In Zeiten von Insektensterben und zunehmenden Allergien war das wohl kein kluger Schachzug. Wer wird รpfel aus Sรผdtirol nicht misstrauisch anschauen, wenn der Prozess gegen den Autor von โDas Wunder von Malsโ erst richtig losgeht und Zeitungen aus aller Welt darรผber berichten, wie der Sรผdtiroler Landesrat fรผr Landwirtschaft, Arnold Schuler, versucht, den Pestizideinsatz in den Tiroler Apfelplantagen per Gerichtsbeschluss unsichtbar zu machen? Mehr Aufmerksamkeit fรผr diesen massiven Chemieeinsatz kann er gar nicht erzeugen. Und dabei schien er sogar einen Moment lang vernรผnftig zu werden.
Doch nun hat Landesrat Arnold Schuler seine Anzeigen wegen รผbler Nachrede gegen das Umweltinstitut Mรผnchen, den Buchautor Alexander Schiebel sowie dessen Verleger doch nicht โ wie angekรผndigt โ zurรผckgezogen. Die Gesprรคche zwischen den Anwรคlten der beiden Parteien scheiterten entgegen anderslautenden Behauptungen daran, dass die Klรคger die Aufklรคrungsarbeit รผber den hohen Pestizideinsatz in Sรผdtirol unterbinden wollten.
Der Sรผdtiroler Landesrat fรผr Landwirtschaft, Arnold Schuler, hatte vor rund zwei Wochen zum Start des Gerichtsverfahrens wegen รผbler Nachrede gegen Karl Bรคr vom Umweltinstitut Mรผnchen in Bozen gegenรผber der Presse und dem Gericht erklรคrt, seine Anzeigen gegen das Umweltinstitut sowie gegen den Buchautor Alexander Schiebel und dessen Verleger Jacob Radloff vom oekom verlag gemeinsam mit den klagenden Landwirt/-innen zurรผckzuziehen. Darauf gebe er sein โTiroler Wortโ, so Schuler.
In den daraufhin folgenden anwaltlichen Gesprรคchen stellten die Anwรคlte Schulers jedoch Bedingungen fรผr die Rรผcknahme der Anzeigen, die die Beklagten in ihrer freien Meinungsรคuรerung beschrรคnkt hรคtten, stellt das Umweltinstitut Mรผnchen nun fest. Fรผr das Umweltinstitut, Alexander Schiebel und seinen Verlag kam und komme es nicht infrage, Informationen รผber das wahre Ausmaร des Pestizideinsatzes in Sรผdtirol zurรผckzuhalten oder die Kritik an dem Prozess einzustellen. Nachdem klar wurde, dass sich die Beklagten auf keinen โDealโ einlassen wรผrden, erfolgte am Mittwoch, 30. September, Schulers Rรผckzug vom Rรผckzug aus dem Verfahren.
Karl Bรคr, Referent fรผr Agrarpolitik im Umweltinstitut Mรผnchen, kommentiert den Vorgang jetzt so: โLandesrat Schuler wollte uns darauf festnageln, wichtige Daten zum Pestizideinsatz in Sรผdtirol vor der รffentlichkeit zurรผckzuhalten. Das zeigt, wie viel Angst der Minister und die Sรผdtiroler Apfellobby davor haben, dass die Wahrheit รผber den Pestizideinsatz auf den Sรผdtiroler Obst-Plantagen ans Licht kommt. Natรผrlich kommen wir einer solchen Forderung nicht nach. Es zeigt sich einmal mehr, dass es bei diesem Prozess von Anfang an um nichts anderes ging, als Kritiker/-innen des Pestizideinsatzes in Sรผdtirol einzuschรผchtern. Doch diese Taktik geht nicht auf. Wir werden uns niemals einen Maulkorb verpassen lassen.โ
Und Buchautor Alexander Schiebel meint: โArnold Schuler hat in Bezug auf die Rรผcknahme der Anzeige gegen uns vor laufenden Kameras gelogen. Und in meinem Fall beruhen seine รถffentlichen Aussagen auf systematisch wiederholten Verleumdungen. Ich habe an keiner Stelle und niemals gesagt oder geschrieben, dass die Sรผdtiroler Apfelbauern ,Mรถrderโ seien, oder โ was das Gleiche bedeuten wรผrde โ dass sie sich der ,vorsรคtzlichen Tรถtungโ schuldig gemacht hรคtten. Wir werden nun diesen Prozess dazu nutzen, um noch effektiver auf die Gefahren durch den hohen Pestizideinsatz in der Region hinzuweisen. Und wir werden unser Recht auf freie Meinungsรคuรerung notfalls bis hin zum Europรคischen Gerichtshof fรผr Menschenrechte durchfechten.โ
In Sรผdtirol werden auf rund 18.000 Hektar ungefรคhr die Hรคlfte der รpfel Italiens und rund zehn Prozent aller in der EU geernteten รpfel produziert. Auch etwa jeder zehnte Apfel in deutschen Supermรคrkten kommt von hier. Damit diese intensive Landwirtschaft funktioniert, werden groรe Mengen an Pestiziden eingesetzt. Laut aktuellen Zahlen des italienischen Statistikamts wurden in Sรผdtirol im Jahr 2018 sechs mal mehr Pestizide verkauft als im italienischen Durchschnitt. Bis zu 20 Mal pro Saison werden die Apfelplantagen gespritzt.
Das Umweltinstitut Mรผnchen hatte im Jahr 2017 mit einer Kampagne den hohen Einsatz von Spritzmitteln in den Sรผdtiroler Apfelplantagen kritisiert. Alexander Schiebel verรถffentlichte im selben Jahr das Buch โDas Wunder von Malsโ, in dem er die Geschichte einer Bรผrgerinitiative fรผr ein pestizidfreies Mals schildert und dabei auch den Pestizideinsatz in Sรผdtirol und das Verhalten der dortigen Obstwirtschaft anprangert.
Der Sรผdtiroler Landesrat Arnold Schuler hatte sie daraufhin gemeinsam mit รผber 1.300 Landwirt/-innen angezeigt. Der Vorwurf: รble Nachrede zum Schaden der Sรผdtiroler Landwirtschaft. Auch weitere Vorstandsmitglieder des Umweltinstituts Mรผnchen und der Verleger von Alexander Schiebel, Jacob Radloff vom oekom verlag, wurden angezeigt. Den Betroffenen drohen bei einer Niederlage nicht nur eine Haft- und Geldstrafe, sondern auch mรถgliche Schadensersatzforderungen von der Landesregierung und den Nebenklรคgern und damit der finanzielle Ruin.
Nicola Canestrini, vertretender Rechtsanwalt, ergรคnzt: โDie Kommunikation zwischen Anwรคlten ist vertraulich, deshalb haben wir uns immer daran gehalten, keine Details aus diesen Gesprรคchen an die รffentlichkeit zu geben. Wenn die Gegenseite nun aber behauptet, die Verhandlungen wรคren an รuรerungen meiner Mandanten in den sozialen Medien gescheitert, ist das schlicht falsch. Wir fordern daher die Anwรคlte von Herrn Schuler auf, die Vertraulichkeit der zwischen uns ausgetauschten Nachrichten aufzuheben, damit sich jeder selbst ein Bild machen kann, was der wahre Grund ist, warum Schuler und Co nun weiter klagen.โ
Das Wunder von Mals vor Gericht: Landesrat zieht Anzeige zurรผck, Prozess trotzdem erรถffnet
Das Wunder von Mals vor Gericht: Landesrat zieht Anzeige zurรผck, Prozess trotzdem erรถffnet
Die neue โLeipziger Zeitungโ Nr. 83: Zwischen Ich und Wir
Die neue โLeipziger Zeitungโ Nr. 83: Zwischen Ich und Wir
Hinweis der Redaktion in eigener Sache
Seit der โCoronakriseโ haben wir unser Archiv fรผr alle Leser geรถffnet. Es gibt also seither auch fรผr Nichtabonnenten unter anderem alle Artikel der LEIPZIGER ZEITUNG aus den letzten Jahren zusรคtzlich auf L-IZ.de รผber die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall zu entdecken.
Unterstรผtzen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tรคgliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikรคufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den tรคglichen, frei verfรผgbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit fรผr Sie.
Vielen Dank dafรผr.
Empfohlen auf LZ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher
ist traurig, hรคtte ich in diesem Ausmass nicht fรผr mรถglich gehalten, hab da immer gern zugegriffen, schadeโฆ.