstoffhöfe der Stadt, die in den Augen von Linke-Stadtrat Michael Neuhaus eben noch keine Wertstoff-Höfe sind.
Weg vom alten Wegschmeiß-Denken
„In vielen Fällen sind Wertstoffe kein Abfall, sondern direkt wiederverwendbare Objekte. Doch weil alles, was auf einem Wertstoffhof abgegeben wird, als Abfall gilt, muss die Stadt es entsorgen. So wandern funktionsfähige Elektrogeräte und nutzbare Möbel direkt in den Schredder und werden zerstört“, stellt der Antrag der Linksfraktion nüchtern fest.
„Darüber hinaus sind diese Gegenstände das Produkt unzähliger Arbeitsstunden. Auf den Wertstoffhöfen wird also die Lebenszeit von Menschen wortwörtlich vernichtet. Sie anstelle dessen wieder in Umlauf zu bringen, schont nicht nur Ressourcen, sondern ist auch sozial. Die Preise in den genannten kommunalen Gebrauchtwarenhäusern liegen deutlich unter den Neuanschaffungspreisen. Auch bietet sich die Möglichkeit, in Kooperation mit anderen stadteigenen Unternehmen Plätze für Wiedereingliederungsmaßnahmen und gutbezahlte Jobs zu schaffen.“
Das Problem ist vor allem rechtlicher Natur
Es ist also ein rechtliches Problem: Die Stadtreinigung Leipzig kann die Geräte nicht einfach nehmen und weiterverschenken. Es braucht einen juristischen Rahmen.
Das sah auch die Stadtreinigung Leipzig so, die im Wesentlichen den Alternativvorschlag für die Stadt formulierte. Denn natürlich wird sie sich am Ende kümmern müssen. Und OBM Burkhard Jung hat zwar geschmunzelt, als Neuhaus ihm unterstellte, er habe den hübschen Namen „Zweite Liebe“ bei einem Gläschen Rotwein im Freisitz gefunden.
Aber gefunden hat ihn wohl jemand in der Stadtreinigung Leipzig, wo ein Projekt, wie es sich die Linksfraktion gedacht hat, ebenfalls schon diskutiert wurde.
Die schlug nämlich vor: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Rahmen der Machbarkeitsstudie zum Warenhaus ‚Zweite Liebe‘, als geplantes Teilprojekt für das Bundesförderprogramm ‚Zukunftsfähige Innenstädte, Stadtteilzentren und Magistralen‘ (VII-DS-06347) zur Umsetzung der kommunalen Sammlung, Aufbereitung und Vermarktung von Wertstoffen, folgende Aspekte zu prüfen und die Ratsversammlung über die Ergebnisse bis zum IV. Quartal 2023 zu informieren …“
Und der wichtigste Aspekt ist natürlich: die „Einrichtung von gesonderten Sammelstellen für Produkte auf den kommunalen Wertstoffhöfen, welche die direkte Wiederverwendung oder – nach Vorbereitung – eine Wiederverwendung ermöglichen.“
Eine Reparaturwerkstatt gleich mitdenken
„Erster Meilenstein dieses Teilprojektes soll die Durchführung einer Machbarkeitsstudie sein und Ergebnisse aufzeigen, wie in Leipzig ein solches ‚Secondhand-Warenhaus‘ funktionieren kann“, erläutert die Stadtreinigung Leipzig ihren Ansatz, der jetzt schon Teil der „Zero-Waste“-Strategie ist.
„Die vom Antrag benannten Gesichtspunkte werden dabei ebenso mit aufgenommen, wie jene, die aus bereits bestehenden Austauschen mit sog. ‚Secondhand-Warenhäusern‘ anderer Großstädte (Berlin/München) vorhanden sind. Eine Einbindung bestehender, lokaler Akteure ist ebenso vorgesehen wie die Prüfung von Möglichkeiten von Abfallvermeidungsmaßnahmen in der Abfallbewirtschaftung des Eigenbetriebes Stadtreinigung Leipzig.“
Sogar einen zusätzlichen sozialen Aspekt könne die „Zweite Liebe“ bekommen: „Durch seine Mitwirkung an der konkreten Umsetzung der Zero-Waste-Idee kann dem KEE erstmalig ermöglicht werden, sein soziales Tätigkeitsfeld, also die Unterstützung und die Heranführung von hilfebedürftigen Menschen an den ersten Arbeitsmarkt, mit dem Umweltgedanken zu verbinden.
Menschen, die längere Zeit nicht auf dem Arbeitsmarkt tätig waren, bietet die Aufarbeitung von gebrauchten Gegenständen die Möglichkeit, durch einfache und niederschwellige handwerkliche Tätigkeiten verloren gegangene Motivation wiederzuerlangen. Hierzu gibt es bereits Vorstellungen, wie die Mitwirkung durch arbeitsmarktpolitische Förderinstrumente realisiert werden könnten“, schreibt die Stadtreinigung.
Die „Zweite Liebe“ könnte 2024 eröffnen
Man hat also durchaus schon Ideen, wie es funktionieren könnte. Aber trotzdem brauche das noch Zeit, betont die Stadtreinigung: „Ausgehend vom Teilprojekt Warenhaus ‚Zweite Liebe‘ und dem gesamtstädtischen Konzept zur Einführung einer Zero-Waste-Strategie, werden erste Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Anfang 2023 erwartet. Nach einer Prüfung und Bewertung derselben, soll die Umsetzung bis zum Jahresende geplant werden, wobei die Mitwirkung der Akteure berücksichtigt wird.
Arbeitsmarktpolitische Förderinstrumente könnten bei Bewilligung ab dem IV. Quartal 2023 eingesetzt werden. Eine Inbetriebnahme des Warenhauses ‚Zweite Liebe‘ wird derzeit ab 2024 geplant. – Über die Ergebnisse und Umsetzungsvorschläge wird die Ratsversammlung im IV. Quartal 2023 informiert.“
Was erst einmal nur ein Alternativvorschlag war, wurde am 15. Juni zum Beschluss, denn Michael Neuhaus stellte den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung, der dann mit deutlicher Mehrheit von der Ratsversammlung angenommen wurde. Nur die üblichen acht Herren stimmten wieder dagegen.
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