LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 83, seit 25. September im HandelDas Geschäft wirbelt viel Staub auf. Hinter den Dumpern, die durch die Tongrube Taucha fahren, bilden sich Wolken aus feinen Sandpartikeln. Für einen Moment verhüllen sie ihre Umgebung an diesem trockenen Septembertag mit einem grauen Schleier. Nach wenigen Sekunden lichtet sich der Nebel und das große Loch, das rund vier Jahrzehnte Tongewinnung in der Landschaft im Norden von Taucha hinterlassen haben, kommt wieder zum Vorschein.
Es sind die letzten Reserven, die jetzt noch gefördert werden. Als Rohstofflagerstätte hat das Südfeld der Grube so gut wie ausgedient. Als Deponie bekommt es aber bald eine neue Bestimmung.
Nur wenige hundert Meter entfernt vollzieht sich die nächste Verwandlung: In der Kiesgrube am Wachberg steht der Deponiebau der Firma Rösl Entsorgung, die beide Vorhaben in Taucha betreibt, sogar schon kurz vor dem Abschluss. Die ersten Abfalltransporte werden voraussichtlich noch in diesem Jahr anrollen. Was in Taucha vor den Toren Leipzigs passiert, ist Teil eines bundesweiten Trends.
Vielerorts in der Republik wollen Grubenbetreiber ihre ausgebeuteten Tagebaue in Deponien umfunktionieren und Deponiebetreiber bestehende Endlager noch vergrößern. 26 Deponieprojekte in den vergangenen vier Jahren sind es allein im Bundesland Brandenburg. Im Freistaat Sachsen befinden sich aktuell ein halbes Dutzend Deponien in Planung, darunter eine Mega-Deponie für Sondermüll.
Wie groß der Bedarf an neuen Ablagerungskapazitäten in Sachsen überhaupt ist, kann niemand so genau sagen.
Eine Bedarfsermittlung, die das Landesamt für Umwelt und Geologie in Auftrag gegeben hat, ist laut Landesumweltministerium noch nicht abgeschlossen. Die Wirtschaft aber wartet nicht. „Die Deponien in Torgau und Spröda befinden sich in der Schließungsphase und es gibt im Landkreis Nordsachsen keinen Ersatz“, begründet das Unternehmen Rösl Entsorgung auf LZ-Nachfrage seine Vorhaben in Taucha. „In unseren beiden Deponien werden nur mineralische Abfälle von Baustellen aus der Umgebung entsorgt“, heißt es weiter. Kein gefährlicher Abfall wie Asbest, keine Müllimporte.
Im Großraum Leipzig werden aber noch andere Deponiepläne geschmiedet. In einem Umkreis von bis zu 50 Kilometern zur Stadt handelt es sich um insgesamt sieben Vorhaben; neben den beiden Gruben in Taucha fünf Standorte in Sachsen-Anhalt. Die Vorhabenträger im Nachbarbundesland planen nicht nur mit Schutt von Baustellen, sondern auch mit Sanden aus Gießereien, Schlämmen aus Klärwerken, Schlacke aus Stahlfabriken sowie Aschen aus Müllverbrennungsanlagen und anderen Kraftwerken.
Sachsen-Anhalt hat laut eigenem Abfallwirtschaftsplan gar keinen Bedarf an neuen Kapazitäten. Doch dieser Plan ist rechtlich unverbindlich. Wenn ein künftiger Betreiber gegenüber seiner zuständigen Behörde einen Bedarf plausibel darlegen kann, ist der Grundstein für eine Genehmigung gelegt.
Deponien werden in Deutschland in fünf verschiedene Typen unterteilt. Die Unterteilung reicht von Klasse 0 für unbelasteten Abfall bis Klasse 4 für den giftigsten Sondermüll, der untertage entsorgt werden muss. Bei den Vorhaben im Freistaat Sachsen und im Nachbarland Sachsen-Anhalt handelt es sich um Deponien der Klassen 0 und 1. Sie dürfen, wenn sie den Betrieb aufnehmen, nur harmlose oder wenig belastete Stoffe ablagern.
Einzig die sächsische Firma P-D Industriegesellschaft hat es bei ihren Deponieplänen auf gefährlichen Abfall abgesehen. Sie will in der Gemeinde Puschwitz bei Bautzen eine Endlagerstätte für Sondermüll errichten. Deponieklasse 3. Fassungsvermögen 14,5 Millionen Kubikmeter und damit ein Stück weit größer als die wegen ihrer enormen Dimension schon vielfach kritisierte Zentraldeponie Cröbern in Großpösna bei Leipzig.
Die Unternehmensleitung der P-D Industriegesellschaft sagt, dass es um die Entsorgungssicherheit in Sachsen geht. Doch auch hier stellt sich die Bedarfsfrage – zumal die Firma mit „Puschwitzer Feld“ bereits eine Deponie der Klasse 3 betreibt und dort auch Abfälle aus Italien ablagert.
„Puschwitzer Feld“ ist zu 40 Prozent verfüllt, teilt die Unternehmensleitung auf Nachfrage mit. Das heißt: Seit Eröffnung vor neun Jahren wurden dort rund 2,6 Millionen Kubikmeter Abfall entsorgt.
Aufs Jahr umgerechnet macht das fast 300.000 Kubikmeter. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dann ist diese Sondermülldeponie 2033 voll. Das wäre sieben bis acht Jahre früher als von der Landesdirektion Sachsen, der zuständigen Genehmigungsbehörde, angenommen. Die war zu Betriebsbeginn 2011 davon ausgegangen, dass die Kapazität den Deponiebedarf für gefährliche Abfälle in Sachsen für die nächsten 30 Jahre decken wird.
Fraglich, ob die Behörde bei ihrer Prognose die Importe auf der Rechnung hatte. Allein im vergangenen Jahr hat die P-D Industriegesellschaft 58.000 Tonnen italienischen Sondermüll deponiert, wie die Unternehmensleitung weiter berichtet.
Um den Italo-Müll konkurriert Puschwitz noch mit anderen Abnehmern in Sachsen. Deponien der Klassen 0 und 1 gehören wohlgemerkt nicht dazu. Zu den größten Importeuren neben der P-D Industriegesellschaft zählen die Westsächsische Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft (WEV) mit ihrer Deponie Cröbern sowie zwei Recycler von Metallkonzentraten, die Nickelhütte Aue und die World Resources Company in Wurzen.
Der aktuellsten Statistik zufolge wurden 2018 insgesamt mehr als 220.000 Tonnen gefährliche Abfälle aus Italien nach Sachsen verbracht – so viel wie seit sieben Jahren nicht mehr. Welche Rolle spielen Importe bei der Planung der neuen Sondermülldeponie in Puschwitz? „Keine“, antwortet die Unternehmensleitung der P-D Industriegesellschaft.
Dennoch sieht es ganz danach aus, dass die Italo-Importe eine Renaissance erleben. Vor zehn bis 15 Jahren waren sie schon einmal groß in Mode. Millionen Tonnen waren in dieser Zeit über die Alpen nach Deutschland gekarrt worden. Mit dem Abfall häuften sich die Skandale. Der Landtag von Sachsen befasste sich in einem Untersuchungsausschuss mit den Müllmissständen im Freistaat und das Bundeskriminalamt (BKA) in einer geheimen Sonderauswertung mit deutsch-italienischer Abfallwirtschaftskriminalität.
Unter den deutschen Firmen, die ins Visier des BKA geraten waren, befand sich auch die P-D Industriegesellschaft. Es ging um ein Sanierungsprojekt in Mailand, um 50.000 Tonnen verseuchten Boden, der in Deutschland entsorgt werden sollte, und um den Verdacht von Korruption und Geldwäsche.
Die Staatsanwaltschaft Zwickau ermittelte gegen neun Personen, darunter Geschäftsführer der P-D Industriegesellschaft. Auch in Rom und in Leipzig versuchten Staatsanwälte dubiosen Geschäften von Müllschiebern und Deponiebetreibern auf die Spur zu kommen. Mit bescheidenem Erfolg. Die meisten Ermittlungen blieben ohne strafrechtliche Konsequenzen. Auch die Zwickauer stellten nach fünf Jahren Verfahrensdauer 2014 endgültig ein.
Mit dem zwischenzeitlichen Ermittlungsdruck wurden die Lieferungen aus Italien nach Sachsen aber weniger. Im Jahr 2015 erreichten sie mit exakt 102.187 Tonnen den tiefsten Wert seit langem. Danach haben sie wieder zugenommen und sich seitdem mehr als verdoppelt. Eine Zurückdrängung der Importe, wie etwa von dem Chemnitzer Landtagsabgeordneten Volkmar Zschocke (Bündnis 90/Grüne) gefordert, ist nicht in Sicht. Das Gegenteil ist der Fall.
„Abschottung ausländischen Abfalls rechtswidrig“ meldete im Dezember vergangenen Jahres die Leipziger Kanzlei „Petersen Hardraht Pruggmayer“. Die Anwälte vertreten ein italienisches Unternehmen im Rechtsstreit mit dem Landesverwaltungsamt in Halle a.S. Der Ausgang dieses Verfahrens dürfte auch für Sachsen und andere Bundesländer richtungsweisend sein.
Die Behörde aus Sachsen-Anhalt hat den Italienern im Jahr 2017 die grenzüberschreitende Lieferung von 10.000 Tonnen Gleisschotter, deklariert als gefährlicher Abfall, zu einer Deponie der Klasse 2 in Sandersdorf-Brehna untersagt. Im Jahr davor hat sich der Landtag in Magdeburg gegen Müllimporte positioniert.
Für die Zulassung von Deponien maßgeblich sei das regionale Abfallaufkommen innerhalb des Bundeslandes, Importe seien „mittel- bis langfristig im Rahmen des geltenden Rechts“ zu reduzieren, hieß es in einem Beschluss. In der Realität erweist sich das Ziel der Reduzierung aber als schwierig zu erreichen. So hat die italienische Firma vor dem Verwaltungsgericht Halle erfolgreich gegen die behördliche Untersagung geklagt.
Das letzte Wort ist zwar noch nicht gesprochen, das Landesverwaltungsamt hat Rechtsmittel eingelegt. Doch der Versuch von Politik und Behörden, Müllimporte einzuschränken und Deponien ausschließlich für den regionalen Bedarf zu erlauben, kann vorerst als gescheitert gelten.
Die neue „Leipziger Zeitung“ Nr. 83: Zwischen Ich und Wir
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Es gibt 4 Kommentare
Müll sucht sich immer das billigste Loch.
Wo das Angebot (an Deponien) groß, sinkt der Preis.
Und das wahrscheinlich wegen der Systemrelevanz und der Arbeitsplätze.
Der gesunde Menschenverstand würde sagen: Jedes Land ist für seinen eigenen Müll verantwortlich.
Kurz gesagt: Ja.
Bei Bauanträgen läuft es so: Die kleinen (Einfamilienhaus) werden schikaniert, die großen dürfen alles. Und Mülldeponien sind ziemlich groß.
Wieso ist dieser Scheiß (Müllimporte) überhaupt erlaubt!? Wenn eine Deponie für lokale/regionale Abfälle für einen bestimmten Zeitraum genehmigt wurde, kann doch der Betreiber nicht hergehen und sie einfach mit Müll von sonst woher zuschütten und dann vorzeitig die nächste Deponie beantragen & genehmigt bekommen. Herrscht im Land die Müllmafia oder wer!?