Noch läuft der Pestizid-Prozess in Bozen, mit dem auch der Autor von „Das Wunder von Mals“ zum Abschwören gebracht werden soll. Und das, obwohl die Folgen des massiven Pestizideinsatzes nicht nur in Südtirol zu besichtigen sind. Das Insektensterben hat längst die Mehrheit zum Umdenken gebracht, wie eine neue repräsentative Bevölkerungsumfrage zeigt.

Eine große Mehrheit befürwortet ein Ende des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft. 57 Prozent der Befragten sehen zudem Pestizide in der Luft als großes oder sehr großes Risiko für die Gesundheit an, 77 Prozent als Gefahr für die Natur. Das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und das Umweltinstitut München fordern ein Sofortverbot der Ackergifte, die sich am meisten über die Luft verbreiten.

Laut einer aktuellen repräsentativen forsa-Umfrage im Auftrag des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und des Umweltinstituts München spricht sich eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung für ein Ende des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft aus. Im kommenden Jahr wird in der Schweiz per Volksentscheid darüber abgestimmt, ob Pestizide nach einer zehnjährigen Übergangszeit landesweit verboten werden sollen.

Gäbe es in Deutschland eine solche Abstimmung, würden sich 77 Prozent der Befragten für einen Pestizidausstieg aussprechen. Zudem gibt eine Mehrheit von 57 Prozent der Befragten an, dass Pestizide, die sich weit entfernt von Äckern über die Luft verbreiten, ein großes oder sehr großes gesundheitliches Risiko darstellen. Insgesamt 77 Prozent sind der Ansicht, dass Pestizide in der Luft ein großes oder sehr großes Risiko für die Natur sind.

Christine Vogt, Referentin für Landwirtschaft im Umweltinstitut München, sagt dazu: „Die Umfrage zeigt ganz klar, dass Verbraucherinnen und Verbraucher Pestizide in der Landwirtschaft ablehnen. Die Menschen sorgen sich um ihre Gesundheit und um die Natur, weil Ackergifte sich kilometerweit über die Luft verbreiten. Agrarministerin Julia Klöckner und Umweltministerin Svenja Schulze müssen das klare Votum der Bevölkerung ernst nehmen und einen schrittweisen Pestizidausstieg in Deutschland einleiten.“

Die Auftraggeber der Umfrage fordern, die Stoffe Glyphosat, Pendimethalin, Prosulfocarb, Terbuthylazin und Metolachlor sofort zu verbieten. Diese sind am häufigsten weit entfernt von Äckern in der Atemluft nachweisbar. Das hatte die Ende September dieses Jahres veröffentlichte Studie „Pestizid-Belastung der Luft“ im Auftrag des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und des Umweltinstituts München gezeigt.

Ackergifte verbreiten sich teils mehrere Kilometer und zu Dutzenden weit abseits der Äcker bis in Städte und Naturparks hinein. Selbst auf der Spitze des Brockens im Nationalpark Harz waren zwölf Pestizide nachweisbar. Insgesamt fanden sich deutschlandweit 138 Stoffe.

Boris Frank, Vorsitzender vom Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft, betont: „Wir können nicht weiter hinnehmen, dass sich ein Pestizid-Cocktail bis in die hintersten Winkel Deutschlands unkontrolliert ausbreitet. Wir rufen alle Interessierten dazu auf, bei den verantwortlichen Politiker/-innen nachzufragen, wer sie wie vor Ackergiften zu schützen gedenkt. Jeder und jede kann mitmachen und eine entsprechende Mail an die Agrar- oder Umweltminister/-innen auf Landes- oder Bundesebene schicken.“

Eine Vorlage für Fragen aus der Bevölkerung gibt es im Internet unter www.ackergifte-nein-danke.de/fragen-an-die-politik.

Zur Studie „Pestizid-Belastung der Luft“

Für die in Deutschland bisher umfassendste Studie zur Pestizid-Belastung der Luft wurden von März bis November 2019 in der gesamten Bundesrepublik Pestizide in der Luft gemessen. Untersucht wurden Standorte im Umkreis von weniger als 100 bis hin zu mehr als 1000 Metern Entfernung von potentiellen Quellen – in Städten und auf dem Land, in konventionellen und Bio-Agrarlandschaften sowie in unterschiedlichen Schutzgebieten. Die Daten wurden mithilfe von neu entwickelten technischen Passivsammelgeräten, aus Filtermatten in Be- und Entlüftungsanlagen von Gebäuden sowie durch die Analyse von Bienenbrot und Baumrinden erhoben.

Entscheidung über Expertenanhörung – oder Rückzug der Anzeigen?

In Bozen geht indessen am Freitag, 27. November, der Südtiroler Prozess wegen übler Nachrede gegen Karl Bär, den Agrarreferenten des Umweltinstituts München, weiter. Ab 9:30 Uhr wird der zweite Prozesstag gegen ihn am Bozener Landesgericht stattfinden.

Vorgeworfen wird ihm, er hätte sich im Rahmen einer Kampagne im Jahr 2017 zum hohen Pestizideinsatz in den Südtiroler Apfelplantagen der erschwerten üblen Nachrede zum Schaden der Südtiroler Obstwirtschaft schuldig gemacht. Am Freitag soll es nun hauptsächlich um die Festlegung entscheidender Verfahrensfragen für den voraussichtlich mehrjährigen Prozess gehen. So wird unter anderem entschieden, wie viele Expert/-innen zu den Problemen des Pestizideinsatzes angehört werden sollen.

Allerdings läuft am 27. November auch eine wichtige Frist für die mögliche Beilegung des Strafgerichtsprozesses gegen Bär aus. Diese Frist hatte der zuständige Richter Ivan Perathoner den Strafantragstellern am ersten Prozesstag im September eingeräumt, um ihre Anzeigen gegen Bär zurückzuziehen. Eine solche Rücknahme hatten diese vor Gericht angekündigt.

Wenn alle bestehenden Anzeigen – also auch jene von mehr als 1.300 Landwirt/-innen – am kommenden Freitag zurückgenommen werden, könnte die Anklage gegen Bär wegen übler Nachrede eingestellt werden. Allerdings liefe auch in diesem Fall ein Verfahren gegen ihn wegen angeblicher Markenfälschung weiter.

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Update, 27. November, 15 Uhr:

Harald Ebner, Bundestagsabgeordneter und Obmann der Grünen im Bundestag zu den Ergebnisen der forsa-Umfrage.

Er sieht die Abstimmung als Aufforderung an die Bundesregierung, die angekündigte Glyphosat-Ausstiegsstrategie endlich vorzulegen und Pestizid-Alternativen zu fördern:

“Klarer Auftrag an Bundesregierung Zur forsa-Umfrage, wonach eine große Mehrheit der Menschen einen Pestizidausstieg in der Landwirtschaft fordert, erklärt Harald Ebner, Grüner Obmann im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft:

„Mehr als Dreiviertel der Menschen in Deutschland fordern einen Pestizidausstieg zum Schutz von Umwelt und Gesundheit. Damit stützt die Bevölkerung die diesbezügliche Forderung der Farm-to-Fork-Strategie (50 Prozent Reduktion) – und geht sogar weit darüber hinaus. Die Bundesregierung muss diesen klaren Auftrag endlich ernstnehmen! Wenn es darum geht, den Umstieg auf alternative Pflanzenschutzmethoden zu fördern und zu forcieren, herrscht bei der Bundesregierung bislang Stillstand. Agrarministerin Klöckner hat bis heute rein gar nichts vom versprochenen Glyphosatausstieg umgesetzt und lässt auch keine Absicht dazu erkennen.

Genauso blockiert das Bundeslandwirtschaftsministerium Maßnahmen zur Pestizidreduktion im Rahmen des Aktionsprogramms Insektenschutz oder der entstehenden Ackerbaustrategie. Vorschläge der EU-Kommission für eine Halbierung des Pestizidrisikos im Rahmen der „Farm to Fork“-Strategie redet Julia Klöckner als angeblich praxisferne Visionen klein und trägt zur Verschleppung der Zielumsetzung bei, indem sie eine überflüssige wie langwierige Folgenabschätzung durchgedrückt hat. Das dramatische Insektensterben und mögliche Gesundheitsgefährdungen durch offenkundige Defizite bei der Risikobewertung von Pestiziden erfordern aber möglichst schnell wirksame Maßnahmen zur Pestizidreduktion. Studien etwa aus Frankreich und Dänemark zeigen hier Wege für enorme Einsparpotentiale ohne Ertragseinbußen auf. Statt weiter zu bremsen, sollte die Bundesregierung eine umfassende Pestizidreduktionsstrategie und nicht chemisch-synthetische Pflanzenschutzansätze endlich zur Priorität machen.“

Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit

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