Es kann durchaus damit zu tun haben, dass seit 2010 immer mehr Leipziger einen ordentlich bezahlten Job bekommen haben, gut genug bezahlt, dass einige endlich ihre Schuldenberge abtragen konnten. Denn was Creditreform da jedes Jahr bis auf Kreis- und Ortsteilebene auswertet, ist ja nicht die simple Verschuldung, sondern die Überschuldung. Jener Schuldenhaufen, der nicht einfach mal mit dem nächsten Monatsgehalt bezahlt werden kann.

Auch wenn es die Auswerter von Creditreform natürlich erst einmal positiv sehen und auch für Leipzig den Rückgang der Schuldnerquote würdigen, wie sie es im Herbst schon für ganz Deutschland getan haben. Mit dem kleinen Bonbon für die Boulevardpresse: „Stadt Leipzig bleibt Schlusslicht“.

Zumindest in Sachsen.

Was – wie Eingeweihte ja wissen – nun einmal damit zu tun hat, dass Leipzig von der Deindustrialisierung in den 1990er Jahren besonders hart betroffen war und danach zum wohl größten Testfeld für Niedriglohn und prekäre Arbeitsverhältnisse innerhalb Deutschlands wurde.

Diese Experimente mit dem Arbeitsmarkt und den darin Vermarkteten bezahlen nun einmal die Betroffenen damit, dass sie jahrelang mit zu geringen Einkommen leben mussten, keine Rücklagen haben und oft geradezu zwangsläufig in Schulden diverser Art gerutscht sind – ob nun für Miete, Strom, Krankenkasse …

Der Blick auf die Leipzig-Karte zeigt, dass es ausgerechnet die sowieso schon sozial gebeutelten Ortsteile sind, wo die Schuldenquoten mit 16, 17, gar 20 und 22 Prozent besonders hoch sind.

Creditreform dazu: „Die Zahl der überschuldeten Verbraucher in der Region Leipzig (Stadt Leipzig, Landkreis Leipzig, Landkreis Nordsachsen sowie ein Teil des Landkreises Mittelsachsen) ist trotz der Corona Pandemie nochmals zurückgegangen. Insgesamt waren zum Stichtag 1. Oktober 2019 107.034 erwachsene Einwohner in der Region Leipzig überschuldet. Das entspricht einer Schuldnerquote von 11,49 %. Mit 2.168 weniger Fällen und einem Rückgang um 0,27 Prozentpunkte zum Vorjahr ist die Überschuldung zwar rückläufig, liegt aber weiterhin über dem Bundesdurchschnitt (9,87 %) und der Überschuldungsquote in Sachsen (9,66 %).“

Der Creditreform SchuldnerAtlas definiert Überschuldung als einen Zustand, bei dem die Ausgaben einer Person über 18 Jahre dauerhaft höher sind als die Einnahmen. Hierfür sind unter anderem juristische Sachverhalte oder unstrittige Inkassofälle ausschlaggebend. Mithilfe der Schuldnerquoten kann die Überschuldung in ihrer geographischen Verteilung bis hin auf die Ebene von Postleitzahlenbereichen betrachtet werden.

Quelle: Creditreform

Und das Ergebnis selbst nach zehn Jahren wirtschaftlichem Aufschwung: Immer noch ist in Leipzig jeder Achte überschuldet, in sozialen Brennpunkten ist es jeder Fünfte.

Die Schuldnerquote der Stadt Leipzig liegt bei 12,45 Prozent (2019: 12,81 Prozent) und ist damit die höchste in der Region und in Sachsen, so Creditreform. Auch im Vergleich aller Städte mit über 400.000 Einwohnern über 18 Jahre zählt Leipzig zu den Großstädten mit dem höchsten Verschuldungsgrad in Deutschland und bleibt, wie in den letzten Jahren, auf dem vierten Rang.

Das Spektrum der Überschuldungsbelastung in der Stadt Leipzig reicht von 5,24 Prozent in Mölkau und Baalsdorf (2019: 5,78 Prozent) bis hin zu 21,94 Prozent in Neuschönefeld und Volkmarsdorf (2019: 22,75 Prozent). Mit einem Minus von 1,30 Prozentpunkten verzeichnet Lindenau im Stadtgebiet und der Leipziger Region abermals den höchsten Rückgang der Schuldnerquote. Dennoch steht hier die Schuldnerampel mit einer Schuldnerquote von 16,80 Prozent (2019: 18,10 Prozent) auf „rot“.

Landkreis Nordsachsen

Im Landkreis Nordsachsen ist die Schuldnerquote auf 11,03 Prozent (2019: 11,23 Prozent) gesunken. Mockrena und Schildau weisen die geringsten Quoten im Landkreis auf. In Schildau verringert sich die Schuldnerquote um 0,35 Prozentpunkte auf 6,61 Prozent. Nach einem leichten Anstieg im letzten Jahr sinkt in Mockrehna die Schuldnerquote wieder um 0,52 Prozentpunkte auf 6,63 Prozent. Torgau bleibt mit einer Schuldnerquote von 14,79 Prozent (2019: 15,52 Prozent) im Landkreis am Ende der Skala.

Landkreis Leipzig

Quelle: Creditreform
Quelle: Creditreform

Die Schuldnerquote im Landkreis Leipzig geht leicht zurück auf 9,66 Prozent (2019: 9,83 Prozent). Die niedrigste Quote im Landkreis und in der gesamten Region Leipzig verzeichnet Großpösna mit 5,17 Prozent (2019: 5,51 Prozent). Die höchste Schuldnerquote im Landkreis Leipzig weist Böhlen mit 14,28 Prozent (2019: 14,31 Prozent) auf.

„Harte“ Überschuldungsfälle nehmen weiterhin ab

Wie im Vorjahr verzeichnet die Leipziger Region eine merkliche Abnahme von Personen, die stark oder mehrfach überschuldet sind und gerichtliche Negativmerkmale aufweisen. Gegenüber dem Vorjahr verringerte sich die Zahl der Betroffenen von 68.973 auf 65.373 Personen (-3.600 Fälle; -5,5 Prozent), teilt Creditreform mit. Die rückläufigen Zahlen der Verbraucherinsolvenzen in Sachsen und Leipzig bestätigen diese Entwicklung. Hingegen weisen 41.661 Personen „weiche“ Überschuldungsmerkmale auf, also noch keine juristischen Sachverhalte. Das sind 1.432 Fälle (+3,4 Prozent) mehr als im Vorjahr.

Was Creditreform dann zu dem Fazit bringt: Die Verbraucher sind in der momentanen Situation deutlich vorsichtiger bei ihren Ausgaben geworden. Die staatlichen Hilfsmaßnahmen haben bislang soziale Auswirkungen abgefedert. Doch bereits jetzt deuten sich finanzielle Überlastungen an, die zeitlich versetzt zu einem Anstieg der Überschuldungsfälle führen werden.

Und auch hier werden die Lasten wieder vor allem auf den Schultern der Schwächeren abgeladen: Dabei sind einkommensschwächere Personengruppen von den Auswirkungen der Pandemie stärker betroffen als „Gutverdiener“. Insbesondere der Gruppe der Kleinstunternehmer, Soloselbstständigen und Freiberufler, die aktuell deutliche Einschränkungen hinnehmen müssen, droht die Überschuldung durch eine gescheiterte Selbstständigkeit.

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