Im Bericht zur โBรผrgerumfrage 2019โ findet man auch ein ganzes Kapitel zum Wohnen und zur Mietbelastung. Ein Kapitel, das im Grunde davon erzรคhlt, wie die letztlich รผberschaubaren Einkommenszuwรคchse der letzten Jahre in vielen Haushalten gleich wieder von Mieterhรถhungen aufgefressen wurden. Ein deutschlandweit brisantes Thema, das jetzt auch das Pestel-Institut aufgegriffen hat.
Denn mit der riesigen Privatisierungswelle im Wohnungsmarkt sind auch die Gleichgewichte vรถllig aus dem Lot geraten. Viele Kommunen haben ihre Wohnungsbestรคnde verkauft, zuweilen auch nur Teile davon. Jahrelang wurde auch der Bau von Sozialwohnungen vรถllig unterlassen, gab es nicht mal Fรถrdergelder dafรผr. Mit dem Ergebnis, dass in allen deutschen Groรstรคdten die Wohnungsmรคrkte eng geworden sind und gerade Haushalte mit kleinen Einkommen kaum noch eine bezahlbare Wohnung finden.Aber Mรคrkte mit echter Wohnungsknappheit sorgen dafรผr, dass das Vergleichsmietenniveau sofort zu steigen beginnt.
Im Bericht zur Bรผrgerumfrage heiรt es zum Beispiel: โ43 Prozent der Leipziger Mieterhaushalte waren in den zurรผckliegenden vier Jahren von einer Erhรถhung der Grundmiete (d. h. ohne Berรผcksichtigung der Nebenkosten) betroffen. Dieser Anteil liegt um 6 Prozentpunkte hรถher als im Vorjahr und sogar 9 Prozentpunkte รผber dem Wert von 2017. รberdurchschnittlich hรคufig wurde die Grundmiete in Gebรคuden der Nachkriegszeit (1946 bis 1960, 55 Prozent) und in Plattenbauten (50 Prozent) angehoben. In Neubauten ab 2005 werden mit 9,09 Euro/mยฒ bereits die hรถchsten Mietpreise (netto, kalt) bezahlt. Dennoch war auch jeder vierte Haushalt in neu gebauten Wohnungen bereits von einer Mieterhรถhung betroffen.โ
Das heiรt: Die Eigentรผmer erhรถhen die Miete nicht, weil modernisiert oder saniert wird, sondern nur deshalb, weil die โortsรผbliche Vergleichsmieteโ sich erhรถht hat. Oder einmal so formuliert: Vermieter heizen die Mietentwicklung gegenseitig an und der Staat schaut dabei zu.
Die Autor/-innen des Berichts zur Bรผrgerumfrage 2019 stellen fest: โMieterhรถhungen trafen รผberdurchschnittlich hรคufig eher geringpreisige Wohnungen, man kann hier also eine Preisanpassung an das ortsรผbliche Niveau unterstellen. Das durchschnittliche Mietniveau fรผr Wohnungen mit Mieterhรถhungsverlangen liegt mit 6,04 Euro/mยฒ (Median = 5,83 Euro/mยฒ) immer noch etwas niedriger, als fรผr Wohnungen ohne Mieterhรถhungsverlangen (Mittelwert = 6,40 bzw. Median = 6,08 Euro/m. (โฆ) In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass 4 von 5 Mieterhรถhungen nicht im Zusammenhang mit einer Modernisierung standen. Hier wurden Mieterhรถhungen als Preisanpassung vorgenommen, ohne dass Modernisierungen an der Wohnung oder am Gebรคude vorgenommen wurden.โ
Und eine sehr fragwรผrdige Rolle spielt dabei der Leipziger Mietspiegel. Zu dem schreiben die Statistiker: โNeben den Modernisierungsumlagen handelt es sich also beim Groรteil der Mieterhรถhungen um Preisanpassungen. In den letzten vier Jahren wurde der Leipziger Mietspiegel als Begrรผndungsmittel am hรคufigsten angewendet (70 Prozent aller Mieterhรถhungen). Seit 16.11.2017 verfรผgt die Stadt Leipzig รผber einen qualifizierten Mietspiegel. Dieser ist jedem Mieterhรถhungsverlangen beizulegen (unabhรคngig vom Begrรผndungsmittel) und die dort fรผr die Wohnung enthaltene Miete wird als die ortsรผbliche angesehen. Gelten keine weiteren Regularien (Kappungsgrenze), kann eine Preisanpassung bis zur ortsรผblichen Vergleichsmiete nach Mietspiegel verlangt werden.โ
Wer kein Wohneigentum besitzt, wird also ausgenommen wie eine Weihnachtsgans, selbst dann, wenn das Mietniveau mit dem Einkommensniveau vor Ort nichts mehr zu tun hat. Auch dazu merken die Autor/-innen des Berichts etwas an: โWie aus Abbildung 3-24 hervorgeht, wรผrde ein Drittel aller Mieterhaushalte im Falle einer Mieterhรถhung bis zur Kappungsgrenze finanzielle Unterstรผtzung in Form von Mietzuschรผssen (Wohngeld) in Anspruch nehmen (mรผssen). 2018 gab es 5.984 Haushalte in der Stadt Leipzig, die einen Mietzuschuss erhalten. Angesichts steigender Mieten und Mieterhรถhungserwartungen wรคre eine Zunahme dieser Leistungsbezieher somit zu erwarten. Unter den armutsgefรคhrdeten Haushalten gibt sogar jeder zweite an, im Falle von Mieterhรถhungen Wohngeld zu beantragen.โ
Die kรผnstlich erzeugten Mehrkosten fรผrs Mieten landen also am Ende wieder beim Staat, der die ganze Misere durch eine neoliberale Wohnungspolitik erst verursacht hat.
Und so stellt auch das Pestel Institut fest, dass das mit Fairness alles nichts mehr zu tun hat.
Die vom Job-Center รผbernommenen Mieten fรผr Single-Haushalte stiegen innerhalb von gut sechs Jahren (Mรคrz 2014 bis August 2020) um 29,5 Prozent, wรคhrend die Verbraucherpreise in diesem Zeitraum nur um 6,5 Prozent zulegten.
โBei den Mieten wird oft rausgeholt, was rauszuholen ist. Dabei bauen Vermieter auf die ,Job-Centerโ als โzuverlรคssige Zahlstelleโ. Diese รผbernehmen die Kosten fรผr Wohnungen โeinfachen Standardsโ. Auf genau diese Wohnungen sind aber nicht nur Hartz-IV-Empfรคnger angewiesen, sondern eben auch die vielen anderen Haushalte mit niedrigen Einkommenโ, sagt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Gรผnther. โDas Angebot an gรผnstigen Wohnungen sei rar. Gerade Neuvermietungen nutzten viele Vermieter, um Maximalmieten zu erzielenโ.
Um eine bessere Orientierung bei Wohnungsangeboten zu bekommen, hat der Verein MEINFAIRMIETER Gรผtesiegel e. V. ein Mieter-Gรผtesiegel entwickelt: โMEINFAIRMIETERโ will als Wohnungsmarkt-Label insbesondere die soziale Verantwortung von Vermietern prรผfen.
Das Siegel sei ein โSozial-Kompass fรผr den Wohnungsmarktโ โ und fรผr weite Teile der Bevรถlkerung relevant: Fast ein Viertel der Beschรคftigten arbeitet nach Angaben des Pestel-Instituts bundesweit im Niedriglohnsektor: Vom Mindestlohnbezieher รผber Alleinerziehende bis hin zu Rentnern, die ihre kleine Rente mit einem Minijob aufbesserten.
โDer Staat agiert inzwischen mangels eigener Wohnungen als Mietentreiber, weil er Mieten akzeptieren muss, bei denen viele Vermieter offensichtlich die Schmerzgrenze ausreizenโ, so Matthias Gรผnther.
Aber auch unter den Vermietern macht sich zunehmend Unmut breit. Vor allem die vielen noch vorhandenen Wohnungsgesellschaften in รถffentlichem Eigentum und die Genossenschaften fรผhlen sich zu Unrecht in der Schublade der โgierigen Vermieterโ wieder.
โWie alle anderen Unternehmen, mรผssen auch Wohnungsunternehmen Gewinne erzielen, um langfristig bestehen zu kรถnnen. Die Umsetzung jedes Mieterhรถhungsspielraums ist dabei aber nicht nรถtig. Gerade beim Grundbedรผrfnis Wohnen kann der Grundsatz, dass der Gebrauch von Eigentum zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll, nicht stark genug betont werdenโ, so Gรผnther.
Auch hinter der Wohnungsmarkt-Analyse fรผr Leipzig steht das Gรผtesiegel โMEINFAIRMIETERโ, das vom Pestel-Institut durch dessen Leiter, Matthias Gรผnther, mitinitiiert wurde. Faire Vermieter, ob รถffentlich, genossenschaftlich oder privat, mรผssen fรผr die Wohnungssuchenden erkennbar sein. In der Schaffung von Markttransparenz wird ein Schwerpunkt der Arbeit des Gรผtesiegels gesehen.
โAber natรผrlich werden wir auch wohnungspolitische Forderungen wie etwa die dringend notwendige Stรคrkung des Sozialwohnungsbestandes und die Verbesserung der Rahmenbedingungen fรผr den Wohnungsbau insgesamt im Fokus habenโ, betonen die Grรผnder des Gรผtesiegels. Denn letztlich hat eine unzureichende Wohnungspolitik dazu gefรผhrt, dass auch in Leipzig bei einem rechnerischen Defizit von nur 1,1 Prozent des Wohnungsbestands die Mieten fรผr einfache Wohnungen stark gestiegen sind.
Haushalte mit weniger als 900 Euro Monatseinkommen zahlen 38,6 Prozent ihres Einkommens allein fรผr die Kaltmiete. Aber auch Haushalte mit 1.500 bis 2.000 Euro mรผssen dafรผr im Schnitt 27,6 Prozent des Einkommens abzweigen. Geringverdienerhaushalte kommen im Schnitt auf 33 Prozent Mietbelastung, wenn man die Warmmiete zur Grundlage nimmt.
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Die stadteigene LWB und die Wohnungsgenossenschaften haben sich an die hรถheren Mietpreise schon angepasst. Die neu gebauten Sozialwohnungen kosten 6,50 โฌ kalt. Da muss man als Geringverdiener oder Rentner trotzdem noch Wohngeld beantragen! Man braucht bloร mal auf die Seiten von immonet oder andere Portale schauen, da gibt es gar keine bezahlbaren Wohnungen fรผr Leipziger Verhรคltnisse mehr!