Der Ukraine-Krieg hat die Energiefrage in aller Schärfe gestellt und offengelegt, welche Versäumnisse eigentlich alle westlichen Staaten bei der Energiewende angehäuft haben. Und wie sie allesamt immer noch in der Illusion leben, Sprit könne für alle Zeiten ein billiger Treibstoff sein. Doch die Zeiten der Illusionen sind vorbei. Ein Interview mit Energieexperte Prof. Jens Schneider.
Die EU will unabhängig(er) von Energieimporten aus Russland werden. Wie kann das gelingen? Was passiert, wenn es zu Importstopps oder Lieferengpässen von russischem Erdgas und/oder Erdöl kommt?
Aus meiner Sicht muss im Vordergrund stehen, dass der Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich beendet wird, daher muss der westliche Druck auch so schnell wie möglich vollumfänglich ausfallen. Dazu gehört ein Stopp der Energieimporte und auch ein stärkerer, diplomatischer Austausch mit China zur Situation mit Russland.
Die Auswirkungen eines längeren Krieges und längerer, abgeschwächter Sanktionen auf die deutsche Energieversorgung werden nicht besser ausfallen als ein kürzerer Krieg mit maximalen Sanktionen. Aus meiner Sicht sollte das Ziel in diesem Konflikt auch sein, irgendwann wieder Beziehungen zu Russland aufbauen zu können.
Bundeswirtschaftsminister Habeck hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir Lösungen erarbeiten müssen, um kurz- und mittelfristig über die nächsten Winterheizperioden zu kommen. Ohne die großen Anteile der fossilen, russischen Energieträger Erdgas, Erdöl und Steinkohle im deutschen und europäischen Energiesystem wird dies sehr schwierig.
Im Falle von Engpässen werden wir entscheiden müssen, ob Bürger oder Industrie verzichten müssen. Wenn wir das nicht entscheiden, wird es der Markt regeln – dann explodiert der Preis und es müssen die verzichten, die es sich nicht leisten können. Die Preise für alle staatlich zu stützen wird nicht helfen, da dadurch weder mehr Energie bereitgestellt noch der Verbrauch reduziert wird.
Welche Alternativen sehen Sie?
Bei den vielen Gegenmaßnahmen benötigen wir eigentlich Zeit, die wir nicht haben. Jedoch gibt es auch kurzfristig wirksame Lösungen. Zunächst stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung, um die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu reduzieren: Erstens können wir alternative Energieimportquellen identifizieren, und zweitens können wir unseren fossilen Energieverbrauch senken. Bei den alternativen Quellen sind wir durch die Importinfrastruktur limitiert.
Diese sollte im europäischen Rahmen voll ausgelastet werden. Die Verteilung innerhalb Europas sollte aufgrund der guten Infrastruktur möglich sein. Der Aufbau neuer Importinfrastruktur steht im Wettbewerb zum Aufbau eigener alternativer Energieerzeugung. Hier plädiere ich klar dafür, dass sich Europa auf den Aufbau erneuerbarer Energien, insbesondere Wind- und Solarenergie, konzentriert, um Fehlinvestitionen zu vermeiden und die Chance zu nutzen, der Klimaneutralität näherzukommen.
Die Investition in erneuerbare Energien ist jedoch erst der Anfang der Investitionen in eine reduzierte Abhängigkeit von fossilen Energieimporten. Im Bereich der Elektrizitätsversorgung müssen flexible Lösungen für die optimale Nutzung von fluktuierendem Wind- und Solarstrom wirtschaftlich belohnt und Eigenverbrauch gefördert werden – mit den richtigen Regelungen lohnt sich das heute schon wirtschaftlich. Zur Flexibilität gehören die zeitliche Verschiebung von Stromverbräuchen, die Speicherung sowie die Nutzung in anderen Sektoren.
Im Wärmebereich müssen wir fossile Heizungen durch elektrische ersetzen, d.h. Wärmepumpen und Widerstandsheizungen, sowie thermische Speicher zur Flexibilisierung ausbauen. Der Siegeszug der Elektromobilität ist nicht mehr aufzuhalten – dazu gehören auch die Bahn und der ÖPNV. Zusätzlich sollten, wo immer möglich alternative Mobilitätskonzepte genutzt werden – ich selbst fahre sehr gerne mit dem Rad auch zu Geschäftsterminen.
In der Industrie müssen neue Investitionen in CO2 freie Fertigungs- und Verarbeitungstechnologien angeschoben werden. Hier spielt sicher die Wasserstoffelektrolyse eine große Rolle. Die vielen Millionen neuen, dezentralen Prozesse müssen flexibel mit Unterstützung durch die Digitalisierung und smarten Lösungen gesteuert werden.
Neben der stetigen, langfristigen Fortschreibung der Energiewende gilt es, alle kurzfristigen Maßnahmen zu prüfen, auch wenn die Diskussion dazu bereits früher geführt wurde, und ohne ideologische Scheuklappen unter den aktuellen Rahmenbedingungen neu zu bewerten.
Die prominentesten Beispiele sind hier der Weiterbetrieb der drei verbliebenen Atomkraftwerke und ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Mit dem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke könnten wir die Gasimporte aus Russland um maximal 15 Prozent reduzieren, allerdings nur unter sehr großem Aufwand und mit sehr hohen Kosten.
Beim Tempolimit auf der Autobahn ist die Rechnung komplizierter, hier könnten wir möglicherweise acht Prozent der Erdölimporte aus Russland einsparen, dafür sind Aufwand und Kosten sehr gering. Durch eine Reduktion der Raumtemperatur um 2 °C wären es beim Gas weitere sechs Prozent. Schon hier wird klar, dass der Weg weit ist, aber die Summe aus vielen Maßnahmen kann helfen.
Was können wir alle konkret tun?
Auch ohne Tempolimit kann jeder Autofahrer und jede Autofahrerin auf Wege mit dem Auto verzichten, Fahrgemeinschaften bilden oder wenigstens langsamer fahren. Der Energieverbrauch bzw. CO2-Ausstoß sollte für jeden und jede beim nächsten Autokauf ein noch wichtigeres Kriterium sein, um Kosten zu sparen und die Umwelt zu schonen. Wer z.B. ein SUV fährt, sollte sich nicht über Spritpreise beschweren.
Die Temperatur in unserem Haus habe ich tatsächlich schon selbst gesenkt – die Familie hat es noch gar nicht gemerkt. Beim Energieverbrauch sind sonst sicherlich immer noch die Klassiker am wirkungsvollsten: Stoßlüften statt Fenster kippen, ungenutzte Geräte ausschalten, energiesparende Geräte kaufen …. Alle Maßnahmen leisten einen kleinen, aber wichtigen Beitrag für einen reduzierten Energieverbrauch, stärken unserer Unabhängigkeit von Energieimporten und schonen unseren Geldbeutel.
An der HTWK Leipzig diskutiere ich mit Studierenden im Modul „Klimawandel – Was kann ich tun?“ darüber, welche Maßnahmen wir selbst ergreifen können, um das Klima zu schonen. Dabei wählen die Studierende eigene Themen aus, erproben diese am eigenen Verhalten und berechnen die Auswirkungen auf die Umwelt.
Die Kreativität der Studierenden ist dabei beachtlich und die Themen sind sehr breit. Fahrwege werden mit dem Rad anstelle des Autos erledigt, regionale und Bioprodukte verglichen, der CO2-Fußabdruck von Einweg- und Mehrwegverpackungen berechnet, alternative Lebensmittel getestet, Verpackungen und Müll vermieden, kurz und kalt geduscht und sogar auf Zigaretten verzichtet.
Ich selbst habe aus dem letzten Semester eine weitgehende Umstellung von Kuhmilch auf Hafermilch mitgenommen. Allerdings würde ich mir wünschen, dass die Hafermilch mit der Zeit auch kostengünstiger wird. Für den Geldbeutel ist im Bereich der Ernährung sicher eine Reduktion des Fleischkonsums sinnvoller.
Wie ist Ihre Vision: woher nehmen wir in 30 Jahren unsere Energie für unser Leben?
In 30 Jahren werden wir keine fossilen Energieträger mehr verbrennen. Alle Einzelpersonen und Unternehmen müssen sich darauf einstellen. Wer heute in eine Brennwerttherme, ein neues Verbrennungsauto, einen LNG Terminal (Flüssigerdgasterminal) oder einen Hochofen investiert, wird dies bereuen.
Unsere Energie wird in ganz großem Maße aus Solar- und Windenergie stammen. Das schont die Umwelt und hilft der Wirtschaft. Außerdem ist die Energieerzeugung damit viel gleichmäßiger und gerechter verteilt. Schreckliche Kriege um Öl und Gas sind für die Bevölkerung nicht mehr nachvollziehbar und sorgen bei jungen Menschen genauso für Unverständnis wie die deutsche Teilung oder die Weltkriege.
Wir beschäftigen uns viel mit der technischen und wirtschaftlichen Modellierung der zukünftigen Energieversorgung. Jedoch können wir zukünftige Innovationen nur schwer voraussehen.
Wasserstoff ist heute schon in aller Munde, wie er wo hergestellt und verbraucht wird ist aber noch nicht sicher. Vermeintlich verrücktere Ideen wie der Hyperloop erscheinen heute wenig vorstellbar, aber ich würde so etwas gerne ausprobieren. Ich persönlich finde einzelne, autonome, schienengebunden Gondeln spannend, die im kurzem Takt Menschen und Güter durch den ganzen Kontinent transportieren.
Zudem bin ich überzeugt, dass sich unser gesellschaftliches Zusammenleben weiterentwickeln wird. Wir müssen uns fragen, was uns wirklich wichtig ist – auf dem Weg zu einer lebenswerteren Umgebung gibt es aus meiner Sicht noch viel Potenzial. Hier dürfen wir auf der ganzen Welt ruhig Ideen „klauen“ und genauso eigene Ideen beitragen! Und ich hoffe, dass auch die Menschen in der Ukraine und Russland daran teilhaben können.
Jens Schneider hat die Professur Vernetzte Energiesysteme an der Fakultät Ingenieurwissenschaften der HTWK Leipzig inne.
Das Interview mit Prof. Jens Schneider führte Franka Platz, Pressereferentin der HTWK Leipzig.
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