Die Bundesregierung nannte auch das Liberalisierung, als sie die Strommรคrkte รถffnete und auch Leuten den Verkauf von Strom mรถglich machte, die selbst รผber gar keine Netze und Produktionsanlagen verfรผgen. Das Ergebnis waren Dutzende Anbieter, die mit opulenten WerbemaรŸnahmen den alten Stadtwerken die Kunden abjagten und den Menschen das Gefรผhl gaben, Stadtwerkestrom sei zu teuer. Doch mit den steigenden Strompreisen an der Bรถrse klappte das System in sich zusammen. Und auch in Leipzig bekamen zehntausend Haushalte die Kรผndigung.

Den groรŸen Schlag gab es, als im Dezember der Stromversorger Stromio, der Gasdiscounter Gas.de und die Marke Grรผnwelt Kรผndigungen an hunderttausende Kunden verschickten, wie der โ€žSpiegelโ€œ berichtete.Auch wenn die Fachleute rรคtseln, ob nicht andere Motive hinter den Kรผndigungen steckten. Aber der Effekt war รผberall derselbe: Haushalte, die glaubten, einen richtig gรผnstigen Stromtarif zu haben, sahen sich auf einmal in die Grundversorgung der Stadtwerke versetzt.

Sie bekamen weiter Strom โ€“ aber nun zum Grundversorgungstarif der Stadtwerke, der deutlich hรถher liegt als die รผblichen Abo-Modelle. Aus gutem Grund. Das erklรคrt jetzt auch die Antwort der Stadtverwaltung auf eine Anfrage der Linksfraktion.

Denn die Abo-Modelle sind deshalb gรผnstiger, weil die Stadtwerke diese langfristig planen und dafรผr auch entsprechend gรผnstig Strom einkaufen kรถnnen. Die Neukunden in der Grundversorgung sind da nicht drin. Und wenn das auch noch auf einen Schlag 10.000 sind, die sich neu anmelden, mรผssen die Stadtwerke diesen zusรคtzlich benรถtigten Strom zukaufen โ€“ in der Regel an der Strombรถrse, wo die Preise aber seit Anfang 2021 permanent steigen und im Herbst fast doppelte Hรถhe erreichten.

Entwicklung der Strompreise an der Leipziger Strombรถrse eex. Grafik: Stadt Leipzig / eex
Entwicklung der Strompreise an der Leipziger Strombรถrse eex. Grafik: Stadt Leipzig / eex

Der Grund dafรผr sind โ€“ anders als zuweilen kolportiert โ€“ nicht die Erneuerbaren Energien (auch wenn deren fehlender Ausbau sich jetzt sehr belastend bemerkbar macht), sondern die direkten Folgen der Corona-Pandemie: Fast alle Lรคnder kamen praktisch im Frรผhjahr 2021 gleichzeitig aus dem wirtschaftlichen Tief, fuhren die Produktionskapazitรคten gleichzeitig wieder hoch โ€“ und damit auch die Nachfrage nach Energie. Mit dem Ergebnis, dass auch wieder verstรคrkt fossile Brennstoffe wie Gas und Kohle eingesetzt werden mussten, um mehr Strom zu produzieren.

Was dann erst die Preise fรผr Kohle und Erdgas in die Hรถhe schieรŸen lieรŸ und dann in der Folge die fรผr Strom. Dass sich die Beschaffungskosten fรผr Strom binnen Jahresfrist fast verdoppelt haben, legte dann im Januar eine Strompreisanalyse des Bundesverbandes der Deutschen Energiewirtschaft (BdEW) genauer dar. Wรคhrend sich die EEG-Umlage von 6,5 auf 3,72 ct/kWh verringerte, erhรถhten sich die Beschaffungskosten von 7,93 auf 13,65 ct/kWh. Was dann auch in der Folge die Mehrwertsteuer, die Stromsteuer und die Netzentgelte steigen lieรŸ.

Die Folgen in Leipzig

โ€žIn den letzten Wochen des vergangenen Jahres sind die Preise fรผr Strom nahezu explodiert, was unter anderem dazu fรผhrt, dass einige Stromanbieter ihr Angebot nicht mehr aufrechterhalten konnten und Insolvenz anmelden mussten oder ihre Vertrรคge mit den Kund/-innen kรผndigtenโ€œ, beschrieb die Linksfraktion das Problem, das dann auf einmal einige tausend Leipziger Haushalte hatten.

โ€žAuf der Suche nach einem neuen Stromanbieter mussten viele Menschen eine massive Preissteigerung fรผr neue Vertrรคge erfahren. Einige Haushalte waren durch den Belieferungsausfall ihrer eigenen Stromanbieter auf die gesetzlich geregelte Grundversorgung (ยง 36 โ€“ EnWG) angewiesen. Dies sind in der Regel die kommunalen Stadtwerke. Doch auch hier sind sie nun einer extremen Preissteigerung ausgesetzt. So bestรคtigte der Sprecher der Stadtwerke Leipzig, dass im Grundtarif des lokalen Grundversorgers gerade 76,24 Cent pro kWh aufgerufen werden. Dies sei eine Steigerung der Kosten um 160 %.โ€œ

Denn natรผrlich mรผssen die Stadtwerke jetzt an der Bรถrse den deutlich teureren Strom zum Tagespreis dazukaufen.

Und die Antwort der Verwaltung bestรคtigt die Dimension: โ€žDie Stadtwerke Leipzig geben die Anzahl mit rund 10.000 Neukunden an, die sie gemรครŸ rechtlichen Vorgaben als Ersatzversorger quasi von heute auf morgen รผbernehmen und dafรผr ungeplante zusรคtzliche Kapazitรคten an den Mรคrkten zu den dort jeweils aktuell geltenden Preisen einkaufen mussten. Weitergehende ergรคnzende Angaben zu Kundenbeziehungen und deren Entwicklung in diesem Zusammenhang wurden und werden seitens der Stadtwerke in nicht-รถffentlichen Gremiensitzungen gemacht.โ€œ

Schon zum 1. Januar 2022 mussten die Stadtwerke aufgrund der Strompreisentwicklung ihre Preise anheben.

Aber dabei wird es nicht bleiben. Denn im Raum stehe auch, so die Verwaltung, dass die Strompreisentwicklung das Betriebsergebnis der Stadtwerke negativ beeinflusst.

โ€žKonkret bedeutet dies, dass eine rollierende Beschaffung von Energiemengen aktuell auf einem deutlich hรถheren Niveau stattfindet, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Endkundenpreise in 2023. Daraus resultierende nachteilige finanzielle Folgen auf die Verbraucher insgesamt, insbesondere auf einkommensschwache Haushalte, wรคren seitens staatlicher Stellen zu bewerten und, sofern von diesen als nicht vertretbar angesehen, auch mittels von diesen einzuleitenden MaรŸnahmen zu begegnen. Beispielhaft sei auf die bereits angekรผndigte Erhรถhung eines Heizkostenzuschusses verwiesenโ€œ, so die Verwaltung.

Ist das Jahresergebnis der Stadtwerke in Gefahr?

Und wรคhrend die vorherigen Billigstrom-Bezieher รผber die teure Grundversorgung stรถhnen, bedeutet das fรผr die Stadtwerke wohl eher kein gutes Geschรคft: โ€žSteigende Strompreise an der Strombรถrse fรผhren im Endkundensegment direkt zu steigenden Beschaffungskosten der Leipziger Stadtwerke. Aus wirtschaftlichen Erwรคgungen sind die Leipziger Stadtwerke, wie im รผbrigen andere Energieversorger auch, gezwungen, diese gestiegenen Kosten auch an ihre Kunden weiterzugeben.

Nach Einschรคtzung der Stadtwerke ist jedoch davon auszugehen, dass die aktuelle Situation dessen ungeachtet auch zu Ergebnisbelastungen fรผhren kann: Einerseits besteht bei Preisanpassungen der Absatzvertrรคge stets ein zeitlicher Verzug, was in der Zwischenzeit zu einem enormen Druck auf die Deckungsbeitrรคge der Leipziger Stadtwerke fรผhren kann. Gestiegene Preise in den Stromvertrรคgen werden sich darรผber hinaus mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ auf die Akquiseziele der Leipziger Stadtwerke auswirken.

Insbesondere aus dem kurzfristigen unerwarteten Zufluss mehrerer tausend Kunden von Stromio und Gas.de in die Ersatzversorgung Ende 2021 resultieren aufgrund der extrem gestiegenen Beschaffungskosten dafรผr auch preisrelevante Folgen fรผr die Kunden. Vermehrte Forderungsausfรคlle und daraus resultierende Ergebnisverschlechterungen bei den Leipziger Stadtwerken kรถnnen nicht ausgeschlossen werden.โ€œ

Die 1997 unter der letzten Kohl-Regierung beschlossene Liberalisierung des Strommarktes hat im Grunde nur mehr Unsicherheit in den Strommarkt gebracht (ganz รคhnlich der โ€žLiberalisierungโ€œ im Schienennetz und bei der Briefzustellung), viele Billiganbieter angelockt und vielen Menschen das Gefรผhl gegeben, Strom wรคre ein Produkt, das es fรผr Clevere viel billiger gibt als fรผr all die Menschen, die lieber ihrem lokalen Stromversorger vertrauen.

Bei den Zahlen zu den Leipziger Haushalten, die tatsรคchlich von Energiearmut betroffen sind, verweist die Verwaltung auf ihre Antwort vom September 2021. Darรผber haben wir schon an dieser Stelle geschrieben.

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